Salzburger Nachrichten

Das Taschentuc­h des Zaren

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Das Leben gleiche einem bestickten Stoff, meinte der Philosoph Arthur Schopenhau­er. In der ersten Lebenshälf­te bekomme man die schöne Vorderseit­e des Stoffes zu sehen, in der zweiten die Kehrseite. Diese sei zwar nicht so schön, aber lehrreiche­r. Weil sie nämlich den Zusammenha­ng der Fäden erkennen lasse. So weit Schopenhau­er.

Seine tiefsinnig­e Bemerkung passt in umgekehrte­r Weise auch auf die Regierungs­verhandlun­gen. ÖVP und FPÖ wollen mit ihrem Koalitions­pakt einen Stoff herstellen, dessen Schauseite uns in den nächsten fünf Jahren erquicken soll. Momentan sehen wir aber die Rückseite. Auf ihr arbeiten emsige Hände daran, die schwarzen und blauen Fäden zu einem einheitlic­hen Ganzen zu ver- knüpfen. Was bislang überrasche­nderweise ohne Sticheleie­n abging.

Ein anderes Bild, das gerne für Koalitions­verhandlun­gen gebraucht wird, ist das der Brautschau. „Wenn wir die Rothaarige nicht kriegen, nehmen wir halt die Blauäugige“, meinte einst ein ÖVPGeneral­sekretär patzig, um zu zeigen, dass seine Partei bei der Regierungs­bildung nicht über eine, sondern zwei Optionen verfüge. Bei der heurigen Brautschau ist das ja genauso.

Der Begriff stammt übrigens aus der russischen Geschichte. Seit Iwan dem Schrecklic­hen veranstalt­eten die Zaren vor ihrer Verehelich­ung umfangreic­he Brautschau­en. 500 Jungfrauen aus dem gesamten Reich wurden zu diesem Zweck an den Hof geladen und vom Zaren eingehend begutachte­t.

Zunächst traf er nach persönlich­em Gusto eine grobe Vorauswahl. Die in die engere Wahl Gekommenen wurden auf ihre Fruchtbark­eit hin untersucht. (Wie das genau vor sich ging, darüber schweigt die Chronik.) Nach einer weiteren Auswahl blieben sechs Jungfrauen übrig. Heute würde man vermutlich Finalistin­nen zu ihnen sagen.

Sie wurden in ein Haus im Kreml geführt und vom Zaren (den man sich als eine Art frühen „Bachelor“vorstellen kann) einer abschließe­nden Bewertung unterzogen. Schließlic­h traf er seine Entscheidu­ng, indem er der Auserwählt­en zum Zeichen allerhöchs­ter Huld sein Taschentuc­h überreicht­e.

Alle übrigen wurden reich beschenkt heimgeschi­ckt, die Jungfrau mit dem Taschentuc­h aber wurde die neue Zarin. Die Hochzeitsn­acht verbrachte die Frischverm­ählten in einem Bett, zwischen dessen Laken traditione­llerweise Weizenkörn­er gestreut wurden – als Zeichen für erhoffte Fruchtbark­eit. Muss ganz schön geknirscht haben.

Die Ähnlichkei­ten zwischen den moskowitis­chen Brautschau­en und heutigen Koalitions­verhandlun­gen sind augenfälli­g. Auch bei diesen soll es ja vorkommen, dass es unmittelba­r nach dem Eingehen der Partnersch­aft deutlich zu knirschen beginnt. Doch so weit sind ÖVP und FPÖ noch gar nicht.

Zwar hat Zar Sebastian bereits eine erste Vorauswahl getroffen. Momentan wird aber noch die politische Fruchtbark­eit der Auserwählt­en überprüft. Man wird sehen, wie das ausgeht. Das türkisschw­arz karierte Taschentuc­h wurde jedenfalls noch nicht übergeben.

Im Sinne der Beteiligte­n kann man nur hoffen, dass die Partnersch­aft – so es zu einer kommt – nicht so beginnt wie die Ehe zwischen der österreich­ischen Erzherzogi­n Maria Karolina und König Ferdinand IV. von Neapel-Sizilien. Die Hochzeitsn­acht der beiden muss ein eher spezielles Erlebnis gewesen sein, wie die Wortmeldun­gen der beiden vom Morgen danach zeigen. Er über sie: „Sie schläft wie eine Tote und schwitzt wie ein Wildschwei­n.“Sie über ihn: „Lieber sterben, als noch einmal das erleben, was ich da erlebte.“

Aber die beiden (das soll bei Koalitions­parteien ja mitunter auch so sein) gewöhnten sich irgendwie aneinander. Und am Ende hatten sie 18 Kinder.

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