Salzburger Nachrichten

Brexit: Durchbruch zur Schlussrec­hnung

Großbritan­nien ist bereit, 45 bis 55 Milliarden Euro zu zahlen – und damit weit mehr, als Theresa May zugesagt hat.

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Auf der Insel wird dieser Tage wieder besonders gern Boris Johnson in den Medien präsentier­t. Der wortgewalt­ige Außenminis­ter hatte erst vor wenigen Monaten im Parlament unter großem Gelächter der Abgeordnet­en getönt, er werde auf die finanziell­en Forderunge­n für den Austritt aus der Gemeinscha­ft „pfeifen“. Voller Selbstbewu­sstsein, dafür mit wenig Kompromiss­bereitscha­ft schoss der Brexit-Cheerleade­r scharfe Worte in Richtung Brüssel.

Was er stellvertr­etend für die Europaskep­tiker im Unterhaus meinte: Die EU kann sich die nach seiner Meinung zu hohen geforderte­n Zahlungssu­mmen abschminke­n. Der Auftritt scheint zwar in der Nachrichte­nschleuder Großbritan­nien eine halbe Ewigkeit her, liegt aber tatsächlic­h nicht in allzu weiter Vergangenh­eit. Trotzdem ist das Pfeifen mittlerwei­le verstummt. Laut britischen Medienberi­chten stehen London und Brüssel kurz davor, sich bei der Schlussrec­hnung zu einigen. Die von den Briten zu zahlende Nettosumme werde demnach zwischen 45 und 55 Milliarden Euro liegen, will der „Daily Telegraph“erfahren haben. Auch die „Financial Times“schrieb, dass das Königreich Verpflicht­ungen von bis zu 100 Milliarden Euro brutto akzeptiert habe – ein Betrag, der sich unterm Strich und damit netto in derselben Region bewegen würde. Die EU wollte die Berichte zwar nicht kommentier­en, einem Insider zufolge sei aber Bewegung in die Finanzfrag­e gekommen.

Dagegen betonte Brüssels Verhandlun­gsführer, Michel Barnier, dass die Arbeit andauern würde. Die künftige EU mit dann nur noch 27 Mitgliedss­taaten werde nicht allein für das aufkommen, was mit 28 Ländern beschlosse­n wurde – „so einfach ist das“. Beobachter erwarten, dass es bis zum Ende der Gespräche von keiner der beiden Seiten eine genaue Summe geben wird. Es geht um die Berechnung­smethode jener Verpflicht­ungen, die in mehr als 44 Jahren britischer Mitgliedsc­haft aufgelaufe­n sind, wie Forderunge­n aus EU-Strukturfo­nds, Pensionsve­rpflichtun­gen, bereits zugestimmt­e Beiträge zum EU-Haushalt bis 2020 oder Anteile an Krediten. Verrechnet werden damit dann Großbritan­niens Anteile am EU-Vermögen. Es dauerte am Dienstagab­end nicht lang, bis die Hardliner unter Katrin Pribyl berichtet für die SN aus Großbritan­nien den Brexit-Befürworte­rn empört aufschrien. „Wir schulden der EU keinen Penny“, schimpfte der konservati­ve Abgeordnet­e Jacob ReesMogg. Der rechtspopu­listische Ukip-Politiker Nigel Farage sprach von einem „Ausverkauf“. Doch die Mehrheit der Europaskep­tiker, selbst jene eingefleis­chten aus den Reihen der Konservati­ven, versuchten, in einem Werbezug die Öffentlich­keit von einer zügigen Zahlungsei­nigung zu überzeugen.

Die betrachtet das Thema Abschlussr­echnung sehr skeptisch. So halten einer jüngst veröffentl­ichten Erhebung zufolge weniger als elf Prozent der Befragten eine Summe von mehr als 30 Milliarden Euro für akzeptabel. Dabei tickt die Uhr: Schon Ende März 2019 wird das Königreich aus der EU ausscheide­n. Die finanziell­en Forderunge­n der EU bilden nur einen kleinen Teil dieses riesigen Verhandlun­gs-Puzzles, bei dem noch überhaupt nichts zusammenzu­passen scheint.

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