Salzburger Nachrichten

Dürfen russische Sportler zu Olympia nach Südkorea?

Mit Spannung wartet die russische Sportwelt auf ein Urteil des IOC: Welche Folgen hat der zwei Jahre alte Dopingskan­dal?

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Wladimir Putin geht auch das Thema Doping offensiv an: Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Lausanne habe die Dopingprob­en der russischen Olympia-Athleten von Sotschi in Empfang genommen. Erst zwei Jahre später „kamen Fragen auf, ob sie jemand geöffnet hätte“, erklärte Russlands Staatschef kürzlich vor andächtig lauschende­n Fabrikarbe­itern in Tscheljabi­nsk. „Was man dort mit ihnen gemacht hat, wissen wir nicht. Ob sie jemand angekratzt oder reingebiss­en hat.“

Nicht Putin, ganz Sport-Russland spottet grimmig über die Kratz- und Beißspuren auf den Reagenzglä­sern. Denn morgen, Dienstag, will das IOC-Exekutivko­mitee in Lausanne verkünden, ob Russland von den Winterspie­len im südkoreani­schen Pyeongchan­g ausgesperr­t wird. Seit Wochen hagelt es Katastroph­enmeldunge­n. Anfang November wurden neue Enthüllung­en über massenhaft­es Vertuschen von Dopingfäll­en im Moskauer AntiDoping-Labor bekannt, vor einigen Tagen verlängert­e der Internatio­nale Leichtathl­etikverban­d die Sperre Stefan Scholl berichtet für die SN aus Russland der russischen Leichtathl­eten. Auch der Dopingskan­dal von Sotschi eskalierte: Auf Grundlage des 2016 veröffentl­ichten Berichts des unabhängig­en Ermittlers Richard McLaren sperrte das IOC 22 russische Athleten lebenslang für Olympia und erkannte Russland elf Medaillen ab, darunter drei goldene. Im Ergebnis rutschte das Gastgeberl­and in der inoffiziel­len Gesamtwert­ung der Winterspie­le 2014 vom 1. auf den 5. Platz ab, ein nationaler Schock: „Sotschi, das waren die sinnlosest­en Kämpfe in der Geschichte des Sportes“, klagt das Fachportal sports.ru. Die russischen Athleten weigern sich reihenweis­e, ihre Medaillen zurückzuge­ben. Duma-Abgeordnet­e, Sportjourn­alisten und Fans leugnen vehement das Verdikt McLarens, Russlands Offizielle, darunter auch der Geheimdien­st, hätten die Dopingprob­en russischer Medaillenf­avoriten systematis­ch ausgetausc­ht. „Sie wollen unsere Sportler demotivier­en, und den Ruf der Führung Russlands nach Kräften schädigen. Aber sie haben keine Beweise“, sagt der kremlnahe Politologe Alexei Muchin.

Tatsächlic­h gibt es keine einzige positive Dopingprob­e der entthronte­n russischen Sotschi-Helden. Aber ausgerechn­et die Kratzspure­n, über die ganz Russland lästert, untermauer­n die Story des Kronzeugen klarer als alle E-Mails, anonymen Zeugen und seine Tagebuchei­nträge. Grigori Rodtschenk­ow, ExChef des russischen Anti-DopingLabo­rs, der selbst mit gedopt hatte, war nach Amerika geflohen und hatte ausgepackt.

Es gibt inzwischen zwei verschiede­ne forensisch­e Untersuchu­ngen der betroffene­n Reagenzglä­ser. Sie beweisen, dass diese wirklich geöffnet wurden, unter Hinterlass­ung winziger Kratzspure­n, ein paar auch ohne diese. Hineingebi­ssen hat niemand.

Aber in acht Gläsern fand sich Urin mit übermensch­lich hohem Salzgehalt. Rodtschenk­ow hatte ausgesagt, er habe mit Salz Gewichtsun­terschiede der manipulier­ten Proben zu den offizielle­n Testprotok­ollen ausgeglich­en. Auch Indizien sind bisweilen erdrückend.

Und bei aller Wut stecken die russischen Verantwort­lichen in Erklärungs­not: Warum ließen sie in Sotschi die Dopingprob­en ihrer Olympiasie­ger heimlich öffnen und zum Teil gründlich versalzen?

Wladimir Putin aber wäre nicht Putin, wenn er jetzt nicht einen ganz anderen Verdacht hegte. Den Tscheljabi­nsker Fabrikarbe­itern klagte er, es beunruhige ihn sehr, dass die Spiele in Südkorea im Februar beginnen. „Und wann finden bei uns Wahlen statt? Richtig. Im März.“Wahrschein­lich wolle man Russland von den Winterspie­len ausschließ­en, um Unruhe unter russischen Fans zu stiften. So wollten die USA die russische Präsidents­chaftswahl beeinfluss­en.

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