Wer Ski fährt, muss eine Banane sein
Zwei schmalen Brettern Vertrauen schenken – gar nicht so leicht für einen Nichtskifahrer. Drei Tage hatte ich Zeit, um Skifahren zu lernen. Ein wackeliges Unterfangen.
Boshaft war er. Er ließ zu, dass ich keinen Halt fand, brachte mich andauernd ins Rutschen. Über Nacht fiel gut ein halber Meter Neuschnee auf dem Gletscher am Kitzsteinhorn. Der Schnee wurde mein Gegner im Kampf gegen den Hang. Der Wind peitschte eisige Körner ins Gesicht. Die Banane wankte, die Koordination versagte. Der zweite Skitag meines Lebens – grausam und für mich eine glatte Niederlage.
„Das war ein Riesenerfolg“, sagte Skilehrer René. „Wir haben den Hang bezwungen trotz solch schlechter Bedingungen“. Er sah in allem noch etwas Positives. Drei Tage begleitete er mich bei dem Versuch, zwei Brettern Vertrauen zu schenken.
Wasser war nie wirklich mein Element. In gefrorenem Zustand schon gar nicht. Wenn Schnee als winterliche Decke das Land umhüllt, mag das ja beruhigen. Wenn er aber präpariert wird, um auf ihm so schnell wie möglich die Hänge hinunterzusausen, ist das alles andere als einladend für mich. Die weiße Idylle schien mir schon immer wie gemacht für eine Postkarte, nicht für meine sportliche Spielwiese.
Dabei ist der Schnee für die Wirtschaft des Landes Salzburg eines der wichtigsten Elemente. Knapp eine Million Gäste kamen im vergangenen Jahr, um auf dem Gletscher ihre Schwünge zu ziehen. 41 Pistenkilometer gibt es im Skigebiet Kitzsteinhorn. Über 38 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete das Pinzgauer Skigebiet im Jahr 2016. 51 Euro kostet die Tagesskikarte heuer.
Jedes Jahr beginnt spätestens im November das Gerede von Kollegen, Freunden und Bekannten davon, welche die tollsten Routen seien, wie hoch der Neuschnee liege und welches die beste Technik sei. Als Abstinenzler nervte das spätestens bei der Frage: „Fährst du auch Ski?“Und dann kam die Gelegenheit: Skifahren lernen auf dem Gletscher, unwirtlicher könnte ich mir eine Gegend nicht vorstellen. Aber man sollte im Leben manchmal seinen Instinkten zuwiderhandeln, also sagte ich zu.
Wochen vor der ersten Schneeberührung quälte mich ein Gedanke: Was brauche ich zum Skifahren überhaupt? Ich zermarterte mir den Kopf, was ich in den Koffer packen sollte. Und stellte fest: Nichts davon besaß ich. Keine warmen Socken, die bis zu den Knien reichen. Keine langen Unterhosen. Nicht einmal warme Handschuhe. Ich musste das Zeug leihen – bei Freunden, im Skiverleih. Wie hätte ich wissen sollen, ob es sich lohnen würde, das alles selbst zu besitzen? Dabei dachte ich bereits nach zwei Stunden meines ersten Skitags über genau diese Investitionen nach. Nach den Vermessungen im Skishop ging es zu den ersten Trockenübungen. Ski anschnallen, abschnallen. Skilehrer René ließ mich einen fünf Meter hohen Hügel mehrmals hochstapfen, damit ich dann in SchneepflugStellung geradeaus hinabfahren konnte. Wir fuhren auf einem Ski in der Ebene, versuchten uns im Schneeballett. Ein Bein schwangen wir waagrecht nach hinten, das andere steckte verwurzelt in der Erde.
Dann kniete er sich vor mir nieder. Er legte seinen Skistock waagrecht und zeigte mir die drei wichtigsten Zonen – Knie, Knöchel und Hüfte. Deren Achsen sollten annähernd zueinander parallel sein. Aus meinem Körper sollte eine Banane werden, deren Enden zum Tal geneigt waren. Wunderbar, dachte ich mir. Statt vom Abgrund wegzulenken, sollte ich mich ihm einladend präsentieren.
„Du sollst auf dem Berg oben der Chef bleiben“, sagte René. Alpines Fahrverhalten war unser erklärtes Ziel. Dabei könne man in jeder Hanglage die Balance halten. „Und immer den Talski belasten“, trichterte er mir ein. Die ersten Meter auf Ski funktionierten tadellos. Ich war motiviert für den Berg.
Als wir auf etwa 2400 Metern Höhe die erste Piste nach unten fuhren, rauschten sie vorbei – die Profis. Es zischte, wenn bei den Schwüngen die Schneedecke riss und aufstob. Der Berg schien ihnen Energie zu geben. Sie stürzten sich wagemutig in die Tiefe. Ich schlich bloß, kam aber glücklich den Hang hinunter. Am Abend schmerzten die Beine, ich gönnte mir eine Massage. Sie weckte meine Lebensgeister, ich freute mich auf den nächsten Tag.
Der Tag, an dem der Rückschlag kam. Am zweiten Skitag meines Lebens war das Wetter grausam zu uns. Alles, was ich am ersten Tag gelernt hatte, schien vergessen. Die Nacht verwandelte das Skigebiet in eine Schneehölle. Heftiger Wind machte das Atmen schwer. Die Anzeigetafel zeigte Lawinenwarnstufe vier. „Eigentlich sind das super Bedingungen“, sagte René. „Jetzt könnten wir uns voll und ganz auf die Technik konzentrieren, ohne dass gute Sichtbedingungen uns ablenken würden.“Der Plan leuchtete mir ein.
Ihn umzusetzen fiel mir schwer. Ich konzentrierte mich eher darauf, Konturen meines Skilehrers zu erkennen, der nur etwa vier Meter vor mir Lehrschwünge zog. Wenn ich fiel, wieder aufzustehen. Meine Kräfte ließen nach. Meine Muskeln wollten sich nicht mehr daran erinnern, was sie tun sollten. René erkannte das. Ich durfte eine Pause machen. Er wusste: Ich hatte Angst.
Seit 20 Jahren arbeitet René als Skilehrer. Er weiß, wann er Gas geben kann und wann er seine Schüler einbremsen muss. Als er mir bei einer Frittatensuppe das Handyvideo meiner letzten Talfahrt zeigte, blickte ich ehrfürchtig zu einer Horde von Kindern. Mit Spaß rutschten sie den Hang hinunter und machten eine weitaus bessere Figur als ich auf dem Video.
Die Banane wollte mir nicht gelingen, es reichte bloß zu einer Gurke. Vielleicht bin ich einfach zu alt, um Skifahren zu lernen. Und ich hatte tatsächlich Angst. Vor der Höhe des Gletschers, vor der Falllinie, vor den Stürzen und davor, mein Vertrauen diesen zwei schmalen Brettern zu schenken.
Dabei war der Berg nicht die einzige Herausforderung. Die sogenannten Aufstiegshilfen können die Abfahrt zum weit entfernten Ziel machen. Teller oder Anker eines Schlepplifts wollen erst erwischt werden und dann soll man sich auf dieses kleine Stückchen Kunststoff verlassen. „Nicht draufsetzen“, erklärte mir René. Der Po soll sich leicht an den Teller schmiegen. So lässt man sich sanft ziehen – die Ski sollen gleiten ohne zu entgleiten. Und dann waren da noch diese Skischuhe. Für die Skibindung mögen sie ja passen, an meinen Beinen waren sie wie Klötze. Der Toilettengang im Restaurant wurde zu einem aufwendigen Unterfangen. Meine Motivation war am Ende, mir war kalt und ich versteifte mich zu sehr auf die lockere Banane, die mir nicht gelingen wollte. Doch dann tauchte Bode Miller auf.
Wenn man ihn analysiere, würde die Haltung katastrophal abschneiden, sagte René. Das beruhigte mich. Miller war ein Rockstar des Skizirkus, hat sechs Olympiamedaillen und vier Weltmeistertitel. Einer, der nicht in der vorgegebenen Spur fuhr und trotzdem siegte. Das war mir sympathisch.
Und dann kam der dritte Tag, an dem sich die Piste in glitzernder Pracht zeigte. Ich schnallte meine Ski an und war vollen Mutes. Ich schloss Frieden mit dem Gletscher. Das Brennen in den Beinen bemerkte ich nicht mehr, die Höhe war mir egal. Ich fing an, dem Berg mein Vertrauen zu schenken. Versuchte, hinter René die Kurven nachzuzeichnen, ohne viel nachzudenken. Im Fahrtwind verblassten die Bedenken.
Auf der Gipfelstation auf über 3000 Metern stiegen wir aus. Der Blick war atemberaubend, die weißen Gipfel sanft und friedlich. Und so merkte ich es fast nicht, als wir von ganz dort oben eine rote Piste hinabfuhren. Bedacht und langsam, aber sicher.
Man kann vielleicht noch nicht von eleganten Carving-Schwüngen sprechen, aber ich kam heil den Gletscher hinunter. Vielleicht finde ich ja schon bald meinen individuellen Stil, so wie einst Bode Miller. Meine eigenen warmen Skihandschuhe habe ich schon einmal gekauft.