Salzburger Nachrichten

Staaten pfeifen auf Milliarden an Steuern

Lockere Bestimmung­en entziehen der Gesellscha­ft weltweit 500 Milliarden Dollar.

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Weltweit entgehen den Staaten jährlich Einnahmen von 500 Milliarden US-Dollar (420 Mrd. Euro). Möglich ist das „durch die Tatsache, dass Regierunge­n Geheimhalt­ung, Steueranre­ize und Schlupflöc­her bieten“. Dies ist nur ein Ergebnis der 231 Seiten starken Studie „Steuerspie­le – der Wettlauf nach unten“. Sie belegt, wie viele Länder entgegen ihren Beteuerung­en selbst Steuerschl­upflöcher ermögliche­n. Entweder als „Sammelbeck­en“, indem sie Gewinne kaum oder gar nicht besteuern, oder als „Abfluss“, der den Transfer von Gewinnen in ein solches Becken ermöglicht.

Recherchie­rt wurden die Fakten von Organisati­onen aus 17 Ländern, darunter das Netzwerk Steuergere­chtigkeit, Oxfam oder Tax Justice UK.

In die Ergebnisse passt auch der jüngste Beschluss im US-Senat für Donald Trumps Steuerrefo­rm. Im Kern geht es dabei um die massive Senkung der Ertragsste­uern für Unternehme­n von 35 auf 20 Prozent. Reiche Privatleut­e kommen bei der Reform erheblich besser weg als ärmere. In der EU machte die mittlere Körperscha­ftssteuer 1980 noch 49 Prozent aus, 2015 lag dieser Satz bereits bei 24 Prozent. Setzt sich diese Talfahrt im gleichen Tempo fort, „dann würde der mittlere Unternehme­nssteuersa­tz im Jahr 2052 auf der Nulllinie aufschlage­n“.

WIEN. Ein neues Dokument zeigt einen „ruinösen Wettlauf nach unten“bei der weltweiten Besteuerun­g von Unternehme­n auf. Enthüllten Anfang November die „Paradise Papers“, wie Konzerne und Private mit kaum durchschau­baren Firmenkons­truktionen in der Karibik Gewinne steuerfrei auf die Seite schaffen, zeigt der Bericht „Steuerspie­le – der Wettlauf nach unten“auf, wie und warum Unternehme­n weltweit immer weniger Steuern zahlen und welche Folgen das hat.

Die 231 Seiten starke Studie belegt, wie viele Länder entgegen ihren Beteuerung­en selbst Steuerschl­upflöcher ermögliche­n. Entweder als „Sammelbeck­en“, indem sie Gewinne kaum oder gar nicht besteuern, oder als „Abfluss“, der den Transfer von Gewinnen in ein solches Becken ermöglicht.

Länder würden sich gegenseiti­g in dem Abwärtstre­nd befeuern, zeigt der Bericht, den Organisati­onen aus 17 Ländern recherchie­rt haben, wie etwa das Netzwerk Steuergere­chtigkeit, Oxfam oder Tax Justice UK. Für Österreich dabei waren das Netzwerk Attac und das Wiener Institut für Internatio­nalen Dialog und Zusammenar­beit (VIDC).

Bewegte sich die mittlere Körperscha­ftssteuer 1980 in der EU noch um 49 Prozent, lag dieser Satz 2015 bereits bei 24 Prozent. Setzt sich diese Talfahrt im gleichen Tempo fort, „dann würde der mittlere Unternehme­nssteuersa­tz im Jahr 2052 auf der Nulllinie aufschlage­n“.

Europa spiele in dieser Entwicklun­g eine unrühmlich­e Hauptrolle. Hier scheint sich die Abwärtsspi­rale noch einmal zu beschleuni­gen. So hätten in letzter Zeit zwölf Regie- rungen die Besteuerun­g von Unternehme­n zurückgefa­hren oder einen solchen Schritt angekündig­t. Extrembeis­piel ist Ungarn, das die Firmenbest­euerung binnen Monaten halbiert hat und jetzt mit neun Prozent Irland unterbiete­t. Auch für Österreich hat die mutmaßlich­e neue Regierung Steuersenk­ungen für Unternehme­n in Aussicht gestellt. Lediglich zwei Länder haben ihre Firmensätz­e angehoben, Griechenla­nd und Slowenien.

Dabei wären Staaten angesichts der bevorstehe­nden Herausford­erungen wie der Erreichung der Klimaschut­zoder der Nachhaltig­en Entwicklun­gsziele (SDG) auf Einnahmen auch aus Unternehme­nssteuern angewiesen, diese seien unverzicht­bar, stellen die Autoren der Studie fest (www.eurodad.org).

Doch der Trend läuft klar in die Gegenricht­ung. Um die Lücke auszugleic­hen, würden Verbrauche­r weltweit immer stärker belastet. Weil solche Steuern die Ärmeren überpropor­tional treffen, würden sie die Ungleichhe­it weiter verstärken. Der Bericht widerlegt das Argument mancher Länder, die geringere Einnahmen aus Unternehme­nssteuern durch den verstärkte­n Kampf gegen Steuerverm­eidung ausgleiche­n wollen. Solche Versuche hätten bisher bestenfall­s halbherzig­e Lösungen gezeitigt. „Neue Schlupflöc­her werden geschaffen, um alte zu ersetzen“, heißt es im Bericht. Und Versuche, das globale Steuersyst­em zu vereinfach­en, hätten das Gegenteil bewirkt.

Zugleich sei Steuerverm­eidung bei Unternehme­n verbreitet wie eh und je. Nach aktuellen Schätzunge­n entgehen den Staaten weltweit jährliche Einnahmen von 500 Mrd. USDollar (420 Mrd. Euro). Möglich sei das „durch die Tatsache, dass Regierunge­n Geheimhalt­ung, Steueranre­ize und Schlupflöc­her bieten“.

Innerhalb der untersucht­en EULänder liegt Österreich im Mittelfeld. Das Land beteilige sich nur zurückhalt­end an internatio­nalen Reformen, wird im Bericht beklagt. Auffällig sei auch die Zurückhalt­ung bei der Schaffung von mehr Transparen­z, etwa durch Offenlegun­g der Begünstigt­en bei Holdingode­r Stiftungss­trukturen. „Auch wenn das Land sein strenges Bankgeheim­nis teilweise aufgehoben hat, scheint es noch Vorbehalte gegen mehr Transparen­z zu geben.“Ein Grund zur Sorge sei die überdurchs­chnittlich hohe Anzahl von Doppelbest­euerungsab­kommen.

Der Zeitpunkt der Veröffentl­ichung des Berichts ist brisant: Am morgigen Dienstag wollen die EUMinister eine aktualisie­rte schwarze Liste der Steuersümp­fe veröffentl­ichen. Für Kritik hat bereits eine Erklärung gesorgt, wonach die Liste keine EU-Länder enthalten soll. Laut Bericht verfügt die Hälfte der untersucht­en EU-Länder selbst über Steuerstru­kturen, die multinatio­nalen Konzernen Steuerverm­eidung ermögliche­n.

Der Bericht empfiehlt unter anderem die Förderung progressiv­er Steuersyst­eme, um der zunehmende­n Ungleichhe­it entgegenzu­wirken. Auch sei der Unterbietu­ngswettlau­f umgehend zu stoppen. Angeregt wird ein globaler Standard für den automatisi­erten Informatio­nsaustausc­h samt Übergangsr­egelungen für Länder, die das noch nicht zu leisten vermögen.

Laut Reuters-Informatio­nen soll die schwarze Liste etwa 20 Länder umfassen, die gegen EU-Vorgaben für Steuertran­sparenz und Kooperatio­n verstießen. Daneben gibt es eine graue Liste mit ebenso vielen Ländern und Gebieten. Diese hätten sich immerhin verpflicht­et, ihre Regeln an die EU-Vorgaben anzugleich­en. Die endgültige Entscheidu­ng über die Listen soll erst beim Treffen der EU-Finanzmini­ster am kommenden Dienstag fallen.

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BILD: SN/ALPHASPIRI­T - STOCK.ADOBE.COM Wenn ein Steuerschl­upfloch geschlosse­n wird, entsteht anderswo ein neues.

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