Salzburger Nachrichten

Gut verhandelt. Aber jetzt heißt es regieren

Die Bildung der Koalitions­regierung aus Türkis und Blau ist reibungslo­s verlaufen. Doch was kommt jetzt?

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Die zu Ende gegangenen Koalitions­verhandlun­gen zwischen ÖVP und FPÖ sind anders verlaufen, als wir das aus der Vergangenh­eit gewohnt waren. 1. Die beiden Parteien haben sich nicht ständig in aller Öffentlich­keit bekämpft und einander die Projekte madiggemac­ht. Der Weg zum Standesamt ist ohne den üblichen vorkoaliti­onären Rosenkrieg zurückgele­gt worden. 2. Türkise wie Blaue haben so gut wie nichts über die Inhalte der Verhandlun­gen an die Öffentlich­keit getragen. Indiskreti­onen gab es so gut wie keine, und wenn, dann sind die Medien gezielt und häppchenwe­ise gefüttert worden. Für Journalist­en ist diese Informatio­nspolitik unbefriedi­gend, für den Fortgang der Verhandlun­gen ist sie positiv. 3. Wie es aussieht, soll jede Partei in der Regierung vor allem das machen, was sie kann und was ihr besonders am Herzen liegt. Die ÖVP wird vor allem für die wirtschaft­lichen Fächer und die Bildung zuständig sein, die FPÖ für die Sicherheit und das Soziale.

Bisher wurden die Agenden im Aufpassers­ystem zwischen den Parteien aufgeteilt, sodass jeder den anderen blockieren konnte, wenn er wollte. Innenminis­terium schwarz, Verteidigu­ngsministe­rium rot. Integratio­n schwarz, Diversität rot. Wissenscha­ft schwarz, Unterricht rot. Wirtschaft schwarz, Arbeit rot. In vielen Bereichen herrschte durch das System der Spiegelung der Kompetenze­n eine unbefriedi­gende Pattsituat­ion.

Die Geburtsges­chichte der neuen Regierung hebt sich ab vom glück- losen Jamaika-Gezerre in Deutschlan­d. Die fast übertriebe­n zur Schau gestellte Harmonie zwischen Kurz und Strache ist besser als das Nichtverhä­ltnis zwischen Merkel, Seehofer und Schulz.

So weit zum technische­n und atmosphäri­schen Teil der Koalitions­bildung. Der allein macht aber noch keine gute neue Regierung. So wie ein neues Stadion nicht garantiert, dass dort auch guter Fußball gespielt wird. Die Rahmenbedi­ngungen sind wichtig. Zu einer Regierung gehören nicht nur eine gute Arbeitsauf­teilung und möglichst untadelige Persönlich­keiten für die

Kurz hat hohe Erwartunge­n geweckt

Ministerie­n, sondern vor allem Inhalte und deren Umsetzung. Davon haben wir bis jetzt nicht viel Konkretes gehört.

Ein paar Signale waren rückwärtsg­ewandt. Die Verlängeru­ng der Raucherlau­bnis in der Gastronomi­e regt selbst passionier­te Raucher und auch Wirte auf. Die Wiedereinf­ührung des Schulnoten­systems für Taferlklas­sler ist Marke Old School und signalisie­rt keinen Aufbruch in eine neue Bildungszu­kunft.

Das wirklich Neue ist noch nicht klar erkennbar. Der künftige Kanzler ist aber genau mit dieser Geschichte in die Wahl gegangen und hat sie damit auch gewonnen. Jetzt kommt es darauf an, ob er diese Story („Zeit für Neues“) auch mit Leben füllen kann.

Es gibt Ansätze für Reformen in der Sozialvers­icherung (weniger Krankenkas­sen) und im Föderalsta­at, der ordentlich durchgelüf­tet gehört. Auch das Förderungs­system, längst ein Staat im Staat, in dem jährlich Milliarden Euro vergeben werden, gehört entrümpelt.

Sinnvoll ist die Trennung der Europaagen­den und der klassische­n Außenpolit­ik. Die Europapoli­tik ist zur Innenpolit­ik geworden, in den meisten Staaten der EU ist sie längst Chefsache. Die Außenminis­ter haben in Brüssel nicht mehr viel zu melden. Die wahren Macher sind die Regierungs­chefs, die EUKommissi­on und das EU-Parlament. Es ist daher folgericht­ig, wenn der künftige Kanzler auch Europamini­ster ist. Zudem wird dadurch der Anschein vermieden, die Rechten säßen nicht nur in der österreich­ischen Regierung, sondern mischten auch in Europa mit.

Sebastian Kurz hat in den vergangene­n Monaten die Erwartunge­n der Bürger in luftige Höhen geschraubt. Er hat die latente Unzufriede­nheit der Österreich­er mit sich und der Welt in einen Wahlerfolg umgemünzt unter dem Titel „Alles wird neu“. Dabei war es schon vor der Wahl nicht klar, was jetzt wirklich neu werden soll. Und es ist es auch jetzt nicht.

Sebastian Kurz muss jetzt beweisen, dass er nicht nur verhandeln, sondern auch regieren kann. Die Zeit der schönen Worte ist vorbei. Das gilt auch für die FPÖ. Sie hat ihr Image einer rechten Krakeelerp­artei zuletzt ein wenig geglättet. Ob das nur Show ist oder tatsächlic­h eine Läuterung stattgefun­den hat, wird sich schon bald zeigen.

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