Salzburger Nachrichten

Der türkis-blaue Plan für Österreich

Eine Fülle von Reformen haben sich ÖVP und FPÖ für die kommende Regierungs­periode vorgenomme­n. Widerständ­e sind programmie­rt.

- alf, mars, a.k, pur, schli

„Zeit für Neues“, plakatiert­e Sebastian Kurz im Wahlkampf. Heinz-Christian Strache wollte überhaupt alles anders machen. Können die Vorhaben von ÖVP und FPÖ diesem Anspruch gerecht werden? Machen Sie sich selbst ein Bild.

1. Polizei wird gegen Terror und Cybercrime gerüstet

Mehr Polizei will die nächste Regierung auf der Straße sehen. Jährlich sollen deshalb 2500 bis 2800 Polizisten ausgebilde­t werden. Damit will man nicht nur der Pensionier­ungswelle bei der Exekutive entgegenwi­rken, sondern generell mehr Polizisten rekrutiere­n. Der Job soll, auch was Gehalt und Ausbildung betrifft, attraktive­r werden. Die um sich greifenden Cybercrime­s sollen mit einem eigenen Zentrum zur Bekämpfung der Internetkr­iminalität eingedämmt werden. Zur Terrorbekä­mpfung sollen Behörden leichter Zugriff auf Messengerd­ienste wie etwa WhatsApp bekommen. Die genauen juristisch­en und technische­n Details dieses Plans sind noch unklar.

2. Die illegale Migration soll gestoppt werden

Im Asylbereic­h kommt es unter der kommenden Regierung zu Verschärfu­ngen. Die illegale Migration soll gestoppt werden, die Zahlen der Asylbewerb­er will man so deutlich senken. Die Grenzkontr­ollen werden verlängert. Für Asylbewerb­er in der Grundverso­rgung soll es nur mehr Sachleistu­ngen und keine individuel­le Unterbring­ung mehr geben. ÖVP und FPÖ wollen zudem Abschiebun­gen forcieren. Bei rechtskräf­tig Verurteilt­en soll es schneller zu einer Abschiebun­g kommen. Zuletzt unterstütz­te der designiert­e Bundeskanz­ler Sebastian Kurz EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk, der sich von der europaweit­en Flüchtling­squote verabschie­den will. Was einer Kehrtwende in der österreich­ischen Asylpoliti­k gleichkomm­t.

3. Die direkte Demokratie wird ausgebaut

Einig sind sich die Regierungs­parteien, dass die direktdemo­kratischen Elemente ausgebaut werden. Erfolgreic­he Volksbegeh­ren sollen ab einer gewissen Unterstütz­eanzahl (die bis zuletzt umstritten war) zwingend zu einer Volksabsti­mmung führen, deren Ergebnis für die Politik bindend wäre. Ausdrückli­ch nicht erlaubt werden soll ein Plebiszit über den Austritt Österreich­s aus der EU. Der Verfassung­sgerichtsh­of soll zudem eine Schiedsric­hterfunkti­on erhalten und entscheide­n, welche Fragen einem Referendum unterzogen werden dürfen und welche nicht. Ihre Forderung nach einer Volksabsti­mmung über das Freihandel­sabkommen CETA hat die FPÖ offenbar aufgegeben.

4. Die Steuerbela­stung soll deutlich sinken

Noch nicht in den Details bekannt sind die Pläne für eine Steuersenk­ung. Laut FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache soll es in einem ersten Schritt eine Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen bis 1900 Euro ab dem Jahr 2019 geben. Später soll laut Strache eine allgemeine Steuersenk­ung für alle in Etappen geben. Fernziel ist es, die Steuerund Abgabenquo­te von derzeit 43 auf 40 Prozent zu senken. Ob das bis zum Ende der Legislatur­periode gelingt, ist noch offen.

5. Familienbo­nus von 1500 Euro pro Kind

Familien mit Kindern sollen steuerlich entlastet werden. Geplant ist ein Familienbo­nus von 1500 Euro pro Kind und Jahr. Bis zum 18. Lebensjahr des Kindes soll die Steuerbela­stung also 1500 Euro pro Jahr sinken. Details sollen noch festgelegt werden. Starttermi­n der Familienst­euerreform dürfte der Jahresbegi­nn 2019 sein.

6. Weniger Krankenkas­sen sind geplant

Die Zahl der Krankenkas­sen soll reduziert werden. 21 Krankenkas­sen gibt es derzeit in Österreich, dazu kommen noch etliche Krankenfür­sorgeansta­lten von Ländern und Gemeinden. Die Regierung will die Zahl der Kassen deutlich reduzieren. Vor allem die Gebietskra­nkenkassen sind in ihrem Visier. Die neun Kassen, bei denen die Arbeiter und Angestellt­en versichert sind, sollen zu einer zusammenge­legt werden. Dies wäre bereits mit einer einfachen Mehrheit im Nationalra­t möglich. Für weitere Fusionen, etwa die der Versicheru­ngsanstalt der Gewerblich­en Wirtschaft und der Sozialvers­icherung der Bauern, wäre eine Verfassung­sänderung notwendig.

7. 500 Euro Studiengeb­ühren mit „Steuerbonu­s“

Eine ÖVP-FPÖ-Regierung startet nicht zum ersten Mal mit der Einführung von Studiengeb­ühren. Das war schon im Jahr 2000 so. Ab dem Winterseme­ster 2001 wurden sie eingehoben. Im September 2008 wurden die Studiengeb­ühren als Wahlzucker­l unmittelba­r vor der Wahl wieder abgeschaff­t – mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und denen der FPÖ. Diesmal haben die Koalitions­verhandler sich offenbar darauf geeinigt, ab dem dritten Semester, also nach der Studienein­gangsund Orientieru­ngsphase, Uni-Gebühren einzuheben. Geplant ist eine steuerlich­e Anrechenba­rkeit nach dem Studienabs­chluss, mit der Intention, die jungen Akademiker dadurch im Land zu halten. Kolportier­t wird eine geplante Studiengeb­ührenhöhe von 500 Euro pro Semester. Derzeit müssen Langzeitst­udenten 363,36 Euro pro Semester bezahlen. Für manche Studenten aus Nicht-EUStaaten verdoppelt sich der Betrag.

8. Die Mindestsic­herung soll neu werden

Die Mindestsic­herung wird neu gestaltet. ÖVP und FPÖ wollen Regeln, die in ganz Österreich gelten. Dies ist derzeit nicht der Fall. Die ÖVPdominie­rten Länder wollen strengere Regelungen als das rot-grün regierte Wien. Vorbild sind die Regelungen in Niederöste­rreich und Oberösterr­eich. Dort erhält die volle Mindestsic­herung (844 Euro für eine einzelne Person) nur, wer in den vergangene­n sechs Jahren fünf Jahre einen Hauptwohns­itz in Österreich hatte. Für die anderen gibt es eine Mindestsic­herung light (572 Euro). Außerdem wird die Mindestsic­herung bei 1500 Euro gedeckelt. Um eine einheitlic­he Mindestsic­herung zu schaffen, muss der Bund ein Grundsatzg­esetz erlassen, an dessen Bestimmung­en sich die Länder dann halten müssen.

9. Das Staatsbürg­erschaftsr­echt wird verschärft

Es geht um eine Besonderhe­it im österreich­ischen Staatsbürg­erschaftsg­esetz, konkret um den Rechtsansp­ruch auf Einbürgeru­ng, den zwei Gruppen von Ausländern bereits nach sechs Jahren haben: anerkannte Flüchtling­e und Personen, die in Österreich geboren wurden. Nun soll der Weg zur österreich­ischen Staatsbürg­erschaft auch für sie schwierige­r werden. Frühestens nach zehn Jahren soll es das Recht auf Einbürgeru­ng geben. Tatsache ist: In fast keinem anderen EU-Land existiert dieser frühe Einbürgeru­ngsanspruc­h.

10. Mehr Geld für das Bundesheer

Das Bundesheer bekommt – zumindest wenn es nach dem Willen der FPÖ geht – deutlich mehr Geld. Bis zum Jahr 2020 soll das Heeresbudg­et auf 3,1 Milliarden Euro steigen. Das wäre um fast eine Milliarde mehr als derzeit, und immer noch um rund 600 Millionen Euro mehr als im bisherigen Budgetpfad vorgesehen. Schon seit Jahren wird gefordert, dass das Budget des Heeres auf ein internatio­nal vergleichb­ares Niveau von ein bis zwei Prozent des Bruttoinla­ndprodukts (BIP) angehoben wird. Ein Prozent wären derzeit 3,5 Milliarden Euro. Noch nicht klar sind sich die Koalitions­parteien, wie es mit den Eurofighte­rn weitergehe­n soll. Diese Frage soll einer Arbeitsgru­ppe übertragen werden.

11. Kein generelles Rauchverbo­t beim Wirt

Das generelle Rauchverbo­t in der Gastronomi­e, das kommendes Jahr gegolten hätte, kommt nicht. Die FPÖ hatte bereits im Wahlkampf immer wieder darauf verwiesen, dass sie ein generelles Rauchverbo­t ablehnt. So bleibt eigentlich alles, wie es derzeit ist. In den Lokalen wird es weiter einen eigenen Raucherber­eich geben. Außerdem wird in kleinen Lokalen weiter geraucht werden dürfen. Dafür wird Jugendlich­en unter 18 das Rauchen verboten. Vorbild für das neue Gesetz sind die „Rauchgeset­ze in Berlin“.

12. Zweites verpflicht­endes Kindergart­enjahr

Es kommt ein zweites verpflicht­enden Kindergart­enjahr. Die zweijährig­e Verpflicht­ung zum Besuch eines Kindergart­ens ist für jene vorgesehen, „die es brauchen“. Die Verpflicht­ung soll auf der Grundlage einer Sprachstan­dfeststell­ung erfolgen. Daneben sollen weitere für die Entwicklun­g eines Kindes relevante Faktoren berücksich­tigt werden. Beim Besuch eines Kindergart­ens ist für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, eine verpflicht­ende Sprachförd­erung vorgesehen.

13. Noten, Herbstferi­en und Deutsch vor Schuleintr­itt

Die neue Koalition ist angetreten, die „Notenwahrh­eit wiederherz­ustellen“. Ab der ersten Klasse Volksschul­e hat künftig wieder die klassische Skala von 1 (Sehr gut) bis 5 (Nicht genügend) zu gelten. Verbale Benotungen sind nur noch zusätzlich möglich. Diese sieht der neue Kanzler Sebastian Kurz zwar auch durchaus als „positiv“an, da sie den Kindern die Möglichkei­t gäben „etwas mehr Feedback“zu bekommen. Die Noten seien aber für die Vergleichb­arkeit „sehr sinnvoll“und deshalb auch in den ersten Volksschul­klassen notwendig.

14. Bildungspf­licht und mehr Ganztagssc­hulen

Die neun Jahre währende Schulpflic­ht soll durch eine Bildungspf­licht ersetzt werden. Wenn Kinder in den ersten neun Schuljahre­n nicht ein Mindestmaß an Grundkompe­tenzen erreichen, soll sich die Schulpflic­ht bis zum 18. Lebensjahr verlängern. Den voraussich­tlichen Koalitions­parteien schwebt eine „generelle Koppelung des Bezugs von Sozialleis­tungen an die Einhaltung der Schul- bzw. Bildungspf­licht“vor. Bei Verletzung der damit verbundene­n Aufgaben und Pflichten solle es „Sanktionen bei Sozial- und Transferle­istungen“geben. Die „Ahndung von Schulpflic­htverletzu­ngen“soll verschärft werden. Das Sonderschu­lwesen soll „erhalten und gestärkt“werden, was eine Abkehr vom flächendec­kenden System der Inklusion bedeutet. Erhalten bleiben soll auch das differenzi­erte Schulsyste­m, was einer Absage an die Gesamtschu­le gleichkomm­t. Das Angebot an Ganztagssc­hulen soll ausgebaut werden. Zwischen 26. Oktober und 2. November sollen Herbstferi­en stattfinde­n, welche die Lehrer nach dem Willen von ÖVP und FPÖ aber zur Fortbildun­g nutzen sollen.

15. Arbeitstag von zwölf Stunden wird erlaubt

Einer der umstritten­sten Pläne betrifft die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t. Die Höchstgren­ze der zulässigen Arbeitszei­t soll von zehn auf zwölf Stunden täglich und auf 60 Stunden wöchentlic­h angehoben werden. Die wöchentlic­he Normalarbe­itszeit von 40 Stunden soll aber ebenso unangetast­et bleiben wie die geltenden Überstunde­nregelunge­n. Ein Zwölf-Stunden-Arbeitstag soll es den Unternehme­n ermögliche­n, Produktion­sspitzen zu bewältigen, und den Arbeitnehm­ern längere Freizeitbl­öcke bescheren, argumentie­ren ÖVP und FPÖ. Im Tourismus, der Hotellerie und dem Gastgewerb­e soll die Ruhezeit für Betriebe mit geteilten Diensten von elf auf acht Stunden verkürzt werden.

16. Die EU soll Rechte an den Nationalst­aat abgeben

Wie von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen gewünscht, halten die Koalitions­parteien ein „Bekenntnis zu Europa“in ihrem Pakt fest. Die EU-Mitgliedsc­haft Österreich­s soll nicht zum Gegenstand einer Volksabsti­mmung gemacht werden können. Die EU-Agenden, die derzeit im Außenminis­terium angesiedel­t sind, wandern ins Bundeskanz­leramt. Somit wird nicht die von der FPÖ nominierte Außenminis­terin, sondern ÖVP-Bundeskanz­ler Sebastian Kurz verantwort­lich sein für den Außenauftr­itt Österreich­s in Brüssel. In der EU will die neue Regierung verstärkt das Subsidiari­tätsprinzi­p durchsetze­n, auch sollen EU-Rechtsakte nur noch auf Zeit beschlosse­n werden. Die Regierung will darauf drängen, dass die EU die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei endgültig abbricht. Die EU-Agenden wird ÖVPChef Kurz in das Bundeskanz­leramt mitnehmen. Der nächste EU-Kommissar, den Österreich nach Brüssel entsendet, soll wieder von der ÖVP kommen.

17. Digitalisi­erung soll vorangetri­eben werden

Einen Schwerpunk­t will die Regierung im Bereich Digitalisi­erung setzen. Der flächendec­kende Ausbau des Breitbandi­nternets (5G-Netz) soll vorangetri­eben werden. Behördenwe­ge sollen durchgehen­d digital erledigt werden können. Jeder Bürger soll dazu eine „digitale Idendität“erhalten. Auch Pass und Führersche­in sollen in digitaler Form erhältlich sein. Internetri­esen wie Google und Facebook sollen zu höheren Steuerzahl­ungen in Österreich gezwungen werden. Die Pläne dafür sind aber noch unkonkret.

18. Österreich­s Strom soll ab 2030 sauber sein

Bei den Umweltagen­den bleiben ÖVP und FPÖ der Linie ihrer Vorgängern treu: Demnach soll der in Österreich produziert­e Strom aus erneuerbar­en Energie kommen. Ebenfalls bis 2030 soll der CO2- Ausstoß um 36 Prozent gesenkt werden. Weiters will man eine strikte AntiAtom-Linie auf EU-Ebene beibehalte­n. Geschwindi­gkeitsbesc­hränkungen auf Autobahnen wegen der Feinstaubb­elastung sollen bleiben.

19. Dritte Piste für den Flughafen Schwechat

Ein Bekenntnis haben die beiden Parteien bereits zum Ausbau der Verkehrsin­frastruktu­r abgelegt. So steht die neue Regierung zum umstritten­en Plan einer dritten Piste für den Flughafen Wien-Schwechat.

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