Bei Netflix wird es düster
Heute geht die erste deutsche Netflix-Serie online. „Dark“ist der Startschuss für mehrere deutschsprachige Projekte. Serie Nummer zwei produziert ein Pinzgauer. Doch die Netflix-Offensive könnte dem heimischen Markt auch schaden.
BERLIN. In der deutschen Kleinstadt Winden verschwindet ein 15-jähriger Bursche auf mysteriöse Weise. Und nur wenig später ist auch ein weiteres Kind wie vom Erdboden verschluckt. Den Ort holt offenbar seine düstere Vergangenheit ein. Denn bereits vor 33 Jahren hat sich Ähnliches ereignet. „Diese Stadt ist krank. Und wir alle sind ein Teil davon“, sagt eine Bewohnerin.
Heute, Freitag, startet „Dark“, die erste in Deutschland produzierte Serie des US-Streaminggiganten Netflix. Die Geschichte, die stark an die Mystery-Serien „Twin Peaks“und „Stranger Things“erinnert, rückt vor allem junge Darsteller in den Mittelpunkt – etwa Louis Hofmann („Lommbock“) oder Lisa Vicari („Tatort: Amour fou“). Doch mit Oliver Masucci, der zum Wiener Burgtheater-Ensemble gehört, oder Karoline Eichhorn („Die Kirche bleibt im Dorf“) sind ebenso arrivierte Schauspieler mit an Bord. Und auch eine Österreicherin hat an der Serie mitgearbeitet: Die Titelmusik kommt von der Steirerin Anja Plaschg alias Soap&Skin.
„Dark“ist ein weiterer kleiner Meilenstein in der Firmenhistorie von Netflix, die 1997 als DVD-Verleih begann. Da der Heimatmarkt in den USA als gesättigt gilt, fokussiert Netflix immer stärker das Ausland. Aktuell hält die Videothek bei 110 Millionen Abonnenten in 190 Ländern – knapp die Hälfte der Abonnenten sitzt aber in den Vereinigten Staaten. Da liegt es auf der Hand, Europas größten Sprachraum zu adressieren. Erst recht, da die Konkurrenz schon vorgelegt hat: Im Frühjahr veröffentlichte Amazon Prime Video die gemeinsam mit Matthias Schweighöfer produzierte Thrillerserie „You Are Wanted“. Offenbar war Amazon mit den Quoten zufrieden – eine zweite Staffel wurde angekündigt. Doch wie erfolgreich die Serie wirklich war, wird der Öffentlichkeit vorenthalten: Weder Amazon Prime Video noch ein anderer Streamingdienst legt die Nutzerzahlen pro Serie offen. „Das müssen sie auch nicht. Es ist ein privates Business“, erläutert Josef Trappel, Medienökonom an der Uni Salzburg. Aber deutet die Schweigetaktik nicht darauf hin, dass die Zahlen bescheiden sein müssen? Mit solchen Annahmen müsse man vorsichtig sein, sagt Trappel. „Das ist pure Spekulation. Ich würde das zwar auch vermuten – aber wir können es nicht belegen.“
Der diese Woche veröffentlichte Filmwirtschaftsbericht des Österreichischen Filminstituts geht von einer breiten Netflix-Fangemeinde aus. Laut einer Umfrage soll der Streamingdienst bis 2020 österreichweit auf 1,1 Millionen Abonnenten kommen. „Diese Schätzung halte ich für sehr sportlich“, sagt Trappel. Für ihn bleibt Netflix eine Nische – zumindest in den kommenden fünf Jahren. „Ja, die Attraktivität steigt. Aber der Markt ist zersplittert. Das Interesse verteilt sich auf viele Anbieter.“Dazu gebe es in Österreich keine gewachsene PayTV-Kultur. „Das heißt nicht, dass es nicht funktionieren kann. Aber es funktioniert halt langsamer.“
Für „Dark“-Regisseur Baran bo Odar ist ein Nischendasein kein Problem. Im Gegenteil: „In Deutschland wird zu wenig in Nischen gedacht“, sagte er der „Welt“. „Das Fernsehen versucht immer, so viel abzudecken, statt zu sagen, lass uns am Anfang nur wenige ansprechen und darauf vertrauen, dass es sich schon rumsprechen wird.“
Doch welchen Effekt haben die Streamingserien auf den deutschsprachigen Markt? Der Trend sei zunächst positiv zu sehen, sagt Trappel. Eigenproduktionen von Netflix & Co. beleben den Wettbewerb – „und lüften inhaltlich durch“. Doch die Entwicklung könnte auch gefährlich sein: „Wenn der Trend anhält, wird es dazu führen, dass die Zahlungsbereitschaft eher bei Netflix als bei österreichischen Anbietern ankommt.“Dazu werde Österreich nicht als eigener Markt wahrgenommen. Deshalb werde es kaum österreichische Produktionen geben. „Das bringt ein Identitätsproblem“, sagt Trappel. „So wird nicht die österreichische Lebensrealität aufgegriffen.“
Trappels Theorie belegt auch ein Blick auf den österreichischen Netflix-Filmkatalog: Filme aus der EU machen zwar 18 Prozent des Angebots aus. Doch eine heimische Produktion fehlt. Wenn 2018 die Serie „Dogs of Berlin“startet, wird sich das immerhin partiell ändern. Die zweite deutsche Netflix-Eigenproduktion wird von Sigi Kamml produziert – einem 50-jährigen Unkener (SN vom 4. 11.).