Korsika ist nicht Katalonien
Die Nationalisten auf der französischen Mittelmeerinsel haben einen fulminanten Wahlsieg hingelegt. Die Unabhängigkeit von Frankreich fordern sie nicht mehr.
Korsika ist anders. Während in der spanischen Provinz Katalonien nach dem gescheiterten Versuch, die Unabhängigkeit von Madrid zu erzwingen, noch manche von einer Neuauflage ihres Kampfes träumen mögen, ist auf der französischen Mittelmeerinsel der Realismus eingekehrt. Bei der ersten Runde der Wahl zu einem neuen Territorialparlament, das Anfang 2018 aus der Zusammenlegung der beiden Insel-Departements und der bisherigen Regionalkammer hervorgehen soll, errangen die korsischen Nationalisten einen spektakulären Erfolg. Hans-Hagen Bremer berichtet für die SN aus Paris
Mit einem Stimmenanteil von 45 Prozent gingen sie vor den Kräften der Rechten und Linken, die lange Zeit das politische Leben auf der Insel bestimmt hatten, klar in Führung. Selbst „La République en Marche“, die Partei des in Paris regierenden Präsidenten Emmanuel Macron, landete mit bescheidenen elf Prozent nur auf einem hinteren Platz. Zwar beteiligte sich nur knapp die Hälfte der 234.000 Wahlberechtigten an der Abstimmung. Doch für die mit den politischen Verhältnissen auf der Insel vertrauten Pariser Kommentatoren gibt es kaum Zweifel. Wenn sich der Trend vom Wochenende bei der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag bestätigt, werden die Nationalisten weitgehend über die Geschicke der Insel mitbestimmen – doch von der Unabhängigkeit von Frankreich wird keine Rede mehr sein.
„Femu a Corsica“(Machen wir Korsika) lautet der programmatische Name der Liste, mit der Nationalisten jedweder Couleur, Autonomisten wie Separatisten, unter Führung von Gilles Simeoni, einem Rechtsanwalt aus Bastia, zur Wahl angetreten waren. Ihr Ziel: ein „echtes Autonomiestatut“mit Zuständigkeit in Steuerfragen, Anerkennung des Korsischen als zweiter Amtssprache, Amnestie für „politische Gefangene“.
Das sind ungewohnte Töne für die Ohren des politischen Establishments in Paris. Noch sind die Jahre nicht vergessen, während denen die „Insel der Schönheit“, wie Korsika in den Werbebroschüren der Reisebüros gern genannt wird, von nationalistischen Gewalttaten erschüttert wurde – Angriffe auf Ferienhäuser von Kontinentalfranzosen, Bombenanschläge auf Gendarmerieposten und blutige Abrechnungen zwischen den korsischen Familienclans und dem Mord an dem Präfekten Claude Érignac. Alles im Namen einer Unabhängigkeit von Frankreich, die Paris nie zu gewähren bereit war und die den meisten Korsen auch angesichts der großen finanziellen Abhängigkeit vom Zentralstaat utopisch erscheinen musste.
Die Wende zum Realismus zeichnete sich 2014 ab, als die Nationale Korsische Befreiungsfront (FLNC) auf den „bewaffneten Kampf“verzichtete und erklärte, ihr Ziel einer „echten Autonomie“über Wahlen erreichen zu wollen.
Die Erfolge an den Urnen gaben den Nationalisten recht. Zug um Zug verdrängten sie die Inselclans aus ihren traditionellen Positionen. Bei der Wahl zur französischen Nationalversammlung im vergangenen Juni eroberten sie drei von vier Wahlkreisen auf der Insel. Nach dem Wahlausgang vom Wochenende liege der Ball jetzt im Feld des Zentralstaats, meint Nationalistenchef Simeoni. „Das ist eine sehr starke Botschaft an Paris, wir wollen den Frieden, wir wollen die Demokratie und eine emanzipierte Insel“, sagte er. „Jetzt liegt es an Paris, auf uns zuzugehen, damit wir gemeinsam Lösungen finden.“Die Situation sei weder demografisch noch wirtschaftlich oder politisch mit Katalonien zu vergleichen. Aber Simeoni will eine rechtlich verankerte Autonomie: „Wenn die Verfassung die Anerkennung eines Volkes nicht erlaubt, muss man die Verfassung ändern – und nicht das Volk auffordern, zu verschwinden“, betonte er.