Nur gute Bildung sichert den Jungen ihre Zukunft Rohrstaberl und Eselsbank? Keine Spur.
Die neue Koalition wird gewiss noch Anlass für Misstrauen und Ablehnung bieten. Ihr Bildungskonzept zählt nicht zu diesen Anlässen.
Rohrstaberl und Eselsbank: So kommentierte ein Wiener Grün-Politiker in einer Aussendung das Bildungsprogramm, auf das sich ÖVP und FPÖ in ihren Koalitionsverhandlungen geeinigt haben. Heftige Kritik kam auch von der scheidenden Unterrichtsministerin Sonja Hammerschmid, die es für „entlarvend“hält, dass die beiden künftigen Regierungsparteien die Wiedereinführung von Schulnoten in den ersten drei Volksschulklassen für das „dringendste Problem“halten. Und Lehrergewerkschafter zweifelten daran, dass die von den türkis-blauen Verhandlern angestrebte „leistungs- und outputorientierte Bezahlung“der Lehrer in die Tat umgesetzt werden könne.
Klar: Nicht alles, was sich die beiden künftigen Koalitionsparteien in ihrem Bildungsprogramm ausgedacht haben, wird der Realität standhalten. Darunter die Idee, Lehrer nach ihrer Leistung zu entlohnen. Klingt verlockend, doch wie soll die Lehrer- und Lehrerinnenleistung, die doch zum großen Teil eine geistige und ideelle ist, bemessen und bewertet werden? Es handelt sich hier um ein Nebenthema, was auch für die zuletzt heftig diskutierte Frage der Notengebung in der Volksschule gilt. Daran wird das Bildungswesen nicht genesen. Doch die scheidende Unterrichtsministerin macht sich einer Polemik schuldig, wenn sie unterstellt, dass die künftigen Koalitionäre keine dringenderen Sorgen hätten als diese Nebenfrage. Die Forderung nach den Volksschulnoten umfasst nur einige wenige Zeilen im zehnseitigen Bildungsprogramm. Eben- so unsachlich schließlich ist die gegen die Bildungspolitik der künftigen Koalition gerichtete Unterstellung, dass in Österreich wieder Rohrstaberl und Eselsbank zum pädagogischen Mittel der Wahl werden sollen. Dies geht aus keiner Zeile des Bildungsprogramms hervor.
Bildung sei der Schlüssel zur Zukunft, Bildungspolitik daher einer der wichtigsten Teilbereiche der Politik, heißt es in jeder besseren Sonntagsrede. Daher hat es sich das Bildungsprogramm der wahrscheinlich nächsten Koalition verdient, sachlich und ohne Polemik betrachtet zu werden. Wie ist die Ausgangslage? In Wien beispielsweise müssen derzeit 20 Prozent aller Schulanfänger als „außerordentliche Schüler“geführt werden, weil sie nicht gut genug Deutsch können, um dem Unterricht zu folgen. In manchen Schulen sind es deutlich mehr. Die Schulen sind nicht in der Lage, dieses in den Elternhäusern wurzelnde Defizit auszugleichen. Ausbildende Betriebe quer durch Österreich klagen, dass die Bewerber um eine Lehrstelle die Kulturtechniken nicht beherrschen. Knapp die Hälfte der österreichischen Schülerinnen und Schüler weist nach acht Schuljahren erhebliche Defizite im Rechnen auf. Ein Drittel der Volksschulabgänger kann nicht sinnerfassend lesen. Es leuchtet ein, dass diese bedauernswerten Kinder nicht für die Herausforderungen der kommenden Arbeitsgesellschaft gerüstet sind. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind drauf und dran, ein neues Proletariat zu schaffen. Eine Klasse von Menschen, die weder kulturell noch wirtschaftlich noch sozial an unserer Gesellschaft teilzunehmen vermag. Eine wachsende Personengruppe ohne Zukunft und ohne Chancen, die zwangsläufig ghettoisiert wird. Es ist höchste Zeit, dieser Entwicklung, die den Zusammenhalt und die Sicherheit unserer Gesellschaft gefährdet, energisch entgegenzutreten.
Die künftigen Regierungsparteien planen unter anderem eine Ausweitung der Kindergartenpflicht. Deutschklassen für jene, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen. Leistungsstandsfeststellungen für Volksschüler. Eine Bildungspflicht bis 18. Einen Bildungsplan, der neben pädagogischen Zielen auch das „Bekenntnis zur Verfassungs-, Werte- und Gesellschaftsordnung“enthält. Und Sanktionen gegen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken oder sonst wie die Bildungsverpflichtungen ihrer Kinder verletzen. Die Ganztagsschule soll ausgebaut werden. Die Durchlässigkeit zwischen Lehre und höherem Schulwesen soll erhöht werden. Von Rohrstaberl und Eselsbank also keine Spur. Diese Maßnahmen ergeben Sinn, vorausgesetzt natürlich, sie verlieren sich nicht im typisch österreichischen Klein-Klein.
Möglich, dass die Koalition in den kommenden Jahren Anlass für Misstrauen und Ablehnung bieten wird. Ihr Bildungsprogramm zählt nicht zu diesen Anlässen.