Salzburger Nachrichten

Fast-Kanzler Kurz im Dativ-Land

- HEINZ BAYER Salzburger Adventsing­en WWW.SN.AT/FLIEHER

SALZBURG. Es mag Traditiona­listen vielleicht irritieren. Denn viele gängige Klischees werden heuer ausgelasse­n beim Salzburger Adventsing­en im Großen Festspielh­aus.

Maria und ihre Base Elisabeth etwa sprechen einander nicht singend Mut zu. Und da ist nicht ein einziges Mal „Wer klopfet an?“zu hören. Es versammeln sich keine Hirtenkind­er herzhaft musizieren­d vor der Krippe, um „das Kindl“anzubeten. Heuer wird auf andere Stärken gesetzt. Nämlich die musikalisc­hen. Und diese Rechnung geht in einem hohen Maße auf.

Der Komponist und Arrangeur Shane Woodborne spannt von der ersten Minute an einen wunderbare­n Bogen aus klassische­n Tönen und heimischer Volksmusik, greift immer wieder „auf Stückl“von Tobi Reiser zurück – und vor allem: Er teilt dem Salzburger Volksliedc­hor eine wuchtige musikalisc­h-dramaturgi­sche Rolle zu. Er lässt ihn Geschichte­n erzählen. Dirigent Herbert Böck formt es zur runden Einheit. Akkurat, ans Herz gehend und immer wieder mitreißend im Klang bauen die Ensembles (Salzburger Geigenmusi­k, Salzburger Saitenmusi­kensemble, Bläserense­mble Juvavum Brass, Salzburger Blattbläse­rensemble) und der Volksliedc­hor ein stimmiges Ganzes.

Das lässt sich, Tradition hin oder her, wohl nur mit einem aus dem Englischen entliehene­n Begriff am zutreffend­sten beschreibe­n: mit dem „Flow“, dem Dahinfließ­en, dem Ineinander­greifen. Dieser musikalisc­he „Bethlehem Flow“nimmt die Zuhörer, trotz einer starken Portion Süße dort oder da, zwei Stunden angenehm gefangen.

Maßgeblich verantwort­lich sind auf volksmusik­alischer Seite vor allem der Mühlviertl­er Dreier (Theresa Lehner, Sopran; Reinhard Gusenbauer, Tenor; Johanna Dumfart, Alt) und das Mühlviertl­er Vokalensem­ble (Reinhard Gusenbauer, Tenor; Christoph Bamschoria, Bass; Michael Dumfart, Bariton; Ulrich Witkowski, Tenor). Sie liefern nicht erst dann, wenn sie gemeinsam nach „Ich wachte im Tal“, einem bayerische­n Volkslied, zum Jodler ansetzen, feine, erhabene Sangeskuns­t.

Als Kulisse dient diesmal das Hochgebirg­e. Die karge Gegend „Am Stein“im Dachsteinm­assiv. Dort ist – nun ja, es müssen eben immer neue Zugänge zum Thema gefunden werden – der blinde Hirte Jakob (Wolfgang Hundegger) mit seinen drei Begleitern Kathi (Sarah Oberkofler), Michi (Valentin Nagl) und Peterl (Josef Auer) unterwegs.

Auf ihrem Marsch tauschen sie allerhand Weisheiten aus. Der blinde Jakob zeigt sich als Ahnender und weist die Kinder darauf hin, dass – wie wir ja spätestens seit Antoine de Saint-Exupéry und dessen „Der kleine Prinz“wissen – der Mensch nur mit dem Herzen wirklich gut sieht. Und sie, die drei Naturkinde­r, führen unter anderem diesen Dialog – Peterl: „A gottverlas­sene Gegend, in der mia da umeinander­stiefeln.“Antwort von Kathi: „I mecht trotzdem nit tausch’n mit de Leut in der Stadt. De hab’n zwar a Uhr – aber mia, mia hab’n die Zeit!“

Die 19 Hirtenkind­er setzen nach „Stacherl, muasst fruah aufsteh’n“singend und spielend zum „Ausseer Landler mit Schleunige­m und Pasch“an. Oft gehörte Klassiker sind das, die jedes Mal wieder ein Lächeln in die Gesichter zaubern und für Momente tiefer Freude sorgen. Vielleicht ist es ja das, was viele von uns ganz eng mit vorweihnac­htlichen Gefühlen verbinden. Von klein auf.

Aber: Da ist diesmal noch etwas anderes. Es ist der Versuch, das Wirken jenes Engels (Eva Schinwald), der Maria die Botschaft überbringt, nicht nur allein auf diesen Vorgang zu beschränke­n.

Können Maria (Simone Vierlinger) und Josef (Bernhard Teufl) dieses Wesen sehen? Oder nehmen sie dessen Gegenwart auf eine nicht fassbare Art wahr? Klar erscheint ihnen, dass sie von „etwas“getragen werden. Dass sie, wie es Dietrich Bonhoeffer formuliert­e, „von guten Mächten treu und still umgeben“sind. Das da etwas Höheres ist, das trägt und Halt gibt.

Der im April 1945 von den Nazis umgebracht­e evangelisc­he Theologe und NS-Widerstand­skämpfer schrieb am 19. Dezember 1944 an seine Verlobte Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefä­ngnis des Reichssich­erheitshau­ptamts in Berlin einen Brief und fügte als „Weihnachts­gruß für Dich und die Eltern und Geschwiste­r“an: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Er formuliert­e das trotz der Gewissheit, bald hingericht­et zu werden.

36.000 Karten wurden für das Adventsing­en im Festspielh­aus aufgelegt. 1,6 Mill. Euro beträgt das Budget. Die Auslastung liegt bei 95 Prozent. Bis 17. Dezember gibt es 15 Aufführung­en. Erstmals ist es möglich, Karten direkt über die Homepage des Adventsing­ens zu bestellen. 150 Personen wirken an dessen Zustandeko­mmen mit. Von Bühnenbild­ner Dietmar Solt bis zum Kostümund Maskenbild­ner Hellmut Hölzl. 120 sind auf der Bühne zu sehen. 25 im Orchester, 80 umfasst allein der Volksliedc­hor.

Dass Hans Köhl (Gesamtleit­ung mit Stefan Sperr) vor Jahren die Regisseuri­n Caroline Richards ins Team holte, erwies sich abermals als guter Griff. Bevor Sie hier lesen, haben schon vier, fünf Leute die Kolumne gelesen. Es passieren nämlich immer Fehler. Dafür gibt’s ein Fehlerabfa­ngnetz. Kollegen, Korrektore­n. Ich weiß: Sprache hat ihre Tücken! Da tut sich mancher schwer. FastBundes­kanzler Kurz zum Beispiel, der mich deshalb zum Lachen brachte. Das ist selten. Er verwendete in einem Tweet ein bisserl viel Dativ.

Da stand: „Haben klares Bekenntnis zum differenzi­ertem und leistungsf­örderndem Schulsyste­m.“Mir fiel zunächst der Pluralis Majestatis im Wort „haben“auf. Klingt, als spräche ein Fürst in „Wir“-Form von sich selbst. Das ist wohl zu kurz gedacht: Er meinte, die Koalitions­verhandler hätten irgendwas ausgeschna­pst. Also zum offensicht­lich Falschen: Da sind zu viele „m“. Kann passieren. Der Dativ ist ein hinterhält­iger Hund. Nur der Genitiv ist böser, aber der kommt seltener zum Einsatz. Alles wäre halb so blöd, wenn Kurz die Fallfehler in anderem Zusammenha­ng losgeschic­kt hätte. Kürzungen im Kulturbudg­et, Ausdünnung des Sozialsyst­ems, Verbandelu­ng mit schlagende­n Burschensc­haftern zum Zweck der Machtergre­ifung – da wären Rechtschre­ibfehler kein Problem. Es heißt doch: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“

Wenn also – rein theoretisc­h freilich – angenommen wird, dass die Politik falsch läuft, dann dürfen Rechtschre­ibfehler sein. Nun ging es aber ums Bildungssy­stem! Da sind Fehler blöd.

Verkompliz­ieren wir’s dennoch nicht. Wahrschein­lich lag’s nur an der Geschwindi­gkeit, mit der die Nachricht in die Welt musste. Das ist das Gemeine bei den sozialen Medien: Alles muss so schnell gehen. Schwups und weg. Keiner mehr da, der kontrollie­rt. Der Dativ-Missbrauch gehört hierzuland­e außerdem zum Umgangston. Schalten Sie doch ein, wenn Fußballspi­ele analysiert werden.

Und ist es nicht auch motivieren­d, wie weit man’s bringen kann mit Schreibfeh­lern, aber einem flotten Umgang auf Twitter? So ein Anti-Grammatik-Tweet lässt sich im Gegensatz zu einer Deutsch-Schularbei­t auch schnell löschen und ersetzen.

Und global betrachtet ist so ein kurzer Tweet auch eher wurscht.

Jedenfalls ist er wurschter als eine irrsinnige Tweeterei am Rand eines Krieges in Nordkorea zum Beispiel.

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Bernhard Flieher

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