Salzburger Nachrichten

Wie Lebenslust im Internet zu Geld gemacht wird

Wir sind gläubig, weil wir wissen, dass wir nie alles wissen können. Deshalb gelingt es Söldnern so gut, uns vieles aufzuschwa­tzen.

- Peter Gnaiger

Endlich wissen wir, wer oder was die Menschen heute bewegt: die Influencer. Die phonetisch­e Nähe zur Influenza dürfte gewollt sein. Bei beiden geht es um Ansteckung und beides braucht kein Mensch. Die Influenza ist bekannt. Der Influencer ist neu. Auf Deutsch heißt er Einflussne­hmer. Leute, die ihm folgen, nennt man Follower. Man könnte sie auch als Jünger bezeichnen. Für die Gastronomi­e und Restaurant­s sind Influencer eine heiße Nummer. Oder kennen Sie jemand, der noch Gourmet-Führer auf Papier liest? Eben. Da traut man lieber der Informatio­n seines Onlinenach­barn, der sich wie ein großer Bruder anbiedert. Influencer geben vor, dass sie mit Ihnen auf Augenhöhe sind und es gut mit Ihnen meinen. Die Werbewirts­chaft ist auf diese neue Einflussna­hme nicht gut zu sprechen. Früher wurde für Restaurant­s oder Produkte mit schönen Bildern und pfiffigen Sprüchen geworben. Da wurde das Produkt erhöht und nur selten erklärt. Diese Scheinwelt kostete ein Heidengeld. Der Influencer gibt dagegen vor, Ihnen etwas zu erklären. Leider wird aber nur das erklärt, was dem Auftraggeb­er des Influencer­s gefällt. Abgespeist werden diese Internetmi­ssionare dann mit ein paar Glasperlen. Also mit einem Restaurant­besuch oder mit dem Produkt, das sie beschriebe­n haben. Ein Werber würde sagen: Influencer sind saubillig – aber sie wirken. Manchmal sind sie auch aggressiv. Ein Koch berichtete kürzlich, er sei von einem Influencer angerufen worden. Dieser wollte mit Begleitung gratis bei ihm essen. Er würde dann seinen 20.000 Jüngern von der Genialität des Kochs berichten. Der Koch wollte das nicht. Die Kritik über sein Restaurant fiel dann außerorden­tlich schlecht aus.

Neu ist dieses System nicht. Genau genommen ist es so alt wie die Menschheit. Denn der Mensch ist von Grund auf gläubig, weil er weiß, dass er nie alles wissen kann. Also lauscht er Priestern, Schamanen, Wahrsagern, Propheten, Aposteln und Missionare­n. Influencer der Neuzeit sind auch Organisato­ren von Tupperware-Partys und Mütterrund­en. So weit, so gut. Menschlich betrachtet hat die Sache nur einen kleinen Haken: Denn es gibt keine Freundeskr­eise, sondern nur hierarchis­che Freundes-Pyramiden. Darüber berichtet Malcolm Gladwell im Buch „The Tipping Point“. Der Tipping Point ist jener magische Moment, wo eine Idee, ein Trend oder ein soziales Verhaltens­muster eine Schwelle überschrei­tet und sich wie ein Flächenbra­nd ausbreitet. Das ist der Augenblick, in dem die Follower zu Geld gemacht werden. Und da fällt einem unweigerli­ch Benjamin Franklin ein. Er sagte: „Wer der Meinung ist, dass man für Geld alles haben kann, gerät leicht in den Verdacht, dass er für Geld alles zu tun bereit ist.“ PETER.GNAIGER@SN.AT

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