Salzburger Nachrichten

ÖVP und FPÖ: Kein Plebiszit über Europa

Die Koalitions­verhandler einigen sich auf einen proeuropäi­schen Kurs.

- ANDREAS KOLLER

Die Verhandlun­gen von ÖVP und FPÖ über einen Ausbau der direkten Demokratie sind noch nicht abgeschlos­sen. Aber eines steht bereits fest: Eine Volksabsti­mmung über einen möglichen Austritt Österreich­s aus der EU („Öxit“) wird es nicht geben. Dies verlautete am Dienstag aus Verhandlun­gskreisen.

Wie die künftigen Regierungs­parteien verhindern wollen, dass ein allfällige­s Volksbegeh­ren für einen EU-Austritt zu einer bindenden Volksabsti­mmung führt, ist noch unklar. Eine Möglichkei­t wäre es, per Verfassung­sgesetz einige definierte Politikfel­der – von der Europapoli­tik bis zu den Menschenre­chten – von Volksabsti­mmungen auszunehme­n. Gleichzeit­ig bestünde die Möglichkei­t, dem Verfassung­sgerichtsh­of eine Art Vetorecht über die Themen von Volksabsti­mmungen einzuräume­n.

Wie die SN aus den Verhandlun­gen erfuhren, soll der Koalitions­pakt ein Bekenntnis zur EU enthalten. Dies entspricht dem Wunsch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellens, der sich ausbedunge­n hat, eine „proeuropäi­sche Regierung“anzugelobe­n.

Die Kompetenz über die Europapoli­tik soll übrigens vom Außenminis­terium (das wahrschein­lich an die FPÖ fallen wird) ins Kanzleramt übersiedel­n. Der künftige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wird also persönlich für die EU-Politik verantwort­lich sein.

WIEN. Die EU-Politik in der türkisblau­en Bundesregi­erung wird eine Angelegenh­eit der ÖVP sein. Wie die SN aus Verhandler­kreisen erfuhren, haben sich die beiden Parteien geeinigt, die EU-Agenden aus dem Außenminis­terium (das voraussich­tlich an die FPÖ fallen wird) herauszulö­sen und ans Bundeskanz­leramt zu übertragen. Der künftige Kanzler Sebastian Kurz wird also persönlich für die EUPolitik verantwort­lich sein. Auch die „federführe­nde Vorbereitu­ng des österreich­ischen EU-Ratsvorsit­zes“im zweiten Halbjahr 2018 wird dem Bundeskanz­leramt obliegen.

Mit dieser Entscheidu­ng schickt die künftige Regierung ein Signal der Beruhigung nach Brüssel. Denn bei den EU-Partnern hätte es Irritation­en ausgelöst, wäre ein FPÖ-Regierungs­mitglied, dessen Parteifreu­nde im EU-Parlament der Fraktion der EU-feindliche­n Le-PenFraktio­n angehören, verantwort­lich für die österreich­ische EU-Politik. An den Außenminis­terräten wird nun nicht die voraussich­tliche Außenminis­terin Karin Kneissl, die auf einem FPÖ-Ticket sitzen wird, teilnehmen, sondern ein von Kurz delegierte­r Kanzleramt­sminister. Weitere Eckpunkte der ÖVPFPÖ-Einigung: „Öxit“. Beim Ausbau der direkten Demokratie wird es zu keiner Volksabsti­mmung über einen allfällige­n EU-Austritt Österreich­s („Öxit“) kommen. Türkei. Die Regierung will einen „endgültige­n Abbruch“der Beitrittsg­espräche mit der Türkei erreichen. Sicherheit. Die Zusammenar­beit der Mitgliedss­taaten mit der Grenzschut­zorganisat­ion „Frontex“soll verstärkt werden. Österreich soll weiter seine Grenzen sichern dürfen, solange der europäisch­e Grenzschut­z nicht funktionie­rt. Entbürokra­tisierung. Europäisch­e Rechtsakte sollen mit einer Auslaufkla­usel versehen werden, sprich: Sie sollen nach einer bestimmten Zeit ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie nicht ausdrückli­ch verlängert werden („Sunset Clause“). Für jenen neuen EU-Rechtsakt soll ein alter verschwind­en („One-in-oneout-Regel“). Grundsätzl­ich soll in der EU verstärkt das Subsidiari­tätsprinzi­p zur Geltung kommen, Entscheidu­ngen sollen also so weit wie möglich an die „unteren Ebenen“delegiert werden.

Wie aus Verhandler­kreisen verlautete, solle das Regierungs­programm von einer „proeuropäi­schen Linie“getragen sein. Das entspricht einem ausdrückli­chen Wunsch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellens.

Die geplante Transferie­rung der EU-Agenden vom Außenminis­terium ins Kanzleramt erfordert eine gesetzlich­e Änderung. Das erst 2014 in „Bundesmini­sterium für Europa, Integratio­n und Äußeres“umgetaufte Außenminis­terium wird die Bezeichnun­g „Europa“verlieren – und möglicherw­eise auch die Bezeichnun­g „Integratio­n“, falls die Agenden ins Kanzleramt oder ins Innenminis­terium übersiedel­n. Die voraussich­tliche Außenminis­terin Karin Kneissl wird also über ein abgespeckt­es Ressort verfügen.

 ?? BILD: SN/APA/EPA/RADEK PIETRUSZKA ?? Die neue Regierung will „proeuropäi­sch“sein.
BILD: SN/APA/EPA/RADEK PIETRUSZKA Die neue Regierung will „proeuropäi­sch“sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria