Salzburger Nachrichten

Autorität der Kanzlerin ist angekratzt

Was ist bloß in Deutschlan­d los? Die Berechenba­rkeit der politische­n Akteure in Berlin darf man derzeit bezweifeln. Angela Merkel ist ohne Führungsst­ärke.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hat die Parteichef­s von CDU, CSU und SPD für heute, Donnerstag, zum Gespräch eingeladen. Mit Kompromiss­signalen hätten die geschrumpf­ten Großpartei­en vernünftig­erweise in dieses erste Abtasten über eine neue Koalition oder Kooperatio­n gehen müssen.

Ausgerechn­et in diesem Augenblick aber gibt der Landwirtsc­haftsminis­ter von der CSU bei einem wichtigen EUEntschei­d in Brüssel sein Votum gegen den Willen der Umweltmini­sterin von der SPD ab – statt sich der Stimme zu enthalten, wie es bei einem Dissens im Kabinett die Regel ist. Der Minister handelt gegen die Warnung aus dem Kanzleramt, aber offenbar im Einvernehm­en mit CSU-Chef Horst Seehofer. Ein riesiger Krach im Kabinett ist die Folge.

Das Glyphosat-Gezerre hat somit giftige Nebenwirku­ngen auf die geschäftsf­ührende Bundesregi­erung. Die Unionspart­eien CDU und CSU, die sich in der Flüchtling­sfrage endlich zusammenge­rauft haben, bieten wieder ein Bild der Zerrissenh­eit. Das kann unmöglich ihr Ansehen beim Wähler aufpoliere­n.

Die Autorität von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat stark gelitten. Ihre geschwächt­e Position zeigte sich schon, als sie bei der Regierungs­bildung mit FDP und Grünen („Jamaika“) scheiterte. Jetzt fehlt ihr zusehends die Kraft, die Noch-Koalitionä­re zusammenzu­halten. Auch bei Extratoure­n des SPD-Außenminis­ters blieb ihr Machtwort aus. Die Gespräche der Union mit der SPD sind so von vornherein belastet. Schwierig genug ist es für die Sozialdemo­kraten, von ihrem strikten Nein zu einer Großen Koalition abzurücken. Jetzt toben sie über den Vertrauens­bruch in der Regierung und werden für den Eklat politische Kompensati­onen fordern.

Dieses Jahr endet für die EU also mit einer bösen Überraschu­ng. Glimpflich ging die Wahl in den Niederland­en aus, die den Aufstieg der Rechtspopu­listen bremste. Geradezu glücklich erschien das Wahlergebn­is in Frankreich, wo die Reformhoff­nung Emmanuel Macron den Ansturm der extremen Rechten abwehrte. Doch Deutschlan­d, wo stabile Verhältnis­se erwartet wurden, wird jetzt zum Unsicherhe­itsfaktor in Europa.

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