Bach trifft Nono, Gidon Kremer macht’s möglich
WIEN. Die wirklich Großen müssen sich nicht wichtig machen. Das ist wohl die Kernbotschaft dieses außergewöhnlichen Konzerts, das am Dienstag im Rahmen von „Wien Modern“im Wiener Konzerthaus stattfand. Das gilt für Johann Sebastian Bach ebenso wie für Luigi Nono – und für den solistischen Alleinunternehmer Gidon Kremer.
Und wohl auch für das Instrument, das alle einte: Die Erfahrung, wie sehr ein so kleines Instrument wie eine Geige einen ganzen Raum füllen kann, ist mindestens ebenso rar. Die Chaconne – der letzte Satz aus Bachs Partita für Violine solo in d-Moll BWV 1004 – stammt aus dem Jahr 1720. Sie atmet, wenn sie von Kremer gespielt wird, eine weichgezeichnete Klarheit, die Luigi Nono mehr als zweieinhalb Jahrhunderte später in seiner „Lontananza nostalgica utopica futura“mit dem Untertitel „Madrigale für mehrere ,Wanderer‘ mit Gidon Kremer“für Violine und Acht-Spur-Tonband wieder beschwören sollte. Der große Unterschied: Kremer spielt nicht nur live auf seiner Violine, sondern auch vervielfacht vom Band, das auch sozusagen „verunreinigte“Geräusche enthält. Und er summt bisweilen dazu.
Mucksmäuschenstill war es im Mozartsaal, sieht man von ein paar Hustern ab. Die weit entfernte nostalgische Utopie dieses stillen musikalischen Kontinents lebt von dieser Unlärmigkeit, deren Fortissimo nicht mehr Pegelgeräusche als kratzige Töne kennt. Auf den lang anhaltenden Applaus musste Kremer reagieren. Aber wie? Was konnte man auf Nonos filigrane Musik als Zugabe spielen? Auch darauf hatte der inzwischen über 70-jährige Geiger eine schöne und sensible Antwort parat: Die Solo-Serenade des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, eines Mannes, der bei uns ein ziemlich Unbekannter ist und heuer seinen 80. Geburtstag feiert.
Mit diesem kleinen Stück erinnerte Gidon Kremer an das, was er immer getan hat: dem Publikum Unbekanntes nahezubringen. Seit er nicht mehr Leiter des Kammermusik-Festivals in Lockenhaus ist, begegnet man ihm viel zu selten. Umso zwingender war die Idee, im Programmheft ausführlich aus dem Booklet zu Gidon Kremers 1992 erschienenen Einspielung der „Lontananza“zu zitieren, in dem der Geiger die abenteuerliche Entstehungsgeschichte des Werks schildert. Das Improvisatorische, das darin durchschimmert, ist bei aller kompositorischen Strenge ein Markenzeichen dieser ungewöhnlichen späten Komposition Luigi Nonos. Schön, dass man sie wieder einmal hören konnte. Und zwar in der Uraufführungsbesetzung.