Zwei Frauen buhlen um Macht
Taugen Frauen zur Macht? Verhalten sie sich in Führungspositionen anders als Männer? Friedrich Schiller vergleicht zwei Königinnen.
„Maria Stuart“ist großes Theater über Macht und Erotik. Friedrich Schiller zeigt die Nöte und Konflikte von Machtmenschen an zwei Frauen: Elisabeth, Königin von England, und Maria Stuart, Königin von Schottland.
Elisabeth Rath ist Spezialistin für mächtige Frauen. Sie hat bereits die Rolle der Elisabeth gespielt, das war Anfang der 90er-Jahre in Hannover. Jetzt übernimmt sie im Josefstädter Theater in Wien die Maria Stuart – Premiere ist morgen, Donnerstag. Was hat bewirkt, dass Sie die Rolle angenommen haben? Elisabeth Rath: Ein Telefonat und die Frage: „Willst du die Maria Stuart spielen?“Da hab ich erwidert: „Die Stuart?? Bin ich nicht ein bisschen alt für die Stuart?“Dann hat mir Günter Krämer, den ich aus Berlin vom Schillertheater kenne, seine Fassung geschickt. Die hab ich gelesen und gleich gesagt: Das mach ich!
Eigentlich habe ich das Theaterspielen lange fast nicht vermisst – zuletzt war ich 2012 auf dem Salzburger Domplatz (als Jedermanns Mutter, Anm.). So hab ich gedacht: Oh, oh, nach so vielen Jahren wieder zurück? Kann das gut gehen? Und? Es ist schön, wieder zu spielen, und das aus einer Freiheit heraus. Es ist wie ein Zurück-zu-den-Wurzeln. Was überzeugt Sie an der Kurzfassung zu 100 Minuten ohne Pause? Da wird diese Geschichte kompakt und spannend. Ich habe Schiller auch anders gespielt: Für „Wallenstein“mit Peter Stein (als Gräfin Terzky, Anm.) war jedes Wort wichtig. Jetzt hat Günter Krämer „Maria Stuart“auf 1 Stunde 40 komprimiert – das ist möglich! Auch dieses Extrem hat mich eingenommen. Schiller erzählt von zwei Königinnen und vielen Männern. Ist der Einfluss von Erotik auf die Macht bei Frauen anders als bei Männern? Mann und Frau unterscheiden sich natürlich. Aber für „Maria Stuart“muss man mehr auf geschichtliche Dimensionen zurückgehen, etwa wie diese Frauen aufgewachsen sind. Elisabeth ist Tochter von Heinrich VIII. und Anne Boleyn. Nachdem ihre Mutter geköpft worden war, wuchs sie sehr beengt auf, unter strenger Aufsicht im Tower.
Die Stuart hingegen war schon als Baby Königin. Als ihr Vater starb, war sie ein paar Monate alt und wurde zur schottischen Königin gesalbt. Als 15-Jährige heiratete sie den französischen König. In Frankreich wurde sie zum zweiten Mal gesalbte Königin. Und als Nichte Heinrichs VIII. hatte sie Anspruch auf den englischen Thron.
Elisabeth sagt, sie habe sich die Macht erkämpft. Maria Stuart sagt, sie habe von Geburt ein Anrecht darauf. Allein diese Denkungsart ist so unterschiedlich, dass es den Konflikt ausmacht.
Dann kommt hinzu: Elisabeth steht für neue Politik, hat Gesandte nach Russland geschickt, hat sich sogar mit Piraten zusammengetan, um ihr Land weiterzubringen. England soll wirtschaftlich aufblühen. Sie holt sich kluge Berater. Maria hat das nie gemacht. Sie ist in Fülle aufgewachsen – mit Musik und Poesie. Maria hat nie einen Gedanken, etwas für ihr Volk zu tun – im Gegenteil! Sie denkt: Ich bin Königin, man muss für mich alles tun.
Elisabeth Rath, Schauspielerin
Elisabeths Regentschaft bringt Wohlstand, das ist Shakespeares Zeit. Mit Schottland hingegen geht es bergab, da sind keine guten Politiker, Clans fallen übereinander her.
Man darf auch nicht vergessen: Zwischen beiden ist ein Glaubenskrieg. Als der französische König gestorben war, ging Maria nach Schottland. Sie ist Katholikin, mit Hilfe von Frankreich und Spanien sollte sie den Katholizismus wieder in das protestantisch gewordene England bringen. So beginnt ein langer, langer Religionskrieg. SN: Aber mit einer hitzigen Liebschaft hat Maria Stuart ihre Regentschaft in Schottland arg beschädigt. Ja, in Schottland ist vieles schiefgegangen. Sie ist mit einem entfernten Cousin vermählt worden. Maria ist zwar leicht aufgewachsen, doch ihr ist ständig vorgegeben worden, wen sie zu heiraten hatte. Das wird ihr großes Handicap.
Sie lernt einen Mann kennen, der ihr Geliebter wird. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie richtig verliebt und blüht auf. Da wird sie unzurechnungsfähig. Wir kennen das von Frauen wie von Männern, wenn sie verliebt sind. Aber Maria passiert dies zur ungünstigsten Zeit, als Schottland wegen der Clans auseinanderzufallen droht. Ihr Geliebter will mehr Macht, so lässt sie zu, dass ihr Mann umgebracht wird. Dazu begeht sie den Fehler, diesen Bothwell noch vor Ende der Trauerzeit zu heiraten. Das bewirkt einen Aufstand der Schotten. Sie muss fliehen – nach England. Dort wird sie von Elisabeth in Haft genommen, 19 Jahre lang, wenngleich unter luxuriösen Bedingungen, für die hauptsächlich Elisabeth bezahlt. Maria unterschreibt einen Brief, in dem sie einem Attentat auf Elisabeth vage zustimmt. Elisabeth unterschreibt ein Todesurteil, ohne die Vollstreckung anzuordnen. Maria ist sprunghaft, Elisabeth zaudert. Schon, aber Sie müssen bedenken, was Elisabeths Entscheidung für das Todesurteil bedeutet hat: Bis dahin hatte es immer wieder Königsmorde gegeben, aber nie zuvor war ein gesalbter König offiziell vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Maria sagt im Stück: „Ermorden lassen kann sie mich, nicht richten.“
Elisabeth weiß das. Bis dato waren gekrönte Häupter über alles gestellt. Wenn sie Maria von einem Gericht verurteilen lässt, sind Regenten dem Volk gleichgestellt. Dann wird ihre Macht anfechtbar. Ihr Zögern ist also keine weibliche Schwäche, sondern sie zeigt damit außerordentlich kluges politisches Denken. Deshalb sagt sie ihrem Sekretär Davidson: „Ich leg’s in Eure Hände.“Sie war perfekt im Abgeben von Verantwortung. SN: Bei Schiller heißt es: „Das Richtschwert, womit der Mann sich ziert, verhaßt ist’s in der Frauen Hand. Die Welt glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes, sobald ein Weib das Opfer wird.“Stimmt das? Heute? Nein! Ich würde „Mann“und „Weib“wegtun und bloß sagen: „Mensch“. Jeder, der unter Repressalien steht, also Opfer wird, sei es gerecht oder ungerecht, reagiert immer individuell. Kann eine Frau ebenso richten wie ein Mann? Ja, natürlich! Jeder Mensch richtet über andere. Und ein Mann kann da genauso gerecht oder ungerecht sein wie eine Frau – auch wenn vielleicht der jeweilige Zugang ein anderer sein mag. Aber auch da sage ich immer: „Mensch“.
Kommt in „Maria Stuart“die weibliche Eifersucht besonders zur Geltung? Nein. Männer unter sich sind auch nicht ohne! Freilich ist Elisabeth eifersüchtig auf Maria. Denn Maria ist die Hübschere, hatte die schönere Jugend, hat Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Elisabeth hätte das gern. Doch sie ist hart aufgewachsen, das prägt einen Menschen. Elisabeth sagt, sie wolle nicht heiraten, weil sie sich keinem Mann unterordnen wolle. Einem Mann würde so ein Satz nie einfallen. Ja, sie sagt, sie wolle „jungfräuliche Königin“bleiben. Und es wird ihr allerlei zugedichtet, es heißt, sie sei hässlich gewesen, habe Verkrümmungen gehabt. Aber ich glaube, es war ihr Charakter. Sie war in sich gefangen. Sie wäre einst beinahe von ihrer Schwester umgebracht worden. Sie sagt, sie habe sich vieles hart erkämpfen müssen. Das will sie offenbar nicht aufs Spiel setzen.
Aber vor allem: Sie hatte mehrere Könige als Heiratskandidaten – den französischen und den spanischen sowieso. Aber da hätte sie eine andere Religion annehmen müssen. Da sagt sie Nein. SN: Fast alle Männer sind in Maria Stuart verliebt. Hilft ihr das? Oder stört das? Sie ist schön. Sie ist gewöhnt, verwöhnt zu werden. Sie ist großzügig, hat Feste gefeiert. Welcher Mann lässt sich da nicht hineinziehen?
Mortimer ist ein Beispiel, wie ein Mann Maria verfallen konnte. Schiller hat diesen jungen Mann erfunden, der Marias Onkel, einen Bischof, kennenlernt und bei diesem eine Gehirnwäsche erfährt. Er wird zum Fanatiker. Von dem Onkel wird Mortimer instruiert, wie man Maria aus der Gefangenschaft holen könnte. Er klügelt den Plan für den Mord an Elisabeth und die darüber kursierenden Briefe so aus, dass es zur Verurteilung Marias kommt.
Auch andere Männer machen während ihrer Gefangenschaft die Intrigen für sie. Doch alle gehen deswegen erbärmlich drauf. Viele Männer, die mit Maria zu tun hatten, die ihr nahegekommen sind, haben es mit dem Leben gebüßt – ohne dass Maria das gewollt hätte. SN: Gehören Macht und Erotik zusammen? Ach, auf der Bühne ist das einfach spannender. So werden die Figuren transparenter und lebendiger. Dass Elisabeth einen Traum mit Leicester hat, macht sie menschlich, weiblich. Leicester treibt ja mit beiden Frauen ein doppelbödiges Spiel, tatsächlich hätte einmal Maria mit ihm verheiratet werden sollen. Er umgarnt die eine wie die andere. SN: Die Schönheit Maria Stuarts ist legendär. Wie werden Sie auf der Bühne schön? Was tun Sie, um als Königin zu wirken? Ich hoffe, von meinem Inneren her. Dass ich jetzt 70 Jahre alt bin, hat mit Schillers Maria Stuart wenig zu tun, die war 25. Und die wirkliche war 45. Aber in unserer Fassung spielt das Alter keine Rolle. Entscheidend ist die Haltung – oder, wie sag ich? Ja: die innere Flamme! Wichtig ist, von dieser Persönlichkeit zu erzählen und was in ihr nach so langer Gefangenschaft vorgeht. Haben Sie, um schöne Königin zu werden, stundenlang über Kostüme verhandelt und viele Perücken probiert? Aber nein! Ab einem bestimmten Punkt ist das nicht mehr wichtig. Wenn ich von Maria Stuart erzähle, dann ist das ihre innere Geschichte. Da geht es um eine Essenz, um einen Blick aufs eigene Leben. Da brauche ich nur das Notwendigste an äußerlichen Attributen. Elisabeth steht am Ende allein da, alle Berater sind weg. Macht Macht einsam? Ja. Es muss immer einen geben, der die Entscheidungen trifft. Der- oder diejenige ist verantwortlich, und mit Verantwortung ist man allein. Das macht einsam.
Als Elisabeth am Schluss nach Leicester fragt, fällt der Satz: „Der Graf lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.“Da ist sie allein. Aber sie wächst an ihrer Einsamkeit, sie wird stärker, konzentrierter. Sie hat keine Ablenkung mehr. Dadurch geht von Elisabeth die Zukunft aus.
„Beide sind unglaublich gescheit, hochgebildet und mitten im Leben.“