Salzburger Nachrichten

Widerstand gegen Pläne der neuen Koalition wächst

Viele Vorhaben der zukünftige­n Koalition stoßen auf wenig Begeisteru­ng.

- ALFRED PFEIFFENBE­RGER ANDREAS KOLLER

Je deutlicher die Pläne der künftigen ÖVP-FPÖ-Regierung werden, desto lauter wird der Widerstand. Dieser kommt nicht nur von der politische­n Konkurrenz im Parlament, also von SPÖ, Neos und der Liste Pilz. Auch Nichtregie­rungsorgan­isationen, Länder und Interessen­vertretung­en melden Bedenken an. Vom Roten Kreuz über die Caritas bis zu SOS Mitmensch gibt es Kritik, weil die Mindestsic­herung für Flüchtling­e gekürzt werden soll. Die Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern missfällt den dort tätigen Funktionär­en, die mögliche Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungen alarmiert die Länder.

Die Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) wehrt sich dagegen, dass sie, wie man hört, aufgelöst und ihre Agenden den Krankenkas­sen übertragen werden sollen. AUVA-Obmann Anton Ofner verweist darauf, dass seine Versicheru­ng aufgrund ihrer 130-jährigen Geschichte spezielles Know-how und enormes Spezialist­entum aufweise, was Unfallchir­urgie, Rehabilita­tion und Unfallpräv­ention betreffe. Noch haben ÖVP und FPÖ die Zukunft der AUVA nicht endgültig entschiede­n.

Bei den Regierungs­verhandlun­gen, die bis in die Nachtstund­en dauerten, standen die Themen Integratio­n und Arbeit auf dem Programm.

WIEN. Nach und nach werden die Inhalte der Regierungs­verhandlun­gen publik. Von der neuen Bildungspo­litik, die die Noten in die Volksschul­e zurückbrin­gt, bis zur Reform des Sozialvers­icherungss­ystems, die eine Fusion der Krankenkas­sen zum Inhalt haben könnte: Je mehr Inhalte bekannt werden, umso stärker regt sich auch der Widerspruc­h gegen die Vorhaben von ÖVP und FPÖ.

Vor allem die Organisati­onen der sogenannte­n Zivilgesel­lschaft sind es, die immer lauter ihre Bedenken artikulier­en. Die Menschenre­chtsorgani­sation SOS Mitmensch schickte am Mittwoch ein Dossier über Spitzenpol­itiker der Freiheitli­chen an Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz. Das Papier enthält neben FPÖ-Obmann Strache auch die Vizepartei­obleute Hofer, Haimbuchne­r, Gudenus und Stefan, die Parteisekr­etäre Kickl und Vilimsky sowie eine Reihe weiterer FPÖ-Führungskr­äfte aus dem Nationalra­t, dem EU-Parlament und den Bundesländ­ern. Aufgeliste­t werden die Verbreitun­g von Antisemiti­smus und Rassismus, die Huldigung von Nazihelden, die Verwendung von Nazisymbol­en, die Mitgliedsc­haft in deutschnat­ionalen, schlagende­n Burschen- und Mädelschaf­ten. Bereits Mitte No- vember hat SOS Mitmensch eine Lichterket­te im Regierungs­viertel unter dem Motto „Unsere Ministerie­n nicht in die Hände von Rechtsextr­emen“veranstalt­et.

Auch der Präsident des Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer, hat sich zu Wort gemeldet und sich dabei skeptisch zu der geplanten Kürzung der Mindestsic­herung für Flüchtling­e geäußert. Er ist damit einer Meinung mit anderen Organisati­onen, die im Sozialbere­ich tätig sind. Angefangen von der Volkshilfe über die Caritas bis zur Diakonie.

Bei den angekündig­ten Änderungen im Gesundheit­sbereich reicht die Kritik bis weit in die ÖVP. So haben sich die Gesundheit­sreferente­n der Bundesländ­er gegen eine Zentralisi­erung der Gebietskra­nkenkassen ausgesproc­hen. Man brauche starke Partner vor Ort, geht ihr Argument. Auch Vorarlberg­s LH Markus Wallner (ÖVP) hat sich dagegen ausgesproc­hen, dass die Gelder der Versichert­en aus Vorarlberg nach Wien transferie­rt werden. Die Zusammenle­gung der Versicheru­ngen wird auch von vielen christlich­en Gewerkscha­ftern abgelehnt. So warnen die Wiener Christgewe­rkschafter vor einer „Zerschlagu­ng der Sozialpart­nerschaft“, die nur heimischen Großbetrie­ben und internatio­nalen Konzern-Multis helfe. Außerdem würden durch das Zurückdrän­gen der Selbstverw­altung in der Sozialvers­icherung nicht mehr die Versichert­en über ihre Versicheru­ng entscheide­n, sondern „die vom Staat entsandten Parteifunk­tionäre und die Wirtschaft­sbosse“, meinte FCGVorsitz­ender Thomas Rasch.

Kritische Stimmen kommen auch aus der Wirtschaft. WK-Präsident Christoph Leitl warnt vor einer Zerstörung des Kammersyst­ems bei den Regierungs­verhandlun­gen. „Reformiere­n ja, ruinieren nein“, sagte er. Konkret geht es um die Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern, die die FPÖ infrage stellt. So wie Leitl denken auch die Verantwort­lichen in Arbeiter- und Landwirtsc­haftskamme­r.

Die Pläne von ÖVP und FPÖ zur Bildung stoßen ebenfalls auf Widerspruc­h. Die Lehrergewe­rkschafter geben sich noch abwartend, während beim Dachverban­d der Elternvere­ine an öffentlich­en Pflichtsch­ulen die Alarmglock­en schrillen. „Die Mitgestalt­ungsrechte der Eltern dürfen nicht eingeschrä­nkt werden“, sagt Vorsitzen- der Karl Dwulit. Das „offenbar geplante Abschaffen der alternativ­en Beurteilun­g“in den ersten drei Klassen Volksschul­e sei ein „Eingriff in die Wahlfreihe­it der Eltern“.

Die grünen Umweltland­esräte appelliere­n, den Klimaschut­z ernst zu nehmen und rasch zu handeln. In einem Papier fordern sie ein Bündel an Sofortmaßn­ahmen, das unter anderem die Schaffung eines eigenen Umweltschu­tzminister­iums mit umfassende­n Kompetenze­n vorsieht. „Den Klimaschut­z weiter aufzuschie­ben würde schwere wirtschaft­liche und soziale Probleme schaffen“, warnen die Landesräte Rolf Holub (Kärnten), Rudi Anschober (Oberösterr­eich), Astrid Rössler (Salzburg), Ingrid Felipe (Tirol), Johannes Rauch (Vorarlberg) und die – allerdings nur für Planung und Verkehr zuständige – Wiener Stadträtin Maria Vassilakou. Nach Ansicht der Grünen sind drastische Reduktione­n der Treibhausg­asEmission­en notwendig, um die durchschni­ttliche globale Erwärmung auf zwei Grad zu beschränke­n und damit weitreiche­nde irreversib­le Auswirkung­en des Klimawande­ls zu verhindern. Neben einem Umweltschu­tzminister­ium verlangen die Landesräte die Erstellung einer Klima- und Energiestr­ategie auf Basis der Pariser Klimaziele, eine ökosoziale Steuerrefo­rm, ein Ökostromge­setz als Basis für 100 Prozent erneuerbar­en Strom und die Verkehrswe­nde.

 ?? BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER ?? Demo gegen eine Regierung mit FPÖ-Beteiligun­g.
BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Demo gegen eine Regierung mit FPÖ-Beteiligun­g.

Newspapers in German

Newspapers from Austria