ÖVP und FPÖ: Kein Plebiszit über Europa
Die Koalitionsverhandler einigen sich auf einen proeuropäischen Kurs.
Die Verhandlungen von ÖVP und FPÖ über einen Ausbau der direkten Demokratie sind noch nicht abgeschlossen. Aber eines steht bereits fest: Eine Volksabstimmung über einen möglichen Austritt Österreichs aus der EU („Öxit“) wird es nicht geben. Dies verlautete am Dienstag aus Verhandlungskreisen.
Wie die künftigen Regierungsparteien verhindern wollen, dass ein allfälliges Volksbegehren für einen EU-Austritt zu einer bindenden Volksabstimmung führt, ist noch unklar. Eine Möglichkeit wäre es, per Verfassungsgesetz einige definierte Politikfelder – von der Europapolitik bis zu den Menschenrechten – von Volksabstimmungen auszunehmen. Gleichzeitig bestünde die Möglichkeit, dem Verfassungsgerichtshof eine Art Vetorecht über die Themen von Volksabstimmungen einzuräumen.
Wie die SN aus den Verhandlungen erfuhren, soll der Koalitionspakt ein Bekenntnis zur EU enthalten. Dies entspricht dem Wunsch Bundespräsident Alexander Van der Bellens, der sich ausbedungen hat, eine „proeuropäische Regierung“anzugeloben.
Die Kompetenz über die Europapolitik soll übrigens vom Außenministerium (das wahrscheinlich an die FPÖ fallen wird) ins Kanzleramt übersiedeln. Der künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz wird also persönlich für die EU-Politik verantwortlich sein.
WIEN. Die EU-Politik in der türkisblauen Bundesregierung wird eine Angelegenheit der ÖVP sein. Wie die SN aus Verhandlerkreisen erfuhren, haben sich die beiden Parteien geeinigt, die EU-Agenden aus dem Außenministerium (das voraussichtlich an die FPÖ fallen wird) herauszulösen und ans Bundeskanzleramt zu übertragen. Der künftige Kanzler Sebastian Kurz wird also persönlich für die EUPolitik verantwortlich sein. Auch die „federführende Vorbereitung des österreichischen EU-Ratsvorsitzes“im zweiten Halbjahr 2018 wird dem Bundeskanzleramt obliegen.
Mit dieser Entscheidung schickt die künftige Regierung ein Signal der Beruhigung nach Brüssel. Denn bei den EU-Partnern hätte es Irritationen ausgelöst, wäre ein FPÖ-Regierungsmitglied, dessen Parteifreunde im EU-Parlament der Fraktion der EU-feindlichen Le-PenFraktion angehören, verantwortlich für die österreichische EU-Politik. An den Außenministerräten wird nun nicht die voraussichtliche Außenministerin Karin Kneissl, die auf einem FPÖ-Ticket sitzen wird, teilnehmen, sondern ein von Kurz delegierter Kanzleramtsminister. Weitere Eckpunkte der ÖVPFPÖ-Einigung: „Öxit“. Beim Ausbau der direkten Demokratie wird es zu keiner Volksabstimmung über einen allfälligen EU-Austritt Österreichs („Öxit“) kommen. Türkei. Die Regierung will einen „endgültigen Abbruch“der Beitrittsgespräche mit der Türkei erreichen. Sicherheit. Die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten mit der Grenzschutzorganisation „Frontex“soll verstärkt werden. Österreich soll weiter seine Grenzen sichern dürfen, solange der europäische Grenzschutz nicht funktioniert. Entbürokratisierung. Europäische Rechtsakte sollen mit einer Auslaufklausel versehen werden, sprich: Sie sollen nach einer bestimmten Zeit ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie nicht ausdrücklich verlängert werden („Sunset Clause“). Für jenen neuen EU-Rechtsakt soll ein alter verschwinden („One-in-oneout-Regel“). Grundsätzlich soll in der EU verstärkt das Subsidiaritätsprinzip zur Geltung kommen, Entscheidungen sollen also so weit wie möglich an die „unteren Ebenen“delegiert werden.
Wie aus Verhandlerkreisen verlautete, solle das Regierungsprogramm von einer „proeuropäischen Linie“getragen sein. Das entspricht einem ausdrücklichen Wunsch Bundespräsident Alexander Van der Bellens.
Die geplante Transferierung der EU-Agenden vom Außenministerium ins Kanzleramt erfordert eine gesetzliche Änderung. Das erst 2014 in „Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres“umgetaufte Außenministerium wird die Bezeichnung „Europa“verlieren – und möglicherweise auch die Bezeichnung „Integration“, falls die Agenden ins Kanzleramt oder ins Innenministerium übersiedeln. Die voraussichtliche Außenministerin Karin Kneissl wird also über ein abgespecktes Ressort verfügen.