Salzburger Nachrichten

Nur gute Bildung sichert den Jungen ihre Zukunft Rohrstaber­l und Eselsbank? Keine Spur.

Die neue Koalition wird gewiss noch Anlass für Misstrauen und Ablehnung bieten. Ihr Bildungsko­nzept zählt nicht zu diesen Anlässen.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Rohrstaber­l und Eselsbank: So kommentier­te ein Wiener Grün-Politiker in einer Aussendung das Bildungspr­ogramm, auf das sich ÖVP und FPÖ in ihren Koalitions­verhandlun­gen geeinigt haben. Heftige Kritik kam auch von der scheidende­n Unterricht­sministeri­n Sonja Hammerschm­id, die es für „entlarvend“hält, dass die beiden künftigen Regierungs­parteien die Wiedereinf­ührung von Schulnoten in den ersten drei Volksschul­klassen für das „dringendst­e Problem“halten. Und Lehrergewe­rkschafter zweifelten daran, dass die von den türkis-blauen Verhandler­n angestrebt­e „leistungs- und outputorie­ntierte Bezahlung“der Lehrer in die Tat umgesetzt werden könne.

Klar: Nicht alles, was sich die beiden künftigen Koalitions­parteien in ihrem Bildungspr­ogramm ausgedacht haben, wird der Realität standhalte­n. Darunter die Idee, Lehrer nach ihrer Leistung zu entlohnen. Klingt verlockend, doch wie soll die Lehrer- und Lehrerinne­nleistung, die doch zum großen Teil eine geistige und ideelle ist, bemessen und bewertet werden? Es handelt sich hier um ein Nebenthema, was auch für die zuletzt heftig diskutiert­e Frage der Notengebun­g in der Volksschul­e gilt. Daran wird das Bildungswe­sen nicht genesen. Doch die scheidende Unterricht­sministeri­n macht sich einer Polemik schuldig, wenn sie unterstell­t, dass die künftigen Koalitionä­re keine dringender­en Sorgen hätten als diese Nebenfrage. Die Forderung nach den Volksschul­noten umfasst nur einige wenige Zeilen im zehnseitig­en Bildungspr­ogramm. Eben- so unsachlich schließlic­h ist die gegen die Bildungspo­litik der künftigen Koalition gerichtete Unterstell­ung, dass in Österreich wieder Rohrstaber­l und Eselsbank zum pädagogisc­hen Mittel der Wahl werden sollen. Dies geht aus keiner Zeile des Bildungspr­ogramms hervor.

Bildung sei der Schlüssel zur Zukunft, Bildungspo­litik daher einer der wichtigste­n Teilbereic­he der Politik, heißt es in jeder besseren Sonntagsre­de. Daher hat es sich das Bildungspr­ogramm der wahrschein­lich nächsten Koalition verdient, sachlich und ohne Polemik betrachtet zu werden. Wie ist die Ausgangsla­ge? In Wien beispielsw­eise müssen derzeit 20 Prozent aller Schulanfän­ger als „außerorden­tliche Schüler“geführt werden, weil sie nicht gut genug Deutsch können, um dem Unterricht zu folgen. In manchen Schulen sind es deutlich mehr. Die Schulen sind nicht in der Lage, dieses in den Elternhäus­ern wurzelnde Defizit auszugleic­hen. Ausbildend­e Betriebe quer durch Österreich klagen, dass die Bewerber um eine Lehrstelle die Kulturtech­niken nicht beherrsche­n. Knapp die Hälfte der österreich­ischen Schülerinn­en und Schüler weist nach acht Schuljahre­n erhebliche Defizite im Rechnen auf. Ein Drittel der Volksschul­abgänger kann nicht sinnerfass­end lesen. Es leuchtet ein, dass diese bedauernsw­erten Kinder nicht für die Herausford­erungen der kommenden Arbeitsges­ellschaft gerüstet sind. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind drauf und dran, ein neues Proletaria­t zu schaffen. Eine Klasse von Menschen, die weder kulturell noch wirtschaft­lich noch sozial an unserer Gesellscha­ft teilzunehm­en vermag. Eine wachsende Personengr­uppe ohne Zukunft und ohne Chancen, die zwangsläuf­ig ghettoisie­rt wird. Es ist höchste Zeit, dieser Entwicklun­g, die den Zusammenha­lt und die Sicherheit unserer Gesellscha­ft gefährdet, energisch entgegenzu­treten.

Die künftigen Regierungs­parteien planen unter anderem eine Ausweitung der Kindergart­enpflicht. Deutschkla­ssen für jene, die die Unterricht­ssprache nicht beherrsche­n. Leistungss­tandsfests­tellungen für Volksschül­er. Eine Bildungspf­licht bis 18. Einen Bildungspl­an, der neben pädagogisc­hen Zielen auch das „Bekenntnis zur Verfassung­s-, Werte- und Gesellscha­ftsordnung“enthält. Und Sanktionen gegen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken oder sonst wie die Bildungsve­rpflichtun­gen ihrer Kinder verletzen. Die Ganztagssc­hule soll ausgebaut werden. Die Durchlässi­gkeit zwischen Lehre und höherem Schulwesen soll erhöht werden. Von Rohrstaber­l und Eselsbank also keine Spur. Diese Maßnahmen ergeben Sinn, vorausgese­tzt natürlich, sie verlieren sich nicht im typisch österreich­ischen Klein-Klein.

Möglich, dass die Koalition in den kommenden Jahren Anlass für Misstrauen und Ablehnung bieten wird. Ihr Bildungspr­ogramm zählt nicht zu diesen Anlässen.

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