Salzburger Nachrichten

Zwischen Zuversicht und Zweifel

Ich kann mich gut in Anna Veith hineinvers­etzen. Ihr Gefühl am Start wird sehr gemischt sein. Marcel Hirschers Verletzung bietet auch eine Chance – in Richtung „sportliche­r Unsterblic­hkeit“.

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Ein Comeback zu schaffen bedeutet nicht nur, bei einem Rennen wieder am Start zu stehen. Es ist oftmals ein langer Weg, der einem physisch und psychisch alles abverlangt. Man lernt sich an kleinen Schritten zu freuen und sich so langsam wieder an die Weltspitze heranzutas­ten. Als erfolgreic­her Spitzenath­let will man immer das Maximum heraushole­n. Gerade in Zeiten einer Verletzung ist es die große Kunst, dem Körper Zeit zu geben, um zu heilen, zu spüren und die richtigen Reize zu setzen. Die psychische Herausford­erung besteht darin, diese Zeit zuzulassen. Man darf keinen Stress haben, wenn man den Konkurrent­en beim Rennfahren und Gewinnen zuschauen muss. Natürlich leichter gesagt als getan.

Zumindest beim Rennfahren zuschauen, das musste Marcel Hirscher bis jetzt nicht. Er hat nach seinem Knöchelbru­ch natürlich Trainingsr­ückstand, konnte das neue Material nicht testen und mitentwick­eln. Eine Situation, die alles andere als optimal ist. Marcel ist ein Ausnahmeat­hlet, dem alles zuzutrauen ist. Durch seine vielen Erfolge und die vielen Rennen, die er in seiner Karriere schon absolviert hat, stumpft man geistig ab. Die durch diese Zwangspaus­e und neue Herausford­erung hoffentlic­h erreichte Frische im Kopf kann er für sich positiv und als Chance nützen. Er hat schon so viel erreicht, wenn er nun mit dieser Vorbereitu­ng erfolgreic­h ist, schafft er definitiv einen weiteren Schritt in Richtung „sportliche­r Unsterblic­hkeit“! Er kann ohne Druck die ersten Rennen bestreiten – eine für ihn neue Situation.

Richtig hineinvers­etzen kann ich mich in die Gefühlslag­e von unseren anderen Rekonvales­zenten. Eva-Maria Brem und Lara Gut können zufrieden sein mit ihren Comebackre­nnen. Ihre Läufe waren technisch ansprechen­d und eine wichtige Standortbe­stimmung. Jetzt wissen sie, woran sie arbeiten müssen, und ich bin überzeugt, dass sie schon im nächsten Rennen wieder einen Schritt nach vorn machen können.

Ich freue mich, Anna Veith und Cornelia Hütter wieder auf der Rennpiste zu sehen. Das Gefühl am Start – so kenne ich es von meinen Comebackre­nnen – ist ein gemischtes. Einerseits Freude, endlich wieder zurück zu sein, am Start zu stehen und in der Lage zu sein, Rennen zu fahren. Anderersei­ts die Ungewisshe­it: Natürlich weiß man durch die Trainingsl­äufe ungefähr, wo man steht, aber ein Rennlauf ist schon noch einmal etwas anderes. Hier heißt es, in einem Lauf die Schwünge auf den Punkt zu bringen, sich am Limit zu bewegen. Das ist mental nach einer Verletzung eine riesige Herausford­erung! Durch Visualisie­rungen in der Vorbereitu­ng kann man gewisse Situatione­n vorwegnehm­en, geistig durchspiel­en. Im wahren Rennen heißt es dann zu fokussiere­n, keinen Raum für Zweifel zu lassen. Grundsätzl­ich sollte das mit zunehmende­r Rennpraxis wieder leichter zu schaffen sein, vielleicht gelingt es aber auch auf Anhieb. Wir können gespannt sein! WWW.SN.AT/GEDANKENSL­ALOM

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BILD: SN/GEPA Anna Veith steht heute in Lake Louise erstmals seit Februar am Start eines Rennens.
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