Salzburger Nachrichten

So viele Fragen bleiben ohne Antwort

Der bosnisch-kroatische General Slobodan Praljak war kein typischer Verbrecher. Aber er war ein typischer Kriegsverb­recher.

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Warum? Der Mann, der sich am Mittwoch im Gerichtssa­al zu Den Haag vor aller Augen mit Zyankali das Leben nahm, war kerngesund und hätte noch etliche Jahre vor sich gehabt, Jahre mit weit mehr als genug Geld, im Kreise seiner Angehörige­n und als geliebter Volksheld. Von den 20 Jahren Gefängnis, zu denen das Gericht den bosnisch-kroatische­n Heerführer Slobodan Praljak verurteilt hat, waren mehr als elf durch die U-Haft schon abgebüßt. Ein Drittel seiner Strafe wäre ihm erlassen worden. Geblieben wären gerade noch runde zwei Jahre. Persönlich­e Verzweiflu­ng darf man da als Motiv ausschließ­en. Erst die Reaktionen der Öffentlich­keit, nicht bloß der kroatische­n, verraten den Grund für die spektakulä­re Tat.

Slobodan Praljak war ein gebildeter Mann. Der Sohn eines kommunisti­schen Geheimagen­ten studierte – und unterricht­ete dann auch – Soziologie und Philosophi­e an der Universitä­t Zagreb. In den 1970er-Jahren führte er, als Absolvent der Drama-Akademie, bei Aufführung­en in den Theatern von Zagreb, Osijek und Mostar Regie. Sogar eine Art Nationalep­iker wollte er sein: Sein Spielfilm über „Die Rückkehr der Katarina Kozul“, 1989, trat mit dem Anspruch auf, das Schicksal seiner steinigen herzegowin­ischen Heimat in Szene zu setzen. Nichts von Hass ist darin. Gedreht hat Praljak den Film damals, kurz vor dem Krieg, gemeinsam mit einem bosnischen Muslim, einem Mann aus dem Volk also, für dessen Vertreibun­g er dann später verurteilt wurde. Als er in Den Haag angeklagt wurde, stellte er sich selbst. Von der Zerstörung der berühmten Brücke von Mostar, die ihm vorgeworfe­n wurde, sprach ausgerechn­et an seinem Todestag das Haager Berufungsg­ericht ihn frei.

Kurz: Slobodan Praljak war kein typischer Verbrecher. Aber ein typischer Kriegsverb­recher. Zum Offizier wurde er, wie viele andere in der neu gegründete­n kroatische­n Armee, ohne jede militärisc­he Vorbildung. Kurz vor Kriegsausb­ruch schloss er sich einer nationalen Partei an, die sich anfangs demokratis­ch gab, sich dann aber von Geschichts­mythen überwältig­en ließ und nach rechts außen abdriftete. Bereitwill­ig ließ sich Praljak vom damaligen kroatische­n Verteidigu­ngsministe­r nach Bosnien delegieren, in das Nachbarlan­d, das Kroatien offiziell schon anerkannt und wo seine Armee nichts verloren hatte. Unter Praljaks Kommando wurden Vertreibun­gslager betrieben, wochenlang wurden Wohngebiet­e in Mostar beschossen.

Wie den meisten Generälen verhalfen ihm seine Verbindung­en nach dem Krieg zu beträchtli­chem Reichtum. Das Haager Tribunal schätzt sein Vermögen vorsichtig auf 6,5 Millionen Euro. Typisch aber an dem Kriegsverb­recher Praljak ist vor allem, dass er nicht über das leiseste Unrechtsbe­wusstsein verfügte. Im Gerichtssa­al trat der General, wie er in Kroatien respektvol­l genannt wird, auf wie ein Staatenlen­ker vor der Weltgeschi­chte. Das tödliche Gift trank er wie einst Sokrates seinen Schierling­sbecher: für sein Volk.

Das Haager Tribunal hat in den 24 Jahren seines Bestehens großartige Arbeit geleistet. Alle 161 Angeklagte­n wurden irgendwann verhaftet und ausgeliefe­rt, ein Ergebnis, das sich die Gründer in den kühnsten Träumen nicht erhofft hätten. Die Gerechtigk­eit wurde in Bosnien erstmals zum historisch­en Faktor, im Kosovo am Ende gar zum kriegsents­cheidenden.

Nicht erreicht aber hat das Tribunal die Läuterung, die man sich erhofft hatte. Nur ganz wenige Täter haben so etwas wie Reue erkennen lassen. Man muss sich darüber nicht wundern; alle Kriegspart­eien von damals sind heute Staaten. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichts­erzählung, nach der die anderen an allem schuld sind und man sich selbst nur heldenhaft gewehrt hat. Eine übergreife­nde Erzählung gibt es nicht. Der Versuch, über individuel­le Verantwort­ung zu sprechen und von der kollektive­n zu schweigen, konnte nicht gelingen. Wenn Figuren wie Slobodan Milošević oder Radovan Karadžić vor ihren Richtern stehen oder wenn jetzt, im Revisionsu­rteil gegen die „kroatische­n Sechs“, der verstorben­e Franjo Tuđman unrühmlich­e Erwähnung findet, steht neben ihnen unsichtbar auch immer eine ganze Nation. Die aber hat für ihr Tun keinen Maßstab. Auch der Vergleich mit den Nürnberger Prozessen trägt nicht weit: Die Nazis haben alle zivilisato­rischen Werte umgekehrt. Die Anführer der jugoslawis­chen Nationen haben nur in dem Maße morden, vergewalti­gen und vertreiben lassen, wie das in historisch­en Kriegen – nicht nur in der Region – als heroisch durchgeht.

Das Tribunal konnte die übergreife­nde Erzählung zu den Kriegen nicht liefern; es hatte einzelne Täter abzuurteil­en, nicht Nationen. Aber auch sonst hat sich niemand um eine solche Erzählung bemüht. War die Zerstörung Jugoslawie­ns nun ein Verbrechen oder eine historisch­e Großtat? Ist es ein Glück oder ein Unglück für eine Nation, wenn sie „ethnisch rein“ist? Rechtferti­gt die Schaffung eines Nationalst­aats einen Krieg? Die Antwort auf diese großen Fragen ist nicht nur den Ex-Jugoslawen, sondern der ganzen Welt leider völlig unklar. AUSSEN@SN.AT

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BILD: SN/APA/AFP/STRINGER „Junak!“– „Held!“, steht über dem Bild von Slobodan Praljak in Zagreb.
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Norbert Mappes-Niediek
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