Einfahrt in die Autobahn ist auch rechtlich knifflig
Höchstrichter klärten grundsätzliche Fragen, um nach Unfällen mehr Rechtssicherheit zu schaffen.
Das Einfahren in die Autobahn zählt auch bei erfahrenen Fahrzeuglenkern zu den anspruchsvollen Fahrmanövern. Verschärft wird die Situation häufig dadurch, dass mehrere Fahrzeuge knapp hintereinander auf dem Beschleunigungsstreifen fahren bzw. in die Autobahn einfahren wollen.
Nach einer aktuellen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) (2Ob 80/16b) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zwei Pkw befuhren mit etwa 50 km/h den Beschleunigungsstreifen, an dessen Beginn das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“angebracht war. Auf dem ersten Fahrstreifen der Autobahn fuhr ein Lkw. Da dem Lenker des ersten Pkw der Lkw zu nahe und zu schnell erschien, verringerte er seine Geschwindigkeit. Der zweite Pkw wechselte hingegen noch vor dem Lkw in den ersten Fahrstreifen und beschleunigte. Gegen Ende des Beschleunigungsstreifens bremste der erste Pkw weiter ab und ragte dabei geringfügig in den ersten Fahrstreifen der Autobahn. Der zweite Pkw leitete deshalb eine Bremsung ein, wodurch der dahinter fahrende Lkw auffuhr.
Das Erstgericht nahm eine Schadensteilung im Verhältnis 2:1 zu Lasten des klagenden Lkw-Lenkers vor. Das Berufungsgericht ging vom Alleinverschulden des beklagten (zweiten) Pkw-Lenkers aus und sprach den Ersatz des gesamten Schadens zu.
Der OGH wiederum als letzte Instanz verneinte ein Verschulden des im konkreten Fall zweiten PkwLenkers. Die Höchstrichter treffen darüber hinaus in ihrer Entscheidung grundsätzliche Aussagen zur rechtskonformen Verwendung des Beschleunigungsstreifens.
Zum einen besteht keine gesetzliche Verpflichtung, den Beschleunigungsstreifen in seiner ganzen Länge auszufahren, wenn ein Einfahren in die Autobahn schon früher möglich ist. Der dabei vorgenommene Fahrstreifenwechsel darf andere Fahrzeuge weder behindern noch gefährden. Zum anderen findet das Reißverschlusssystem keine Anwendung. Auf der Autobahn fahrende Lenker sind daher nicht verpflichtet, durch Abbremsen oder Ausscheren anderen Fahrzeugen das Einfahren in die Autobahn zu ermöglichen. Liegt zudem eine Vorrangsituation vor, darf der auf der Autobahn fahrende Lenker durch das Einfahren nicht zum unvermittelten Abbremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt werden.
Im konkreten Fall wäre der Fahrstreifenwechsel auch dann verboten gewesen, wenn für den PkwLenker zu erwarten gewesen wäre, dass der auf dem Beschleunigungsstreifen langsam fahrende (erste) Pkw an dessen Ende nicht anhalten werde. Ein deshalb notwendiges Bremsmanöver wäre für den Lkw-Fahrer überraschend und damit gemäß § 21 StVO verboten gewesen.
Da sich aber der beklagte PkwLenker mit dem Einordnen in den ersten Fahrstreifen der Autobahn im Vorrang gegenüber dem (ersten) Pkw auf dem Beschleunigungsstreifen befand, durfte er auf die Einhaltung der Wartepflicht vertrauen. Sein Bremsmanöver war daher aus Gründen der Verkehrssicherheit erforderlich. Ein Fehlverhalten des PkwLenkers im Sinne der dargelegten Regelungen für das Auffahren konnte im Verfahren nicht erwiesen werden.
Dass der Lkw-Lenker seinen Schaden nur zu einem Drittel ersetzt bekommt, beruht auf der Betriebsgefahr, die von jedem Kraftfahrzeug grundsätzlich ausgeht. Dabei trifft einen wesentlich größeren und schwereren Lkw nach der Judikatur des OGH eine größere Betriebsgefahr als den am Unfall beteiligten Pkw.