Die trojanische Postenvergabe
Als der Archäologe Heinrich Schliemann nach dem homerischen Troja zu graben begann, stieß er auf eine verwirrende Fülle von Stadtschichten. Es gab nicht die eine, einzige Stadt Troja. Nein, an dem Platz, wo sich laut Homer der edle Achill und der ebensolche Hektor duelliert hatten, waren im Laufe der Jahrtausende mindestens zehn Städte gestanden. In Schichten liegen ihre Reste übereinander, und bis heute ist umstritten, ob König Priamos in TrojaSchicht Nummer sechs oder sieben um seinen Sohn Hektor trauerte.
Wesentlich einfacher ist es um die Besiedlungsgeschichte der heimischen Bundesministerien bestellt. Das dortige Personal ist in historischen Schichten angeordnet, die sich fein säuberlich unterscheiden lassen. Schließlich bringt jeder neue Minister sein neues Personal mit und lässt es dann bei seinem Abgang im Ressort zurück.
Soeben ist dieser Prozess des Zurücklassens wieder im Gange. Die scheidenden Minister erfinden neue Beamtenposten für ihre Parteigänger und Kabinettsmitarbeiter, die damit eine neue Schicht im Ministerialpersonal bilden. Die Heinrich Schliemänner der Zukunft werden dereinst darüber streiten, ob es sich um Personalschicht sechs oder sieben handelt. Aber dazu später.
Hoffnungslose Fantasten könnten nun einwenden, dass es doch vollkommen ausgeschlossen sei, dass ein Minister so ohne Weiteres Beamtenposten verteile, da es doch in Österreich eine objektivierte Postenvergabe gebe.
Das, lieber hoffnungsloser Fantast, ist an sich korrekt. Aber objektiviert heißt nicht objektiv. Selbstverständlich geht ein Posten nur an den Bewerber, der von einer gänzlich unabhängigen Kommission als der am besten dafür Geeignete ermittelt wurde. Aber wie das Leben so spielt: Am besten geeignet ist immer der Kandidat des gerade amtierenden Ministers. Der Beste ist eine Tochter der Amtszeit, sozusagen.
Momentan schwemmt es wieder einen Schippel von solchen Töchtern der Zeit in die Ministerien. Nach hiesiger Zählung bilden sie Personalschicht Nummer sechs. Schicht eins sind jene bemoosten Häupter, die ihre Ämter noch der Regierung Kreisky verdanken. Dann gibt es in Schicht zwei einige bläuliche Beamte, die unter der rot-blauen Regierung 1983–1986 zu ihren Posten kamen. In Schicht Numero drei macht sich der Proporz der 1987 wieder erstandenen rot-schwarzen Koalition bemerkbar und so weiter und so fort.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass derlei personalarchäologische Ausgrabungen auch in anderen Sparten des Staates möglich sind, in denen auf strengste Unabhängigkeit und Objektivität Wert gelegt wird, etwa bei den Gerichten und im ORF.
Alle diese Institutionen dürfen sich glücklich schätzen, über so vielfältige Personalschichten zu verfügen, sind darin doch sicherlich ebenso unfassbare Schätze verborgen, wie sie Schliemann einst in Troja ausgrub und damit dann seine Frau behängte.
Apropos Troja: Mit dieser Stadt hängt es auch zusammen, dass wir in der Früh so zeitig aufstehen müssen. Nämlich soll ein Bruder des erwähnten trojanischen Königs Priamos, Tithonos hieß er, von so unfassbarer Schönheit gewesen sein (eine Art antiker Grasser also), dass sich Eos, die Göttin der Morgenröte, in ihn verliebte. Um endloses Glück mit ihm genießen zu können, bat sie den Göttervater Zeus, Tithonos ewiges Leben zu verleihen. Leider vergaß sie, auch ewige Jugend für ihn zu erflehen.
So lebt Tithonos zwar ewig, wird dabei aber immer älter und unleidlicher. Und das ist laut den alten Griechen der Grund, warum der Tag so früh beginnt. Weil die Göttin der Morgenröte in der Früh so zeitig wie möglich aus dem Ehebett vor ihrem alten trojanischen Grantscherm flüchtet. Danke, Troja.