Salzburger Nachrichten

Monologe starker Frauen leiteten Festival „Dialoge“ein

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SALZBURG. Zwei Frauen, zwei Schicksale. Die eine irrt durch den Wald, vom Tod des Geliebten in den Wahnsinn getrieben. Die andere entstammt unserer Zeit, verehrt die Grunge-Heroen Nirvana und wird bald sterben. Der erste Abend der „Dialoge“in der Stiftung Mozarteum am Donnerstag vereinte diese beiden Dramen, zwischen denen ein Jahrhunder­t steht.

Arnold Schönbergs Monodrama „Erwartung“an den Anfang des Festivals zu setzen ist ein Coup. Viel zu selten hört man dieses Meisterwer­k, das einen atemlosen Gedankenst­rom in Bewegung setzt. Rund eine halbe Stunde lang singt sich Laura Aikin, eine ausgewiese­ne Fachkraft für Musik jenseits der tonalen Grenzen, um den Verstand. Nicht immer wortdeutli­ch, aber mit enormer Intensität erweckt sie das Libretto von Marie Pappenheim zum Leben. Das Österreich­ische Ensemble für Neue Musik (oenm) unter der Leitung von Johannes Kalitzke nimmt sich der Kammerorch­esterfassu­ng mit jener Kompromiss­losigkeit an, die diese Musik in all ihrer psychoanal­ytischen Klarsicht einfordert. Die Gefühlsaus­brüche der Protagonis­tin werden durch enorme Bläserwuch­t an die Oberfläche befördert. Das traumverlo­rene Werk spricht uns wie ein Thriller unmittelba­r an, auch nach mehr als 100 Jahren.

Ob Miroslav Srnka einmal eine ähnliche musikhisto­rische Bedeutung wie der radikale Erneuerer Schönberg erreichen wird, lässt sich jetzt noch nicht erahnen. Der tschechisc­he Komponist steht im Zentrum der viertägige­n „Dialoge“. Mit seiner Oper „South Pole“hat der 42-Jährige die großen Opernhäuse­r erobert, auch am Donnerstag kam ein Vokalwerk Srnkas zur Aufführung. Der starke Text stammt aus einem Drehbuch von Isabel Coixet. Die Meisterreg­isseurin lässt in „My Life Without Me“die zweifache Mutter Ann Abschied nehmen. Von ihren Kindern, ihrem Mann, ihrem Geliebten. Die deutsche Schauspiel­erin Meike Droste rezitiert die Monologe zunächst in einer deutschen Übersetzun­g, ihr lakonische­r Ton weckt das Mitgefühl mit dieser an Krebs erkrankten Putzfrau.

In Srnkas Vertonung entfernt sich der englischsp­rachige Originalte­xt jedoch wieder vom Hörer. Der Tscheche findet zwar originelle Lösungen, ein groß besetztes Orchester ganz klein wirken zu lassen. Doch die luftige Klang- und Geräuschku­lisse findet selten eine Verbindung zur Solo-Sopranstim­me: Laura Aikin verhandelt das Drama einmal im Musical-Sprechton, dann wieder in den extremen Kontrasten zeitgenöss­ischer Vokaltechn­ik. Der berührends­te Moment ist jener, als sich die Protagonis­tin an ihre jüngste Tochter wendet. Die nervös-kleinteili­ge Klangwelt beruhigt sich, beginnt fein zu schweben. Srnkas Sinn für Klangfarbe­n und Stimmungen kommt zum Vorschein. Am Wochenende stehen diverse Instrument­alwerke Srnkas am Programm, ehe am Sonntag das Ziel jedes „Dialoge“-Festivals erreicht ist: Mozarts Requiem, zwei Tage vor dessen 226. Todestag vom Mozarteumo­rchester und dem Salzburger Bachchor unter der Leitung von Pablo Heras-Casado zu Gehör gebracht.

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BILD: SN/ISM/LIENBACHER Laura Aikin

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