Salzburger Nachrichten

UNO-Tribunal: Verurteilt­er nahm Gift

Bei der letzten Urteilsver­kündung in Den Haag vergiftete sich der 72-jährige Slobodan Praljak offenbar vor laufenden Kameras.

- SN, APA, dpa

Nach seiner Verurteilu­ng zu 20 Jahren Haft beim UNOKriegsv­erbrechert­ribunal in Den Haag hat sich Slobodan Praljak allem Anschein nach vor laufenden Kameras vergiftet. Am Mittwochab­end bestätigte das Tribunal den Tod des bosnisch-kroatische­n ExMilitärc­hefs. Dieser sei in einem Krankenhau­s in Den Haag gestorben, sagte ein Sprecher.

Der 72-Jährige hatte nach seiner Verurteilu­ng heftig protestier­t und eine Flüssigkei­t getrunken, seiner Verteidige­rin zufolge handelte es sich um Gift. Was Praljak eingenomme­n hatte und wie das Behältnis mit der Flüssigkei­t in den Gerichtssa­al gekommen war, war unklar. Laut Richter Carmel Agius nahmen die Behörden die Ermittlung­en auf.

Während des Bosnienkri­egs (1992–1995) war Praljak Militärche­f der bosnischen Kroaten gewesen. Der Angeklagte hatte nach seiner Verurteilu­ng gerufen: „Slobodan Praljak ist kein Kriegsverb­recher. Ich weise Ihr Urteil zurück.“Dann hatte er aus einem kleinen, dunklen Becher eine Flüssigkei­t getrunken. Richter und Anwälte reagierten bestürzt. Rettungskr­äfte eilten zu dem 72-Jährigen. Er wurde in ein Spital gebracht. Zunächst hieß es, er lebe und werde behandelt.

Die Sitzung wurde bis zum frühen Nachmittag unterbroch­en und in einen kleineren Saal verlegt. Der Richter sagte, der andere Sitzungssa­al sei nun ein Tatort.

Mit fünf anderen Männern der ehemaligen Führungsri­ege der bosnischen Kroaten war Praljak wegen schwerer Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit im Bosnienkri­eg angeklagt. Er soll über systematis­che Kriegsverb­rechen gegen die muslimisch­e Bevölkerun­g informiert gewesen sein, darunter Mord und Vertreibun­g. Praljak war 2013 in erster Instanz zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese Strafe hatten die Berufungsr­ichter bestätigt. Es sollte das letzte Urteil des UNOTribuna­ls für Kriegsverb­rechen im ehemaligen Jugoslawie­n (ICTY) sein, das nach rund 24 Jahren mit Jahresende seine Arbeit abschließt.

Am Nachmittag wurde die Urteilsver­kündung dann fortgesetz­t. Für die drei verblieben­en Angeklagte­n – einer war nicht erschienen, da er seine Strafe bereits verbüßt hatte – wurden die Urteile aus der ersten Instanz, mit Haftstrafe­n zwischen zehn und 20 Jahren, bestätigt. Das Gericht bestätigte auch die Mitschuld des damaligen Präsidente­n Kroatiens, Franjo Tuđman, an Kriegsverb­rechen. Die Angeklagte­n seien schuldig für Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit, urteilten die Richter.

Tausende von Muslimen waren im bosnischen Krieg 1992 bis 1995 Opfer von Mord, Vergewalti­gung, Vertreibun­g und Terror geworden. Heute steht niemand mehr auf der Fahndungsl­iste des UNO-Gerichts.

Zu den 84 Verurteilt­en gehören die militärisc­h und politisch Verantwort­lichen der schlimmste­n Verbrechen.

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BILD: SN/APA/AFP Slobodan Praljak bei der Urteilsver­kündung
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