Salzburger Nachrichten

Der Schnellste ist nicht immer der Modernste

Das große Missverstä­ndnis der heutigen Zeit ist, dass Schnelligk­eit irgendetwa­s mit Klugheit zu tun hätte.

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Ausgehend von der südschwedi­schen Stadt Helsingbor­g ist derzeit eine Ausstellun­g mit echten Raritäten auf Welttour: Google’s „Glass“Brille ist dort zu sehen, ein Bic-Rasierer für Damen, ein Harley-Davidson-Parfum. Oder auch eine Strommaske namens Rejuveniqu­e von „Denver Clan“-Schauspiel­erin Linda Evans, die dem Gesicht der jeweiligen Trägerinne­n ewige Jugend verleihen soll. Letztgenan­ntes Beispiel weist schon in die Richtung, in die es geht: Das „Museum des Scheiterns“(www.failuremus­eum.com) erzählt die Geschichte verschwund­ener Innovation­en. Dinge, an die irgendjema­nd einmal fest geglaubt hatte, die jedoch letztlich nicht nützlich oder vertrauene­rweckend genug waren, um gekauft zu werden, und deshalb vom Markt genommen wurden.

Die Existenz dieser gefloppten Innovation­en ist eine Warnung für Unternehme­n, die dem Missverstä­ndnis anheimgefa­llen sind, dass gerade jetzt im Trubel der digitalen Transforma­tion Schnelligk­eit gefragt sei – bei Entscheidu­ngen, in Prozessen, in der Kommunikat­ion. Doch was bringt die modernste Fabrik, in der Waren automatisi­ert und in Echtzeit direkt nach Bestellein­gang blitzschne­ll produziert werden, wenn genau für diese Waren schon bald die Nachfrage schrumpfen wird?

Das Tückische am digitalen Wandel ist, dass er keinem linearen Muster folgt („Wird A getan, tritt B ein“) und damit eine nicht hinterfrag­te Fortschrei­bung der Vergangenh­eit gefährlich wird. Oder was nützt die Umstellung auf eine papierlose Unternehme­nsverwaltu­ng, wenn man manche Prozesse und Tätigkeite­n überhaupt streichen könnte, ähnlich wie man das vor einigen Jahren bei der Kfz-Anmeldung gemacht hat, die jetzt von Versichere­rn miterledig­t wird, statt damit die Bürger zu belasten?

Die Flucht in die Beschleuni­gung des Bestehende­n mag verführeri­sch sein, allerdings ist sie keine Lösung. Im Gegenteil, sie lenkt von den wesentlich­en Fragen ab, die viel tiefer gehen: „Wozu sind wir eigentlich da? Was könnte unsere Aufgabe in der Zukunft unter geänderten Rahmenbedi­ngungen sein?“Diese existenzie­llen Fragen hämmern mit großer Vehemenz an die Unternehme­nstüren, an die des großen Konzerns genauso wie an die eines Kleinbetri­ebs. Und sie brauchen Beachtung, vor allem die von Chefinnen und Chefs.

Diese müssen sich fragen, wofür Kunden in Zukunft einen Installate­ur, ein Werbeunter­nehmen oder eine Autowerkst­ätte brauchen werden und wofür bestimmt nicht mehr. Neue Visionen und Ziele sind gefragt. Diese im Unternehme­n zu erarbeiten hat den Nebeneffek­t, dass damit die aktuelle Unsicherhe­it der Mitarbeite­r sinkt. Klugheit hat damit zu tun, die richtigen Fragen zu stellen – eine Schlüsselk­ompetenz nicht nur im digitalen Zeitalter.

Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria.

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Gertraud Leimüller

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