Salzburger Nachrichten

EU legt Datendetek­tiven Fesseln an

Die neuen EU-Regeln für Datenschut­z entwickeln sich zum Weltstanda­rd. Der erklärte Experte im Europaparl­ament, Jan Philipp Albrecht, hofft auf die abschrecke­nde Wirkung der hohen Strafen und hat neue Probleme entdeckt.

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BRÜSSEL. Der 25. Mai 2018 ist ein wichtiger Tag in der EU: Dann tritt die Datenschut­z-Grundveror­dnung in Kraft. Damit werden die sehr unterschie­dlichen Datenschut­zregeln in den 28 EU-Ländern vereinheit­licht und für das Internet fit gemacht.

„Die strengen Regeln, die zunächst wie ein Wettbewerb­snachteil für Europa gewirkt hatten, sind auf dem Weg, zum Weltstanda­rd zu werden“, sagt der beste Kenner von Datenschut­zbestimmun­gen im Europaparl­ament, der deutsche Grünen-Abgeordnet­e Jan Philipp Albrecht. „Die ganz großen, weltweit tätigen Internet- und Technologi­efirmen bereiten sich jetzt schon darauf vor, die europäisch­en Regeln für Datenschut­z für ihr gesamtes Geschäft zu übernehmen“, sagt er im Gespräch mit den SN.

Von Japan und Konzernen wie Hitachi über Korea, Australien, Neuseeland bis nach Kanada und Argentinie­n reiche die Liste der Länder, die sich den europäisch­en Datenschut­z als Vorbild nähmen. „Weil wir den Mut hatten, Regeln zu erstellen, setzten wir nun die Standards und ist unsere Industrie Marktführe­r bei entspreche­nden Diensten.“

Eine echte Ausnahme bilden die USA, wo seit Jahren um ein neues Datenschut­zgesetz gerungen wird und die gleichen Debatten über Überwachun­g oder Zugriff auf Kommunikat­ionsdaten laufen. Aber auch hier seien Firmen wie der Telefonher­steller Cisco „weiter als der Gesetzgebe­r“, sagt Albrecht. Zum Teil wollten sie sich daran halten, zum Teil seien sie dazu gezwungen. „Sogar für Facebook wäre es ein Blödsinn, ein eigenes System für den größten Binnenmark­t der Welt und den größten Kundenstam­m zu entwerfen.“

Albrecht hält die Wahrschein­lichkeit, dass die neuen Regeln funktionie­ren, für „sehr hoch“. Allein, dass es einen einheitlic­hen Durchsetzu­ngsmechani­smus für alle 28 Datenschut­zbehörden gebe, weil sie Maßnahmen gegen Unternehme­n ergreifen müssten, schaffe „eine Riesenände­rung“. Unternehme­n könnten nicht mehr schwache Behörden ausnützen, die wegen der bestehende­n Rechtsunsi­cherheit gar nicht in der Lage waren, Verurteilu­ngen auszusprec­hen. „Ganz zu schweigen davon, dass es bisher keine Sanktionen gab, die die Konzerne gespürt hätten“, so der Parlamenta­rier. „Missbrauch von Daten war ein Kavaliersd­elikt und hatte keine Folgen.“Künftig gehe es mit Strafen von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes bei den Großen aber um Milliarden. „Allein die Drohung wird Effekt zeigen“, ist Albrecht überzeugt.

Ab Ende Mai werde sich die bisher übliche Einwilligu­ng zur Datenverar­beitung, à la „Wenn Sie den Dienst weiter nutzen, haben sie automatisc­h zugestimmt“, aufhören. Denn das verstoße klar gegen die Datenschut­z-Grundveror­dnung und werde schnell durchgeset­zt werden. Wenn Nutzer etwa einem Versandhau­s oder einer Airline ihre Daten geben, könnten diese „aus berechtigt­em Interesse“verarbeite­t und für spezifisch­e Angebote genützt werden, außer jemand nützt sein Widerspruc­hsrecht.

Die generell „höhere Informatio­nshürde“für die Firmen schütze den einzelnen Nutzer nicht davor, seine Daten dennoch einfach weiterzuge­ben. „Sie bringt aber mehr Klarheit für die, die das bisher beiläufig in Kauf nahmen“, sagt Albrecht. Sie könnten entscheide­n.

Doch die freie Entscheidu­ng hat Grenzen, weil es oft keine Alternativ­en zu Facebook oder WhatsApp gibt. „Wir brauchen einen funktionie­renden, fairen Digitalmar­kt“, fordert der grüne Mandatar. Die Nutzer müssten in der Lage sein, datenschut­zfreundlic­here Angebote wie die Suchmaschi­ne Quand aus Frankreich oder Kommunikat­ionsdienst­e wie Tremer aus der Schweiz oder Wire aus Deutschlan­d zu nützen, ohne alle Kontakte oder Freunde zu verlieren. Da müsse der Gesetzgebe­r als Nächstes eingreifen. Beim Telefonier­en sei es ja auch möglich, jemanden im anderen Netz anzurufen. Dann wäre der Wettbewerb in der Lage, datenschut­zfreundlic­he Angebote voranzubri­ngen.

Die Umsetzung der neuen EUDatensch­utzregeln läuft. Österreich sei „vorbildlic­h“, sagt Albrecht, obwohl es als einziges Land ursprüngli­ch nicht zugestimmt hat, weil es noch strengere Vorgaben wollte. Überall sei aber noch etwas zu tun, weil kleine Spezialges­etze angepasst werden müssten, wie etwa zum Umgang mit personenbe­zogenen Daten in Schulen oder bei anderen Behörden.

Zugleich überarbeit­et die EU derzeit die Regeln für den Umgang mit Kommunikat­ionsdaten im Internet. Die entspreche­nde Verordnung (im Fachjargon e-Privacy-Verordnung) sei „eine Art Beiboot zur Datenschut­z-Grundveror­dnung“, sagt der grüne Abgeordnet­e, weil diese Daten besonderen Schutz bräuchten. Bisher sei die unbegrenzt­e Datennutzu­ng bei Diensten wie WhatsApp oder Skype „als gottgegebe­n hingenomme­n worden“. Künftig sollen die gleichen Vertraulic­hkeitsanfo­rderungen gelten wie für Telekomfir­men.

Außerdem braucht es die aktive Zustimmung der Nutzer, damit quasi jeder ihrer Klicks auch über mehrere Seiten hinweg verfolgt werden darf. Das fordert das EUParlamen­t. Damit soll die heute übliche Praxis beendet werden, dass Cookies festhalten, was ein User auf irgendeine­r Seite angeschaut hat, mit welchem Computer, von wo aus, wie oft und wann. „Kommunikat­ions-Metadaten sind ähnlich sensibel wie der Inhalt eines Gesprächs – und müssen auch genauso streng behandelt werden“, fordert Albrecht. Die Firmen, die diese Daten auswerten und mit denen der Nutzer keinerlei Beziehung hat, „sind wie Privatdete­ktive, die alles ständig durch das Internet verfolgen“. Zusammenge­setzt ergeben die Daten ein sehr dichtes Persönlich­keitsprofi­l und verraten meist mehr als etwa die Adresse, gibt er zu bedenken. Dieses Tracking stelle „eine Riesengefa­hr“dar, was viele Verbrauche­r noch nicht nachvollzi­ehen könnten.

Die geplanten Einschränk­ungen haben einen Aufschrei der Onlinemedi­en und Werbewirts­chaft ausgelöst. Sie fürchten um ihre Geschäftsm­odelle. Die einen, weil sie die Daten nicht mehr so leicht abgreifen und weitergebe­n dürfen, die anderen, weil personalis­ierte Werbung schwierig wird. Albrecht ärgert, dass sich „die Medien von der Werbewirts­chaft in einen Bereich haben locken lassen, in dem man nicht gewinnen kann“. Man verlange von den Kunden, ihre Grundrecht­e aufzugeben, um ordentlich­e Inhalte zu bekommen. „Das ist keine nachhaltig­e Position.“Künftig könne das nur mit dem Wissen des Verbrauche­rs erfolgen.

Albrecht ist überzeugt, dass auch den Verbrauche­rn mehr und mehr bewusst wird, dass eine unkontroll­ierte Verarbeitu­ng ihrer Daten durchaus wirtschaft­liche Konsequenz­en haben kann, weil sie plötzlich keinen Kredit oder Handyvertr­ag bekommen. „Vielleicht sind wir in 20 bis 30 Jahren so technologi­eaffin, dass wir keinen Schutz brauchen, aber noch ist es nicht so weit.“Lang habe man gedacht, dass sich jeder selbst um seine Daten kümmere, mittlerwei­le würden die Menschen jedoch erwarten, dass das der Gesetzgebe­r erledige.

„Diese Daten sagen mehr als die Adresse.“

Zur Person: Jan Philipp Albrecht

(35) ist Jurist und hat einen Postgradua­te-Master in IT-Recht. Neben seiner Abgeordnet­entätigkei­t lehrt er Rechtsinfo­rmatik an der Uni Wien und schreibt juristisch­e Fachbeiträ­ge.

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BILD: SN/FOTOLIA Im Mai tritt die EU-Datenschut­zverordnun­g in Kraft. Für Firmen wie Kunden ändert sich dadurch vieles.
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Jan Philipp Albrecht, EU-Abgeordnet­er
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