Wahlkampf ohne Separatisten-Chefs
In Katalonien soll eine Neuwahl die „Normalität“wiederherstellen. Das prospanische Lager holt laut Umfragen kräftig auf.
Heute, Dienstag, beginnt der Wahlkampf in Spaniens Konfliktregion Katalonien. Er wird ohne die führenden Köpfe der Separatisten stattfinden müssen. Spaniens Oberster Gerichtshof entschied, dass Oriol Junqueras, Spitzenkandidat der aussichtsreichsten Separatistenpartei Esquerra Republicana (Republikanische Linke), in U-Haft bleibt. Drei weitere Gesinnungsfreunde, darunter der ehemalige katalanische Innenminister, bleiben ebenfalls in Haft. Es bestehe die „Möglichkeit, dass erneut Taten mit ernsthaften, unmittelbaren und irreparablen Konsequenzen für die Gemeinde geschehen“, erklärte Richter Pablo Llarena.
Sechs Mitglieder der ehemaligen katalanischen Separatistenregierung dagegen kamen nach fünf Wochen hinter Gittern gegen Zahlung einer Kaution von jeweils 100.000 Euro frei.
Auch der zweite Spitzenkandidat, Kataloniens Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont, wird nicht am spannungsreichen Wahlkampfauftakt in der gespaltenen Region teilnehmen können. Puigdemont führt die Unabhängigkeitsliste Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien). Er und vier seiner ExMinister wurden am Montag von einem Gericht in Brüssel angehört, das am 14. Dezember über die Auslieferung der Politiker an Spanien entscheiden wird. Die fünf waren Ende Oktober vor der spanischen Justiz nach Belgien geflüchtet.
Derweil zeichnet sich in Katalonien ein Kopf-an-Kopf-Rennen für den Urnengang am 21. Dezember ab, der zunehmend als Schicksalswahl angesehen wird. In der neuesten Erhebung des staatlichen Instituts CIS liegen der prospanische Parteienblock mit 44,3 Prozent und der separatistische Block mit 44,4 Prozent fast gleichauf. Das Stimmungsbarometer bestätigt die Tendenz früherer Umfragen spanischer Medien, wonach die Unabhängigkeitsbewegung offenbar nicht von ihrer radikalen Abspaltungspolitik profitieren kann. Vielmehr müssen die Separatisten mit leichten Verlusten rechnen, während das prospanische Lager aufholt.
Das Zünglein an der Waage könnte die kleine linksalternative Partei Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam) von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau sein, die für einen „dritten Weg“zwischen den verfeindeten Blöcken wirbt: Comú ist nicht für die Abspaltung, unterstützt aber ein legales Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild, für das freilich zunächst Spaniens Verfassung geändert werden müsste.
In der letzten Regionalwahl 2015 hatte der Unabhängigkeitsblock mit 47,8 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate im Katalonien-Parlament geholt. Die für die Einheit mit Spanien eintretenden Parteien waren damals zusammengerechnet auf 39 Prozent der Stimmen gekommen.
Die Mehrheit der Separatistenfront aus drei Parteien scheint nun also zu wackeln. In der neuen CIS- Umfrage liegt sogar erstmals eine prospanische Partei in Katalonien vorn. Demzufolge könnte die liberale Bewegung Ciudadanos (Bürger), die in der Region von der 36-jährigen Inés Arrimadas angeführt wird, mit 22,5 Prozent stärkste Partei werden. Knapp dahinter wird Junqueras’ Separatistenpartei Esquerra gesehen, die bei 20,8 Prozent liegt. Es folgen Puigdemonts Unabhängigkeitsliste Junts mit 16,9 Prozent und die spanischen Sozialisten, denen 16 Prozent zugetraut werden.
Von den Regionalwahlen erhofft sich die Zentralregierung in Madrid die „Wiederherstellung der Normalität“. Die staatliche Umfrage lässt aber keinen Zweifel daran, dass die meisten Katalanen mehr Autonomie oder sogar das Recht befürworten, dass sich eine spanische Region wie etwa Katalonien vom Königreich ganz legal abtrennen kann. Drei von vier Befragten bejahten eine dieser beiden Möglichkeiten. Der Wunsch nach mehr regionalen Kompetenzen deckt sich mit dem Ergebnis früherer Umfragen: Demnach ist eine breite Mehrheit der Katalanen dafür, dass die Bürger – wie schon 2014 die Schotten – ganz offiziell über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen dürfen.
Die katalanische Regierung hatte unter Missachtung eines Verbots aus Madrid Anfang Oktober ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten und später die Unabhängigkeit ausgerufen. An dem Referendum beteiligten sich 43 Prozent der Wähler, von denen laut Separatisten 90 Prozent Ja zur Abspaltung sagten.