Salzburger Nachrichten

„Es gibt nur eine Wirklichke­it im Iran“

Sex, Lügen und Rotoskopie: „Teheran Tabu“berichtet von jenem Alltag, den andere Filme nicht zeigen können.

- „Teheran Tabu“. Animations­drama, Deutschlan­d/Österreich 2017. Regie: Ali Soozandeh. Start: 30. 11.

Ein Animations­film erzählt von Männern und Frauen in Teheran: In „Teheran Tabu“– ab Freitag im Kino – wird geliebt und gestritten, die Menschen haben Sex, verkaufen ihn, sind zärtlich und gewaltbere­it. „Alle tun es, niemand spricht öffentlich davon“, sagt Regisseur Ali Soozandeh, der seit 18 Jahren in Deutschlan­d lebt. Er hat den Film im Studio gedreht – mit dem österreich­ischen Kameramann Martin Gschlacht, dessen Bilder rotoskopis­ch verfremdet sind. So kann Soozandeh auch jene Seiten von Teheran zeigen, die seine berühmten Landsleute Farhadi, Panahi und Kiarostami weglassen müssen. SN: Was war der Anlass für diesen Film? Ali Soozandeh: Ich bin im Iran geboren und aufgewachs­en und wenn ich zurückdenk­e, habe ich große Fragezeich­en im Kopf bezüglich der sexuellen Einstellun­g der Gesellscha­ft. Warum ist das so ein Tabu? Alle wissen das, alle tun es, aber keiner spricht öffentlich davon. Darauf wollte ich eine Antwort finden. Eines Tages hab ich in Deutschlan­d im Zug ein Gespräch zweier junger Iraner mitgehört, die über ihre Erfahrunge­n mit Frauen in Teheran gesprochen haben. Da kam auch eine Prostituie­rte vor, die ein Baby hatte und es immer mitnahm auf den Strich, weil sie niemanden zum Aufpassen hatte. Das hat mich dazu gebracht, diese Geschichte­n aufzuschre­iben, die ich schon jahrelang mit mir herumgetra­gen hatte. SN: Sie nennen diese Geschichte als Anstoß für den Film, weil die Sexarbeite­rin in Ihrem Film zu einer selbstbewu­sste Figur wird. Warum? Die drei Geschichte­n im Film hatte ich eigentlich separat aufgeschri­eben und erst nachträgli­ch verknüpft. Pari, wie die Prostituie­rte im Film heißt, ist die Verbindung zwischen alldem.

Gibt es absolute Gute oder Böse? Je nach Perspektiv­e ändert sich das, da ist jemand gleichzeit­ig Opfer und Täter, und ich glaube, das gilt für alle Figuren in meinem Film, nicht nur für Pari. Wenn man die Umstände und die Hintergrün­de versteht, versteht man auch die anderen Charaktere. SN: Im Iran gibt es einerseits die Religionsp­olizei, die jedes Fehlverhal­ten sanktionie­rt, und anderersei­ts existiert Prostituti­on. Wie geht das? Teheran ist eine Metropole mit 14 Millionen Einwohnern und voller Gegensätze. Stadtteile im Norden etwa sind sogar moderner als manche Städte in Europa. Im Süden von Teheran sind Gegenden, die sind religiös und konservati­v. Dazwischen gibt es hundert andere Schattieru­ngen. Es gibt Tausende von Wahrheiten und Realitäten in Teheran. SN: Diese Dualität zwischen dem offiziell Erlaubten und dem, was inoffiziel­l passiert, ist fasziniere­nd. An offizielle­n Orten gibt es natürlich viele Verbote, aber die Iraner sind kreativ. Die finden immer irgendwelc­he Räume, wo Gesetze nicht gelten. Da geht es dann richtig zur Sache. Denn wo es keine Gesetze gibt, gibt es keine Kontrolle – ob das Sex, Drogen oder Alkohol betrifft, bis zum Exzess. Das ist ja eines der Probleme, die mit jedem Verbot einhergehe­n, das kann auch gefährlich werden. Wo es Einschränk­ungen gibt, gibt es auch Menschen, die sich Gedanken machen, wie man diese Verbote umgeht. SN: Im offizielle­n Leben sind Frauen und Männer im Iran ja nicht gleichbere­chtigt. Wie ist das im Alltag? Schon per Gesetz sind Frauen eingeschrä­nkt, zum Beispiel dürfen sie manche Berufe gar nicht ausüben, etwa den Richterber­uf. Die Aussage eines Mannes ist vor einem iranischen Gericht gleichwert­ig mit der von zwei Frauen. Wenn eine Frau getötet wird, kostet das Blutgeld nur halb so viel wie für einen Mann.

Aber in der Gesellscha­ft sind die Einschränk­ungen abhängig vom Ort, an dem man sich befindet. Es gibt viele Frauen, die in Politik aktiv sind, in Sport und Bildung. Es gibt aber auch Stadtteile, wo konservati­ve und religiöse Menschen leben. Da sind die Frauen abhängig von Ehemännern oder Vätern, von der ganzen Familie. Es hat sich in letzter Zeit aber in der Mitte der Gesellscha­ft etwas zum Positiven geändert. Trotzdem gibt es noch viele Gegenden, wo Frauen ihr Schicksal nicht in die Hand nehmen können. Kino:

„Es gibt immer Räume, wo Gesetze nicht gelten.“

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BILD: SN/FILMLADEN Mit echten Schauspiel­ern gedreht und mit Rotoskopie verfremdet: „Teheran Tabu“.
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Ali Soozandeh, Regie
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