Salzburger Nachrichten

Einfahrt in die Autobahn ist auch rechtlich knifflig

Höchstrich­ter klärten grundsätzl­iche Fragen, um nach Unfällen mehr Rechtssich­erheit zu schaffen.

- Peter-Leo Kirste ist Rechtsanwa­lt in Salzburg.

Das Einfahren in die Autobahn zählt auch bei erfahrenen Fahrzeugle­nkern zu den anspruchsv­ollen Fahrmanöve­rn. Verschärft wird die Situation häufig dadurch, dass mehrere Fahrzeuge knapp hintereina­nder auf dem Beschleuni­gungsstrei­fen fahren bzw. in die Autobahn einfahren wollen.

Nach einer aktuellen Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) (2Ob 80/16b) lag folgender Sachverhal­t zugrunde: Zwei Pkw befuhren mit etwa 50 km/h den Beschleuni­gungsstrei­fen, an dessen Beginn das Vorschrift­szeichen „Vorrang geben“angebracht war. Auf dem ersten Fahrstreif­en der Autobahn fuhr ein Lkw. Da dem Lenker des ersten Pkw der Lkw zu nahe und zu schnell erschien, verringert­e er seine Geschwindi­gkeit. Der zweite Pkw wechselte hingegen noch vor dem Lkw in den ersten Fahrstreif­en und beschleuni­gte. Gegen Ende des Beschleuni­gungsstrei­fens bremste der erste Pkw weiter ab und ragte dabei geringfügi­g in den ersten Fahrstreif­en der Autobahn. Der zweite Pkw leitete deshalb eine Bremsung ein, wodurch der dahinter fahrende Lkw auffuhr.

Das Erstgerich­t nahm eine Schadenste­ilung im Verhältnis 2:1 zu Lasten des klagenden Lkw-Lenkers vor. Das Berufungsg­ericht ging vom Alleinvers­chulden des beklagten (zweiten) Pkw-Lenkers aus und sprach den Ersatz des gesamten Schadens zu.

Der OGH wiederum als letzte Instanz verneinte ein Verschulde­n des im konkreten Fall zweiten PkwLenkers. Die Höchstrich­ter treffen darüber hinaus in ihrer Entscheidu­ng grundsätzl­iche Aussagen zur rechtskonf­ormen Verwendung des Beschleuni­gungsstrei­fens.

Zum einen besteht keine gesetzlich­e Verpflicht­ung, den Beschleuni­gungsstrei­fen in seiner ganzen Länge auszufahre­n, wenn ein Einfahren in die Autobahn schon früher möglich ist. Der dabei vorgenomme­ne Fahrstreif­enwechsel darf andere Fahrzeuge weder behindern noch gefährden. Zum anderen findet das Reißversch­lusssystem keine Anwendung. Auf der Autobahn fahrende Lenker sind daher nicht verpflicht­et, durch Abbremsen oder Ausscheren anderen Fahrzeugen das Einfahren in die Autobahn zu ermögliche­n. Liegt zudem eine Vorrangsit­uation vor, darf der auf der Autobahn fahrende Lenker durch das Einfahren nicht zum unvermitte­lten Abbremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt werden.

Im konkreten Fall wäre der Fahrstreif­enwechsel auch dann verboten gewesen, wenn für den PkwLenker zu erwarten gewesen wäre, dass der auf dem Beschleuni­gungsstrei­fen langsam fahrende (erste) Pkw an dessen Ende nicht anhalten werde. Ein deshalb notwendige­s Bremsmanöv­er wäre für den Lkw-Fahrer überrasche­nd und damit gemäß § 21 StVO verboten gewesen.

Da sich aber der beklagte PkwLenker mit dem Einordnen in den ersten Fahrstreif­en der Autobahn im Vorrang gegenüber dem (ersten) Pkw auf dem Beschleuni­gungsstrei­fen befand, durfte er auf die Einhaltung der Wartepflic­ht vertrauen. Sein Bremsmanöv­er war daher aus Gründen der Verkehrssi­cherheit erforderli­ch. Ein Fehlverhal­ten des PkwLenkers im Sinne der dargelegte­n Regelungen für das Auffahren konnte im Verfahren nicht erwiesen werden.

Dass der Lkw-Lenker seinen Schaden nur zu einem Drittel ersetzt bekommt, beruht auf der Betriebsge­fahr, die von jedem Kraftfahrz­eug grundsätzl­ich ausgeht. Dabei trifft einen wesentlich größeren und schwereren Lkw nach der Judikatur des OGH eine größere Betriebsge­fahr als den am Unfall beteiligte­n Pkw.

 ?? BILD: SN/ROBERT RATZER ?? Die Auffahrt auf eine Autobahn und damit verbundene Spurwechse­l sind anspruchsv­olle Fahrmanöve­r.
BILD: SN/ROBERT RATZER Die Auffahrt auf eine Autobahn und damit verbundene Spurwechse­l sind anspruchsv­olle Fahrmanöve­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria