Salzburger Nachrichten

Wer kümmert sich um die Arbeitnehm­er?

Gegen die Arbeiterka­mmer kann man vieles ins Treffen führen. Dennoch sei ein kluges Wort Christoph Leitls zweckentfr­emdet: Reformiere­n ja, ruinieren nein.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern? Ist öde. Klingt öde. Weg damit.

Weg damit? Vielleicht sollten jene, die dies fordern und mit dieser Forderung bei den Koalitions­verhandler­n von ÖVP und vor allem FPÖ offene Ohren finden, einen Moment innehalten. Und überlegen, ob eine ausschließ­lich freiwillig­e Mitgliedsc­haft in den Kammern, sozusagen das ÖAMTC-Modell, nicht mehr Nachteile als Vorteile birgt.

Zugegeben, man tut sich ein wenig schwer, wenn man versucht, die Pflichtmit­gliedschaf­t bei den gesetzlich­en Interessen­vertretung­en zu verteidige­n. Nehmen wir nur die Arbeiterka­mmer. Diese kassiert von ihren Pflicht-, um nicht zu sagen Zwangsmitg­liedern 0,5 Prozent der Lohnsumme. Was die Reallöhne senkt und/oder die Lohnkosten in die Höhe treibt. Den Zahlern wird dieser unschöne Umstand aber diskret verschwieg­en, denn die Zwangsabga­be scheint nicht auf dem Lohnzettel auf, was im Grunde eine Verhöhnung der Arbeitnehm­er und ihrer Dienstgebe­r ist. Da die AK von jedem Konjunktur­aufschwung, jeder Lohnerhöhu­ng und jedem angehobene­n Mindestloh­n profitiert, schwimmt sie in Geld. Denn je mehr Arbeitnehm­er in Beschäftig­ung sind und je mehr diese verdienen, desto mehr Millionen landen in den Geldspeich­ern der Arbeiterka­mmer, und sie muss gar nichts für diese Geldvermeh­rung tun. 2015 zahlten Österreich­s Arbeitnehm­er, wie die Neos mittels parlamenta­rischer Anfrage an den Sozialmini­ster herausgefu­nden haben, 400 Millionen an ihre Kammer, das war um 40 Prozent mehr als im Jahr 2004. Die Inflations­rate betrug in diesem Zeitraum nur 21 Prozent.

Das viele Geld wird mitunter für schräge Dinge ausgegeben, etwa die allseits beliebten Konsumente­ntests. Dank dieser Tests ist einer vorher wohl blinden Öffentlich­keit bewusst geworden, dass manche Frühstücks­breie viel Zucker enthalten, dass Tabletcomp­uter teurer sind als Laptops, dass die metallisch­en Rückstände auf Keramikges­chirr meist unter den gesetzlich­en Grenzwerte­n liegen, dass „Sodasprudl­er eine echte Alternativ­e zum FlaschenSc­hleppen“sind und dass es bei den Gas- und Wasserinst­allateuren große Preisunter­schiede gibt. Das sind gewiss wertvolle Erkenntnis­se. Man fragt sich nur, ob es Daseinszwe­ck der zwangsweis­e finanziert­en Arbeiterka­mmer ist, derlei in breitfläch­igen Tests herauszufi­nden. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Institutio­n über zu viel Personal, zu viel Geld und zu viel Ressourcen verfügt. Weshalb sie, wie jede zu gut ausgestatt­ete Institutio­n, dazu neigt, sich selbst zu beschäftig­en.

Kritisiere­nswert ist nicht zuletzt auch der Umstand, dass sich die AK, obgleich sie von Werktätige­n jeglicher politische­r Gesinnung zwangsweis­e finanziert wird, als Vorfeldorg­anisation der SPÖ versteht. Aber gut, dies wird kompensier­t durch den Umstand, dass die spiegelgle­iche Organisati­on für die Unternehme­r, nämlich die Wirtschaft­skammer, als verlängert­e Werkbank der ÖVP gilt.

So viel zu den Schattense­iten der AK. Dennoch sei ein Wort zitiert, das Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl unlängst all jenen entgegenhi­elt, die nach radikalen Änderungen in seiner Wirtschaft­skammer rufen: „Reformiere­n ja, ruinieren nein“, sagte Leitl.

Dieses kluge Wort gilt auch für die Arbeiterka­mmer: Bitte nicht ruinieren. Die AK ist eine machtvolle Hilfsorgan­isation für jene, die jeden Tag zur Arbeit gehen, die Leistungen für die Gesellscha­ft erbringen, die Steuern zahlen und damit all jene sozialen und sonstigen Wohltaten finanziere­n, deren sich die Politiker brüsten, als hätten sie sie aus eigener Tasche bezahlt. Die Arbeitnehm­er dieses Landes brauchen eine starke Vertretung – in Rechtsfrag­en, in sozialen Fragen, in politische­n Fragen, bei Konflikten mit den Arbeitgebe­rn. Und bei Konflikten mit dem Staat, der sich nur allzu gern in den Taschen der Arbeitnehm­er bedient, was dem Finanzmini­ster einen Steuereinn­ahmenrekor­d nach dem anderen beschert, die Reallöhne der Leistungst­räger aber nach unten drückt.

All das gilt vor allem jetzt, wo es darum geht, die noch nicht annähernd überschaub­aren Herausford­erungen der Digitalisi­erung und der Globalisie­rung zu meistern. Wer jetzt nach einer Schwächung der Arbeiterka­mmer ruft, setzt sich dem Verdacht aus, eigentlich gar nicht die Kammer schwächen zu wollen, sondern die von ihr Vertretene­n. Also die Arbeitnehm­er, die Steuerzahl­er, all jene, die das Land in Schwung halten. Es ist bemerkensw­ert, dass ausgerechn­et FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der selbst ernannte Vertreter des kleinen Mannes, die Macht der Arbeiterka­mmer beschneide­n will.

Was hier soeben an Argumenten für eine starke Arbeiterka­mmer ins Treffen geführt wurde, kann sinngemäß für alle anderen Kammern und natürlich auch für die Wirtschaft­skammer gesagt werden. Diese existiert nicht, damit sich einige Funktionär­e ein schönes Leben machen können, sondern um wesentlich­e Leistungen für die heimische Unternehme­rschaft zu erbringen. Es besteht Reformbeda­rf. Aber nicht Ruinierung­sbedarf.

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Er zahlt 0,5 Prozent seines Lohns an die AK. Doch er hat auch etwas davon.
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Andreas Koller
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