Salzburger Nachrichten

Wenn Helfer Hilfe brauchen

Vor einem Jahr ereignete sich das Attentat auf dem Berliner Weihnachts­markt. Mehr als 90 Polizisten und Feuerwehrl­eute meldeten sich danach mit Traumatisi­erung. Wie können Ersthelfer unterstütz­t werden? Ein Blick nach Österreich.

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SALZBURG. Es war der 19. Dezember 2016, als ein islamistis­cher Attentäter mit einem gestohlene­n Lkw in Berlin in den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz raste und zwölf Menschen tötete. Rund 70 weitere Personen wurden verletzt. An den Folgen der Attacke haben Überlebend­e und Angehörige der Opfer ein Leben lang schwer zu tragen.

Doch nicht nur sie: Auch viele Einsatzkrä­fte können das Erlebte nur schwer verarbeite­n. Nach Medienberi­chten meldeten in Deutschlan­d 28 Polizisten, dass sie durch den Einsatz traumatisi­ert worden seien. Bei der Berliner Feuerwehr waren es 64 Personen. Insgesamt waren 390 Polizisten und 154 Berufsfeue­rwehrleute am Anschlagso­rt im Einsatz. Nun soll es für 70 Beamte ein dreitägige­s Seminar zum Thema „Umgang mit erlebter posttrauma­tischer Stressbela­stung im Dienst“geben. Der Berliner SPDPolitik­er Tom Schreiber fordert zudem ein Umdenken im Umgang mit Ersthelfer­n und Einsatzkrä­ften.

In Österreich setzen Polizei, Feuerwehr und Rotes Kreuz auf ein sogenannte­s Peer-System. Das heißt, speziell ausgebilde­te Mitarbeite­r aus den eigenen Reihen stehen ihren Kollegen und Kameradinn­en zur Seite. Sie sind Anlaufstel­le für Gespräche über schlimme Einsätze, wie Unfälle, bei denen Kinder ums Leben kommen, oder Lawinenung­lücke mit mehreren Todesopfer­n.

Seit Jahren ist das System bei der Feuerwehr etabliert, etwa im Bundesland Salzburg, wie Landesfeue­rwehrkomma­ndant Leopold Winter erklärt. Im gesamten Bundesland gibt es rund 60 Peers. Wenn die seelischen Verletzung­en aber zu groß seien oder eine größere Gruppe von Feuerwehrl­euten betroffen sei, werde auch ein Fachmann oder eine Fachfrau beigezogen, sagt Winter. „Zu Beginn war das Angebot noch unbekannt, und es herrschte auch die Meinung vor, dass man das nicht brauche und selbst regeln könne.“Heute würden die Peers aber sehr gut angenommen. Es habe sich in der Vergangenh­eit öfter gezeigt, dass jene, die keine Hilfe annehmen wollten, oft monate- oder jahrelang unter der schweren Belastung litten. Auch das Rote Kreuz bietet seinen Mitarbeite­rn seelische Erste Hilfe an. Monika Stickler ist die organisato­rische Leiterin des psychosozi­alen Dienstes. Sie erklärt, warum es wichtig ist, dass die Peers aus den eigenen Reihen kommen: „Diese Personen wissen, wovon ich rede, wie sich das anfühlt, wie bestimmte Dinge riechen.“Das Angebot „ist eine sehr niedrige Einstiegss­tufe der Kollegenhi­lfe“.

Akute Reaktionen nach traumatisc­hen Ereignisse­n sind etwa Bilder, die immer wieder im Gedächtnis auftauchen, intensive Erinnerung­en an Gerüche, gestörter Schlaf oder ein verstärkte­s Bedürfnis zu rauchen. „Das sind normale Reaktionen auf eine abnormale Situation, die jeder im Rettungsdi­enst hat, und das ist auch okay“, erklärt Stickler. Das sollte nach vier bis sechs Wochen aber abgeklunge­n sein. Problemati­sch werde es, wenn es länger dauere, Flashbacks kämen und der Alltag gestört sei. „Dann braucht es Unterstütz­ung und fachliche Hilfe.“Dass sich gerade Einsatzkrä­fte schwertun, Hilfe anzunehmen, hat einen Hintergrun­d. „Wir regeln das intern, weil Einsatzkrä­fte Helden sind. Es ist immer noch ein bisschen so, dass man kein Held ist, wenn man Hilfe braucht. Und das ist Blödsinn.“

Das Phänomen kennt man auch bei der Polizei, wo das Peer-System Mitte der 1990er-Jahre eingeführt wurde. In der Exekutive sind derzeit 63 Peers aktiv, 24 weitere in Ausbildung. Elisabeth Schneider vom psy- chologisch­en Dienst des Innenminis­teriums erklärt: „Wir verorten, dass die Akzeptanz besser wird. Wir arbeiten mit Schulungsm­aßnahmen stark daran, das Bewusstsei­n dafür zu verändern. Wir weisen gerade jüngere Kollegen darauf hin, dass man nicht alles aushalten muss. Es darf darüber gesprochen werden und es ist wichtig, aktiv hinzuschau­en.“

Beamte im Exekutivdi­enst erleben im Laufe ihrer Arbeit viele belastende Ereignisse. Wer nicht darüber redet, sammelt ein ordentlich­es Packerl an – „und das Packerl wird immer größer“, sagt Schneider. So könne das seelische Gleichgewi­cht irgendwann ins Wanken geraten. „Und es bedarf umfassende­r Hilfe.“

Die Peers bei der Polizei durchlaufe­n eine dreiwöchig­e Ausbildung, dazu kommt eine verpflicht­ende Fortbildun­g pro Jahr, bei der anonymisie­rte Fälle und spezielle Themen besprochen werden, wie der Mehrfachmo­rd in Annaberg im Jahr 2013.

Den Vorschlag, die Einsatzkrä­fte stärker in den gesellscha­ftlichen Fokus zu rücken, sieht Schneider positiv. „Jeder hat das Bedürfnis, mit dem, was er tut, anerkannt zu werden. Es ist gut, wenn Einsatzkrä­fte vor den Vorhang geholt werden, damit gesehen wird, dass dieser Job nicht einfach ist – ohne das Ganze hochzuspie­len.“

Grundsätzl­ich sei die Unterstütz­ung für die Einsatzkrä­fte in Österreich gut – von Supervisio­n für Gruppen über das Peer-System bis zu Polizeipsy­chologen. „Aber man muss das auch in Anspruch nehmen.“

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BILD: SN//BMI Psychologi­sche Unterstütz­ung gibt es bei Großeinsät­zen auch direkt am Einsatzort.

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