Fast-Kanzler Kurz im Dativ-Land
SALZBURG. Es mag Traditionalisten vielleicht irritieren. Denn viele gängige Klischees werden heuer ausgelassen beim Salzburger Adventsingen im Großen Festspielhaus.
Maria und ihre Base Elisabeth etwa sprechen einander nicht singend Mut zu. Und da ist nicht ein einziges Mal „Wer klopfet an?“zu hören. Es versammeln sich keine Hirtenkinder herzhaft musizierend vor der Krippe, um „das Kindl“anzubeten. Heuer wird auf andere Stärken gesetzt. Nämlich die musikalischen. Und diese Rechnung geht in einem hohen Maße auf.
Der Komponist und Arrangeur Shane Woodborne spannt von der ersten Minute an einen wunderbaren Bogen aus klassischen Tönen und heimischer Volksmusik, greift immer wieder „auf Stückl“von Tobi Reiser zurück – und vor allem: Er teilt dem Salzburger Volksliedchor eine wuchtige musikalisch-dramaturgische Rolle zu. Er lässt ihn Geschichten erzählen. Dirigent Herbert Böck formt es zur runden Einheit. Akkurat, ans Herz gehend und immer wieder mitreißend im Klang bauen die Ensembles (Salzburger Geigenmusik, Salzburger Saitenmusikensemble, Bläserensemble Juvavum Brass, Salzburger Blattbläserensemble) und der Volksliedchor ein stimmiges Ganzes.
Das lässt sich, Tradition hin oder her, wohl nur mit einem aus dem Englischen entliehenen Begriff am zutreffendsten beschreiben: mit dem „Flow“, dem Dahinfließen, dem Ineinandergreifen. Dieser musikalische „Bethlehem Flow“nimmt die Zuhörer, trotz einer starken Portion Süße dort oder da, zwei Stunden angenehm gefangen.
Maßgeblich verantwortlich sind auf volksmusikalischer Seite vor allem der Mühlviertler Dreier (Theresa Lehner, Sopran; Reinhard Gusenbauer, Tenor; Johanna Dumfart, Alt) und das Mühlviertler Vokalensemble (Reinhard Gusenbauer, Tenor; Christoph Bamschoria, Bass; Michael Dumfart, Bariton; Ulrich Witkowski, Tenor). Sie liefern nicht erst dann, wenn sie gemeinsam nach „Ich wachte im Tal“, einem bayerischen Volkslied, zum Jodler ansetzen, feine, erhabene Sangeskunst.
Als Kulisse dient diesmal das Hochgebirge. Die karge Gegend „Am Stein“im Dachsteinmassiv. Dort ist – nun ja, es müssen eben immer neue Zugänge zum Thema gefunden werden – der blinde Hirte Jakob (Wolfgang Hundegger) mit seinen drei Begleitern Kathi (Sarah Oberkofler), Michi (Valentin Nagl) und Peterl (Josef Auer) unterwegs.
Auf ihrem Marsch tauschen sie allerhand Weisheiten aus. Der blinde Jakob zeigt sich als Ahnender und weist die Kinder darauf hin, dass – wie wir ja spätestens seit Antoine de Saint-Exupéry und dessen „Der kleine Prinz“wissen – der Mensch nur mit dem Herzen wirklich gut sieht. Und sie, die drei Naturkinder, führen unter anderem diesen Dialog – Peterl: „A gottverlassene Gegend, in der mia da umeinanderstiefeln.“Antwort von Kathi: „I mecht trotzdem nit tausch’n mit de Leut in der Stadt. De hab’n zwar a Uhr – aber mia, mia hab’n die Zeit!“
Die 19 Hirtenkinder setzen nach „Stacherl, muasst fruah aufsteh’n“singend und spielend zum „Ausseer Landler mit Schleunigem und Pasch“an. Oft gehörte Klassiker sind das, die jedes Mal wieder ein Lächeln in die Gesichter zaubern und für Momente tiefer Freude sorgen. Vielleicht ist es ja das, was viele von uns ganz eng mit vorweihnachtlichen Gefühlen verbinden. Von klein auf.
Aber: Da ist diesmal noch etwas anderes. Es ist der Versuch, das Wirken jenes Engels (Eva Schinwald), der Maria die Botschaft überbringt, nicht nur allein auf diesen Vorgang zu beschränken.
Können Maria (Simone Vierlinger) und Josef (Bernhard Teufl) dieses Wesen sehen? Oder nehmen sie dessen Gegenwart auf eine nicht fassbare Art wahr? Klar erscheint ihnen, dass sie von „etwas“getragen werden. Dass sie, wie es Dietrich Bonhoeffer formulierte, „von guten Mächten treu und still umgeben“sind. Das da etwas Höheres ist, das trägt und Halt gibt.
Der im April 1945 von den Nazis umgebrachte evangelische Theologe und NS-Widerstandskämpfer schrieb am 19. Dezember 1944 an seine Verlobte Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin einen Brief und fügte als „Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister“an: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Er formulierte das trotz der Gewissheit, bald hingerichtet zu werden.
36.000 Karten wurden für das Adventsingen im Festspielhaus aufgelegt. 1,6 Mill. Euro beträgt das Budget. Die Auslastung liegt bei 95 Prozent. Bis 17. Dezember gibt es 15 Aufführungen. Erstmals ist es möglich, Karten direkt über die Homepage des Adventsingens zu bestellen. 150 Personen wirken an dessen Zustandekommen mit. Von Bühnenbildner Dietmar Solt bis zum Kostümund Maskenbildner Hellmut Hölzl. 120 sind auf der Bühne zu sehen. 25 im Orchester, 80 umfasst allein der Volksliedchor.
Dass Hans Köhl (Gesamtleitung mit Stefan Sperr) vor Jahren die Regisseurin Caroline Richards ins Team holte, erwies sich abermals als guter Griff. Bevor Sie hier lesen, haben schon vier, fünf Leute die Kolumne gelesen. Es passieren nämlich immer Fehler. Dafür gibt’s ein Fehlerabfangnetz. Kollegen, Korrektoren. Ich weiß: Sprache hat ihre Tücken! Da tut sich mancher schwer. FastBundeskanzler Kurz zum Beispiel, der mich deshalb zum Lachen brachte. Das ist selten. Er verwendete in einem Tweet ein bisserl viel Dativ.
Da stand: „Haben klares Bekenntnis zum differenziertem und leistungsförderndem Schulsystem.“Mir fiel zunächst der Pluralis Majestatis im Wort „haben“auf. Klingt, als spräche ein Fürst in „Wir“-Form von sich selbst. Das ist wohl zu kurz gedacht: Er meinte, die Koalitionsverhandler hätten irgendwas ausgeschnapst. Also zum offensichtlich Falschen: Da sind zu viele „m“. Kann passieren. Der Dativ ist ein hinterhältiger Hund. Nur der Genitiv ist böser, aber der kommt seltener zum Einsatz. Alles wäre halb so blöd, wenn Kurz die Fallfehler in anderem Zusammenhang losgeschickt hätte. Kürzungen im Kulturbudget, Ausdünnung des Sozialsystems, Verbandelung mit schlagenden Burschenschaftern zum Zweck der Machtergreifung – da wären Rechtschreibfehler kein Problem. Es heißt doch: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“
Wenn also – rein theoretisch freilich – angenommen wird, dass die Politik falsch läuft, dann dürfen Rechtschreibfehler sein. Nun ging es aber ums Bildungssystem! Da sind Fehler blöd.
Verkomplizieren wir’s dennoch nicht. Wahrscheinlich lag’s nur an der Geschwindigkeit, mit der die Nachricht in die Welt musste. Das ist das Gemeine bei den sozialen Medien: Alles muss so schnell gehen. Schwups und weg. Keiner mehr da, der kontrolliert. Der Dativ-Missbrauch gehört hierzulande außerdem zum Umgangston. Schalten Sie doch ein, wenn Fußballspiele analysiert werden.
Und ist es nicht auch motivierend, wie weit man’s bringen kann mit Schreibfehlern, aber einem flotten Umgang auf Twitter? So ein Anti-Grammatik-Tweet lässt sich im Gegensatz zu einer Deutsch-Schularbeit auch schnell löschen und ersetzen.
Und global betrachtet ist so ein kurzer Tweet auch eher wurscht.
Jedenfalls ist er wurschter als eine irrsinnige Tweeterei am Rand eines Krieges in Nordkorea zum Beispiel.