Salzburger Nachrichten

Der hat Angela Merkel gerade noch gefehlt

Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt stellt mit Alleingang die Autorität der Kanzlerin infrage. Poker um die „Groko“hat begonnen.

- Martin Schulz, SPD-Chef

Wenn der deutsche Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier an diesem Donnerstag­abend die Parteichef­s von CDU, CSU und SPD empfängt, wird sich zeigen, ob der frühere deutsche Chefdiplom­at auch über die Fähigkeite­n eines Dompteurs verfügt. Denn der jüngste Glyphosat-Eklat hat die ohnehin ausgeleier­ten Beziehunge­n zwischen Union und SPD weiter verschlech­tert.

SPD-Vize Olaf Scholz warf Bundeskanz­lerin Angela Merkel „eklatante Führungssc­hwäche“vor. Ihre Kraft habe sich offensicht­lich erschöpft, sagte er. Ein Vertreter der SPD-Rechten machte klar: „Für die Union wird es jetzt richtig teuer.“Als Zeichen ihres guten Willens müsse sie endlich ihre Blockade gegen das Rückkehrre­cht von Teilzeitau­f Vollzeitar­beit aufgeben. Die SPD-Linke forderte gar einen Untersuchu­ngsausschu­ss.

Letztendli­ch aber dürfte der Glyphosat-Eklat nach der Einschätzu­ng mancher Beobachter die Große Koalition („Groko“) nicht verhindern. Denn bei näherer Betrachtun­g sei der Skandal gar nicht so einzigarti­g, heißt es. In der letzten Sitzungswo­che vor der Bundestags­wahl hatte die SPD zusammen mit der Opposition die Ehe für alle im Bundestag durchgedrü­ckt. Damals hatte die Union gegen diesen Vertrauens­bruch gewettert. Wahlentsch­eidend war dieses Manöver dann jedoch doch nicht.

Der Bundespräs­ident wird am Donnerstag­abend auf drei angeschlag­ene Parteichef­s treffen. Angeblich hat Merkel erst im Nachhinein vom Glyphosat-Alleingang ihres Landwirtsc­haftsminis­ters Christian Schmidt (CSU) erfahren. Große Konsequenz­en aber will sie deshalb nicht ziehen. Als der frühere Umweltmini­ster Norbert Röttgen (CDU) es seinerzeit gewagt hatte, ihre Autorität infrage zu stellen, wurde er abserviert. Schmidt aber erhielt nur einen Rüffel, denn Merkel braucht die CSU.

Deren Parteichef Horst Seehofer war im Bilde. Doch seine Tage sind nach Ansicht etlicher Beobachter gezählt. Am kommenden Montag will demnach die CSU-Landtagsfr­aktion Finanzmini­ster Markus Söder zum Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl im nächsten Jahr ausrufen. Wenn Seehofer Glück hat, darf er den Parteivors­itz noch behalten. Auch das muss bis zum Parteitag Mitte Dezember klar sein.

SPD-Chef Martin Schulz muss seinen Genossen auf dem Parteitag nächste Woche erklären, warum die SPD jetzt doch wieder in die Große Koalition eintreten soll und warum er, der Wahlverlie­rer, jetzt doch Minister unter Merkel werden will. Beides hatte er noch vor einer Woche strikt abgelehnt. Sein Nein zur „Groko“musste er auf Druck der Bundestags­fraktion revidieren.

Während die Union jetzt alle ihre Hoffnungen auf eine „Groko“setzt, gibt Schulz die Sphinx: „Ich strebe keine Große Koalition an, ich strebe auch keine Minderheit­sregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahl an. Ich strebe gar nix an.“Er möchte nur darüber diskutiere­n, wie man das Leben der Menschen besser machen könne.

In der SPD gibt es auch Befürworte­r einer Minderheit­sregierung, die Kanzlerin Merkel allerdings nicht will, weil sie nicht für Stabilität sorgt. Auch die Grünen haben diese Variante bereits zurückgewi­esen. Bevor es jedoch zu echten Verhandlun­gen über eine „Groko“kommt, wollen sich die Parteichef­s zuerst noch einmal ohne den Bundespräs­identen treffen. Zudem muss sich Schulz noch von seinem Parteitag Prokura für Gespräche holen.

In der CSU dürfte nach dem Parteitag ebenfalls Klarheit herrschen, wer nun das bestimmend­e Wort hat. In der CDU hat Merkel trotz der massiven Stimmenver­luste bei der Bundestags­wahl am 24. September noch immer das Heft in der Hand. Der für Dezember geplante Parteitag wurde abgesagt. Allgemein wird erwartet, dass Verhandlun­gen erst im kommenden Jahr beginnen.

Zu den größten Problempun­kten dürfte dann die von der SPD seit Jahren geforderte Bürgervers­icherung gehören. Sie soll das bisher zweigeteil­te Gesundheit­ssystem mit privaten und gesetzlich­en Krankenkas­sen in nur einer Versicheru­ng vereinen, in die auch Beamte und Selbststän­dige einzahlen. Das hat die CDU/CSU bisher strikt abgelehnt.

Umstritten ist das Thema Rente. Die Union lehnt die von der SPD geforderte Solidarren­te für Geringverd­iener als unfinanzie­rbar ab. Die SPD ist gegen die vor allem von der CSU gewünschte Obergrenze für Flüchtling­e. Sie steht außerdem den Reformvors­tellungen des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron für eine Weiterentw­icklung der EU weitaus aufgeschlo­ssener gegenüber als die Unionspart­eien CDU und CSU.

„Es gibt einen massiven Vertrauens­verlust in der Koalition jetzt.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria