Wie Lebenslust im Internet zu Geld gemacht wird
Wir sind gläubig, weil wir wissen, dass wir nie alles wissen können. Deshalb gelingt es Söldnern so gut, uns vieles aufzuschwatzen.
Endlich wissen wir, wer oder was die Menschen heute bewegt: die Influencer. Die phonetische Nähe zur Influenza dürfte gewollt sein. Bei beiden geht es um Ansteckung und beides braucht kein Mensch. Die Influenza ist bekannt. Der Influencer ist neu. Auf Deutsch heißt er Einflussnehmer. Leute, die ihm folgen, nennt man Follower. Man könnte sie auch als Jünger bezeichnen. Für die Gastronomie und Restaurants sind Influencer eine heiße Nummer. Oder kennen Sie jemand, der noch Gourmet-Führer auf Papier liest? Eben. Da traut man lieber der Information seines Onlinenachbarn, der sich wie ein großer Bruder anbiedert. Influencer geben vor, dass sie mit Ihnen auf Augenhöhe sind und es gut mit Ihnen meinen. Die Werbewirtschaft ist auf diese neue Einflussnahme nicht gut zu sprechen. Früher wurde für Restaurants oder Produkte mit schönen Bildern und pfiffigen Sprüchen geworben. Da wurde das Produkt erhöht und nur selten erklärt. Diese Scheinwelt kostete ein Heidengeld. Der Influencer gibt dagegen vor, Ihnen etwas zu erklären. Leider wird aber nur das erklärt, was dem Auftraggeber des Influencers gefällt. Abgespeist werden diese Internetmissionare dann mit ein paar Glasperlen. Also mit einem Restaurantbesuch oder mit dem Produkt, das sie beschrieben haben. Ein Werber würde sagen: Influencer sind saubillig – aber sie wirken. Manchmal sind sie auch aggressiv. Ein Koch berichtete kürzlich, er sei von einem Influencer angerufen worden. Dieser wollte mit Begleitung gratis bei ihm essen. Er würde dann seinen 20.000 Jüngern von der Genialität des Kochs berichten. Der Koch wollte das nicht. Die Kritik über sein Restaurant fiel dann außerordentlich schlecht aus.
Neu ist dieses System nicht. Genau genommen ist es so alt wie die Menschheit. Denn der Mensch ist von Grund auf gläubig, weil er weiß, dass er nie alles wissen kann. Also lauscht er Priestern, Schamanen, Wahrsagern, Propheten, Aposteln und Missionaren. Influencer der Neuzeit sind auch Organisatoren von Tupperware-Partys und Mütterrunden. So weit, so gut. Menschlich betrachtet hat die Sache nur einen kleinen Haken: Denn es gibt keine Freundeskreise, sondern nur hierarchische Freundes-Pyramiden. Darüber berichtet Malcolm Gladwell im Buch „The Tipping Point“. Der Tipping Point ist jener magische Moment, wo eine Idee, ein Trend oder ein soziales Verhaltensmuster eine Schwelle überschreitet und sich wie ein Flächenbrand ausbreitet. Das ist der Augenblick, in dem die Follower zu Geld gemacht werden. Und da fällt einem unweigerlich Benjamin Franklin ein. Er sagte: „Wer der Meinung ist, dass man für Geld alles haben kann, gerät leicht in den Verdacht, dass er für Geld alles zu tun bereit ist.“ PETER.GNAIGER@SN.AT