Erdo˘gan sitzt in der Klemme
Der türkische Staatschef wird in einem Prozess in New York schwer belastet. Gleichzeitig mehren sich die Warnsignale aus der Wirtschaft, der Kurs der Lira fällt.
Es braut sich etwas zusammen über Recep Tayyip Erdoğan. Im New Yorker Prozess um illegale Gold- und Geldtransfers zwischen der Türkei und dem Iran bezeichnet Kronzeuge Reza Zarrab den türkischen Staatschef als Mitwisser. Als Premierminister soll er 2011 grünes Licht für die Transaktionen gegeben haben. Auch der damalige Vizepremier Ali Babacan, ein enger Vertrauter Erdoğans, sei eingeweiht gewesen, sagt Zarrab.
In Ankara glaubt derweil Oppositionschef Kemal Kılıçdaroğlu beweisen zu können, dass Angehörige und enge Mitarbeiter Erdoğans in ebenjener Zeit Millionenbeträge an eine Briefkastenfirma im Steuerparadies Isle of Man überwiesen haben sollen.
Sollten sich die Vorwürfe erhärten, stünde die Türkei vor einer Staatsaffäre, die das Land außenpolitisch lähmen würde. Wie will Erdoğan auf der internationalen Bühne auftreten, wenn sich herausstellt, dass er das Iran-Embargo unterlaufen hat?
Erdoğan ist schon oft politisch totgesagt worden: 2007, als seine Partei knapp einem Verbot durch das türkische Verfassungsgericht entging; 2013 während der landesweiten Massenproteste; und erneut einige Monate später, als schwere Korruptionsvorwürfe hochkamen, die bis in seine unmittelbare Umgebung reichten. Doch Erdoğan hat all diese Krisen überstanden. Seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 hat er mit Massenverhaftungen, „Säuberungen“im Staatsdienst und der Knebelung kritischer Medien seine Macht weiter gefestigt.
In dem New Yorker Prozess werden nun auch die Bestechungsvorwürfe vom Dezember 2013 wieder aufgerollt. Vor allem das macht die politische Brisanz des Gerichtsverfahrens aus. Kein Wunder, dass Ankara mit allen Mitteln versucht, den Prozess zu diskreditieren. Es stellt ihn als Komplott gegen die Türkei dar, angezettelt vom Erdoğan-Erzfeind Fethullah Gülen, der auch als Drahtzieher des Putschversuchs gilt. Dass Gülen die US-Justiz unterwandert haben soll, dass sich Staatsanwälte und Richter des Bundesgerichts in Manhattan zu willigen Werkzeugen Gülens machen, um Erdoğan zu stürzen, klingt absurd. Doch die Mehrzahl der Erdoğan-Anhänger glaubt solchen bizarren Verschwörungstheorien nur zu gern. Aber Anleger und Investoren bekommen zunehmend kalte Füße. Abzulesen ist das am Kurs der Türkischen Lira, die allein im November gegenüber dem Dollar ein Fünftel ihres Werts verlor. Die Türkei ist wie kaum ein zweites Schwellenland auf ausländisches Kapital angewiesen. Bleibt es aus, droht eine schwere Krise. US-Sanktionen gegen türkische Banken nach einem Urteil in New York könnten das Finanzsystem strangulieren.
Die steigenden Arbeitslosenzahlen und die Geldentwertung sind unübersehbare Warnsignale. 2019 muss sich Erdoğan Parlaments- und Präsidentenwahlen stellen. Deren besondere Bedeutung liegt darin, dass mit ihnen das neue Präsidialsystem in Kraft tritt. Es wird die ohnehin große Machtfülle des Präsidenten erweitern. Das Parlament wird weitgehend entmachtet. Wenn die Wähler mitspielen, könnte Erdoğan nach den Regeln der neuen Verfassung bis 2034 durchregieren. Ob diese Rechnung aufgeht, wird immer ungewisser.