Wer kümmert sich um die Arbeitnehmer?
Gegen die Arbeiterkammer kann man vieles ins Treffen führen. Dennoch sei ein kluges Wort Christoph Leitls zweckentfremdet: Reformieren ja, ruinieren nein.
Pflichtmitgliedschaft in den Kammern? Ist öde. Klingt öde. Weg damit.
Weg damit? Vielleicht sollten jene, die dies fordern und mit dieser Forderung bei den Koalitionsverhandlern von ÖVP und vor allem FPÖ offene Ohren finden, einen Moment innehalten. Und überlegen, ob eine ausschließlich freiwillige Mitgliedschaft in den Kammern, sozusagen das ÖAMTC-Modell, nicht mehr Nachteile als Vorteile birgt.
Zugegeben, man tut sich ein wenig schwer, wenn man versucht, die Pflichtmitgliedschaft bei den gesetzlichen Interessenvertretungen zu verteidigen. Nehmen wir nur die Arbeiterkammer. Diese kassiert von ihren Pflicht-, um nicht zu sagen Zwangsmitgliedern 0,5 Prozent der Lohnsumme. Was die Reallöhne senkt und/oder die Lohnkosten in die Höhe treibt. Den Zahlern wird dieser unschöne Umstand aber diskret verschwiegen, denn die Zwangsabgabe scheint nicht auf dem Lohnzettel auf, was im Grunde eine Verhöhnung der Arbeitnehmer und ihrer Dienstgeber ist. Da die AK von jedem Konjunkturaufschwung, jeder Lohnerhöhung und jedem angehobenen Mindestlohn profitiert, schwimmt sie in Geld. Denn je mehr Arbeitnehmer in Beschäftigung sind und je mehr diese verdienen, desto mehr Millionen landen in den Geldspeichern der Arbeiterkammer, und sie muss gar nichts für diese Geldvermehrung tun. 2015 zahlten Österreichs Arbeitnehmer, wie die Neos mittels parlamentarischer Anfrage an den Sozialminister herausgefunden haben, 400 Millionen an ihre Kammer, das war um 40 Prozent mehr als im Jahr 2004. Die Inflationsrate betrug in diesem Zeitraum nur 21 Prozent.
Das viele Geld wird mitunter für schräge Dinge ausgegeben, etwa die allseits beliebten Konsumententests. Dank dieser Tests ist einer vorher wohl blinden Öffentlichkeit bewusst geworden, dass manche Frühstücksbreie viel Zucker enthalten, dass Tabletcomputer teurer sind als Laptops, dass die metallischen Rückstände auf Keramikgeschirr meist unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen, dass „Sodasprudler eine echte Alternative zum FlaschenSchleppen“sind und dass es bei den Gas- und Wasserinstallateuren große Preisunterschiede gibt. Das sind gewiss wertvolle Erkenntnisse. Man fragt sich nur, ob es Daseinszweck der zwangsweise finanzierten Arbeiterkammer ist, derlei in breitflächigen Tests herauszufinden. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Institution über zu viel Personal, zu viel Geld und zu viel Ressourcen verfügt. Weshalb sie, wie jede zu gut ausgestattete Institution, dazu neigt, sich selbst zu beschäftigen.
Kritisierenswert ist nicht zuletzt auch der Umstand, dass sich die AK, obgleich sie von Werktätigen jeglicher politischer Gesinnung zwangsweise finanziert wird, als Vorfeldorganisation der SPÖ versteht. Aber gut, dies wird kompensiert durch den Umstand, dass die spiegelgleiche Organisation für die Unternehmer, nämlich die Wirtschaftskammer, als verlängerte Werkbank der ÖVP gilt.
So viel zu den Schattenseiten der AK. Dennoch sei ein Wort zitiert, das Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl unlängst all jenen entgegenhielt, die nach radikalen Änderungen in seiner Wirtschaftskammer rufen: „Reformieren ja, ruinieren nein“, sagte Leitl.
Dieses kluge Wort gilt auch für die Arbeiterkammer: Bitte nicht ruinieren. Die AK ist eine machtvolle Hilfsorganisation für jene, die jeden Tag zur Arbeit gehen, die Leistungen für die Gesellschaft erbringen, die Steuern zahlen und damit all jene sozialen und sonstigen Wohltaten finanzieren, deren sich die Politiker brüsten, als hätten sie sie aus eigener Tasche bezahlt. Die Arbeitnehmer dieses Landes brauchen eine starke Vertretung – in Rechtsfragen, in sozialen Fragen, in politischen Fragen, bei Konflikten mit den Arbeitgebern. Und bei Konflikten mit dem Staat, der sich nur allzu gern in den Taschen der Arbeitnehmer bedient, was dem Finanzminister einen Steuereinnahmenrekord nach dem anderen beschert, die Reallöhne der Leistungsträger aber nach unten drückt.
All das gilt vor allem jetzt, wo es darum geht, die noch nicht annähernd überschaubaren Herausforderungen der Digitalisierung und der Globalisierung zu meistern. Wer jetzt nach einer Schwächung der Arbeiterkammer ruft, setzt sich dem Verdacht aus, eigentlich gar nicht die Kammer schwächen zu wollen, sondern die von ihr Vertretenen. Also die Arbeitnehmer, die Steuerzahler, all jene, die das Land in Schwung halten. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der selbst ernannte Vertreter des kleinen Mannes, die Macht der Arbeiterkammer beschneiden will.
Was hier soeben an Argumenten für eine starke Arbeiterkammer ins Treffen geführt wurde, kann sinngemäß für alle anderen Kammern und natürlich auch für die Wirtschaftskammer gesagt werden. Diese existiert nicht, damit sich einige Funktionäre ein schönes Leben machen können, sondern um wesentliche Leistungen für die heimische Unternehmerschaft zu erbringen. Es besteht Reformbedarf. Aber nicht Ruinierungsbedarf.