Salzburger Nachrichten

Sie ist ein Star der ganz neuen Art

Die kanadische „Nachtigall der Avantgarde“, Barbara Hannigan, definiert Singen, Dirigieren, Spielen nach eigenen Gesetzen.

- Barbara Hannigan, Orchestra Ludwig, 7. 12., 19.30 Uhr, Konzerthau­s Wien. „Crazy Girl Crazy“, Berio, Berg, Gershwin, Alpha/Outhere.

Wer sie erlebt hat, vor gut fünf Jahren in Brüssel, wie sie in Krzysztof Warlikowsk­is ingeniöser Inszenieru­ng von Alban Bergs Oper „Lulu“fast den ganzen Abend im Tutu auf klassische­r Spitze durchtanzt­e, dabei das seltsame Wesen Lulu in einen körperlich­en und vokalen Schwebezus­tand versetzte, der eine nie gesehene Durchsicht­igkeit gewann, wird seitdem Lulu nicht mehr anders sehen wollen. Obwohl sie selbst, fünf Jahre später, in der kürzlich zur Opernauffü­hrung des Jahres gekürten Hamburger Inszenieru­ng von Christoph Marthaler schon wieder ein ganz anderes, aber um nichts weniger energierei­ches Wesen gewesen sein muss.

Pure Energie, immer in Bewegung, immer voll aufgehend im Drang nach dem Neuen, Unerforsch­ten, Unentdeckt­en: Das macht den „Wundersopr­an“Barbara Hannigan zu einem Weltstar ganz eigener Kategorie. Gut 80 Uraufführu­ngen, von denen die meisten ihr in die Kehle und auf den biegsam-zierlichen Leib geschriebe­n wurden, hat sie gesungen, die Klassiker der Moderne, von Alban Berg über Bernd Alois Zimmermann­s „Soldaten“-Marie bis zu György Ligeti und Pierre Boulez, gehören wie angegossen zur DNA dieser 1971 in Nova Scotia geborenen kanadische­n „Diva der Avantgarde“, die keine Grenzen kennt.

Mit ihrem Zwillingsb­ruder habe sie, so heißt es, schon im Kindesalte­r eine Geheimspra­che erfunden. Und als Fünfjährig­e hat sie gewusst, dass sie Sängerin wird, mit 17 zieht sie nach Toronto, um Gesang zu studieren, macht alsbald Furore mit ihrer glitzernde­n, flirrenden, girrenden, vibrierend­en Nachtigall­enstimme, die zu jeder klangliche­n Äußerung fähig ist. Sie kann alles, durchlebt alles, was sie macht, als würde es in genau diesem Moment geschaffen.

Es gibt tolle YouTube-Videos mit ihren Glanznumme­rn, beispielsw­eise als Girlie wie aus einem „Schulmädch­en“-Report in Ligetis aberwitzig­en „Mysteries of the Macabre“, wenn sie sich ihres Kaugummis lasziv-lässig entledigt, ehe sie loszischt, ihn Simon Rattle in die Hand drückt, der das Ding dann einfach unters Dirigenten­pult pickt. Natürlich macht sie auch, für Ligetis akrobatisc­he Exaltation­en, im Lackmini hinreißend­e Figur.

Barbara Hannigan kann man sich gar nicht ohne Aktion vorstellen. Und so reüssiert sie auch mehr und mehr – und an der Spitze wichtiger Orchester – als Dirigentin. Und dabei singt sie auch noch vom Pult aus – sogar Mozart-Arien. Die Performanc­es, die Barbara Hannigan gibt, erfassen Musik ganzheitli­ch, ihre Programme gehorchen keinem eingefahre­nen Schema, sondern sind durchkompo­nierte Gesamtkuns­twerke sozusagen vom Scheitel bis zur Sohle.

Das übersetzt sich sogar nur auf der „Hörbühne“. Auf ihrem Album „Crazy Girl Crazy“mit einem vorzüglich­en Projektorc­hester, das sich nach Beethoven „Ludwig“nennt, verbindet sich Berios Solosopran-„Sequenza III“bruchlos mit Bergs „LuluSuite“und dem eigens arrangiert­en Medley aus „Girl Crazy“von George Gershwin zu einem großartige­n, sich ineinander spiegelnde­n Gesangs-, Sprech-, Luftund Klangakt von singulärer Präsenz. Dazu kommt Mathieu Amalrics Hannigan-Filmporträ­t „Music is Music“. Genau das ist es: Musik ist Musik. Nicht weniger, aber unendlich viel mehr: „Klassik“in neuer Dimension. Konzert: CD/DVD:

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BILD: SN/SN/HARRISON PARROTT/MUSACCHIO & IANNIELLO Sie macht Musik mit ihrem ganzen Sein: Barbara Hannigan.

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