Antilleninsel Grenada.
Grenada. Wo in den 1980ern die US-Marines gelandet sind, liegt heute ein karibisches Paradies für Touristen.
Wo in den 1980ern US-Marines gelandet sind, liegt heute ein karibisches Paradies für Touristen.
AAn jenem Donnerstag vor 13 Jahren hätte sie am liebsten alles wieder rückgängig gemacht. Doch der Weg zurück war kaum noch möglich. Zu Hause hatten Andrea Gerstmann und ihr Mann alle Brücken abgebrochen. Also blieben sie in Grenada, auch wenn 85 Prozent aller Gebäude auf der Insel beschädigt und die Infrastruktur des Landes verwüstet war. Kurz nach dem Hurrikan „Ivan“, der am 7. September 2004 über die Antilleninsel hinweggefegt war und ein Chaos hinterlassen hatte. „Sogar die Einwanderungsbehörde war zerstört“, erinnert sich Andrea Gerstmann. An eine geregelte Einreise war daher nicht zu denken. Doch der Optimismus siegte und bekam recht. Heute leben die beiden auf der kleinen Nachbarinsel, Carriacou, in ihrem eigenen Häuschen direkt am Meer, sind bei der heimischen Bevölkerung hoch angesehen und haben den Schritt, in die Karibik auszuwandern, nicht bereut. „Ich wollte schon immer am Wasser leben, heute nehme ich jeden Tag ein Bad im Meer“, schwärmt die 59-Jährige und schneidet weiter das Gemüse für die Touristen an Bord des gecharterten Katamarans, für den sie sich gelegentlich als Köchin anheuern lässt. Sie freut sich dann besonders über deutsche Gäste. Ein „Servus“erinnere sie an ihre Heimat München. Dann wird es wach, das Heimweh – „vor allem nach dem Kulturangebot“, sagt sie.
Zwar hat sie auf dem Archipel keine Pinakothek, keinen Opernsaal, kein Kabarett oder Theater in der Nähe, aber sie hat die Natur und die Menschen. Und das spürt auch der Inselbesucher auf Schritt und Tritt, wenn er das kleine 33 mal 19 Kilometer große Eiland erforscht. Ob an den einsam gelegenen und von Palmen gesäumten Stränden, im Regenwald mit seiner Dichte tropischer Pflanzen oder an den alten Produktionsstätten für Muskat, Kakao oder Rum – überall werden Besucher mit fröhlicher Neugier empfangen.
Der Katamaran ankert in einer kleinen Bucht, Schnorchel, Flossen und Unterwasserkamera werden klargemacht und schon lässt sich die vierköpfige Gruppe ins karibisch warme Meerwasser gleiten. Und zwar auf der Suche nach den Unterwasserkunstwerken des Briten Jason deCaires Taylor, die hier in der Molinere Bay vor der Küste im Nordwesten der Insel zu bewundern sind. Insgesamt 65 Figuren, verteilt auf einer Fläche von 800 Quadratmetern. „Man kann sie von der Wasseroberfläche aus gut sehen“, sagt Skipper Garnet Williams. Und gibt den Schnorchlern eine Ermahnung mit auf den Weg: „Denkt dran, es geht nicht nur um Kunstobjekte. Schließlich soll die Underwater Art dazu beitragen, das marine Ökosystem wiederherzustellen. Meerestiere und -pflanzen können sich auf den Skulpturen absetzen – so soll neues marines Leben entstehen.“
Jetzt wäre Zeit für frischen Fisch und Salat. Essen und Trinken stehen bei den Einwohnern von Grenada ohnehin ganz oben auf der Liste. Die kreolisch geprägte Küche mit ihren vielen Gewürzen und Feinheiten ist in jedem noch so kleinen Restaurant zu genießen. „Einfach, gemüsereich und gesund“, schwärmt Garnet in höchsten Tönen. Der Boden ist fruchtbar, der vulkanische Ursprung der Insel sorgt für guten Humus.
Doch bevor es ans Schmausen geht, wird das Eiland per Bus erkundet. Es geht bergauf ins Innere der Insel, wo unterhalb des Gipfels des 840 Meter hohen Mount Saint Catherine zahlreiche kleine Flüsse entspringen und viele Wasserfälle sprudeln. Links und rechts der kurvenreichen Straße wird gearbeitet – Menschen säubern den Straßenrand und bepflanzen ihn neu. „Ein staatliches Programm, um Arbeitslose zu beschäftigen“, sagt Roger, der Busfahrer. Kaum jemand, den er nicht zu kennen scheint. Und so werden ein paar Worte gewechselt mit dem Fischer am Straßenrand, der gerade einen Red Snapper ausnimmt und für den Verkauf an der befahrenen Straße vorbereitet. Oder mit Charlie bei Charlies Bar, wo ein Besuch ohnehin Pflicht ist. Denn Charlie führt nicht einfach nur eine Bar, er hat gegenüber ein riesiges Kunstwerk aus Reifen entworfen. Gestrichen in
den Nationalfarben des Lands und versehen mit Sprüchen, die liebevoll den Inselstaat charakterisieren.
Nach dem Bezirk Saint Patrick nähert sich der Bus Saint Andrew, dem sogenannten „Foodbasket“der Insel, wie Roger sagt. Die Kornkammer Grenadas oder besser der Obstkorb, denn hier wachsen die vielen tropischen Früchte, hinzu kommen Zuckerrohr und Muskat, das Hauptexportprodukt Grenadas und Symbol der Landwirtschaft des Archipels. Außerdem gedeihen Zimt, Gewürznelken, Ingwer und nicht zu vergessen – die Kakaobohne. Zu Besuch in einer der ältesten Kakaofarmen des Landes: Aus kleinen Schalen kann Schokolade genascht werden, bis 100 Prozent Kakaoanteil reicht das Angebot. Versetzt mit Ingwer oder Muskat ergeben sich ganz eigenwillige Geschmacksrichtungen. Es ist eine kleine Fabrik, mit überschaubarem Volumen, aber auch hier wie überall auf dem Eiland: Man ist stolz auf seine Arbeit und freut sich über das Interesse der Besucher.
Es geht weiter, und bald kommen Männer mit Macheten den Weg entlang, sichtlich erschöpft von der langen, kräfteraubenden Arbeit auf dem Zuckerrohrfeld. Schon früh in den Morgenstunden hat ihr Tagwerk begonnen, jetzt freuen sie sich auf ein kräftiges Mittagessen. „Mancher Tourist, der unterwegs ist zu den berühmten Wasserfällen im Inselinneren, ist beim Anblick der Macheten-Männer schon erschrocken“, sagt Roger und grinst. Dann lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen ganz besonderen Ort: La Sagesse, laut der britischen „Sunday Times“einer der zehn schönsten Strände der Karibik.
Und wirklich: Vor dem Auge des Betrachters liegt eine Traumbucht samt Restaurant und zwölf Cottages. Mike und Nancy Meranski kamen 1987 auf die Insel und suchten einen Ort für sich und ihre Tochter Julia. Hier fanden sie ihn. Mike Meranski, Hochschulprofessor für Kunstgeschichte aus Miami, der auch auf Grenada an der St. George’s University seine Lehrtätigkeit weiter ausübt, hat die Bucht zu einem Urlaubsidyll gemacht – ganz leise, authentisch und ohne gravierende Eingriffe in die natürliche Umgebung. Geradezu vorbildlich ist das kleine Paradies, wer einmal hier war, würde am liebsten bleiben. Auch das rosafarbene Herrenhaus, das Lord Brownlow, ein Cousin von Queen Elisabeth, in der Mitte der 1960er-Jahre erwarb, ist eine wahre Versuchung. Nach der US-Intervention von 1983 war es völlig verwahrlost und heruntergekommen. Mike jedoch hat das alte koloniale Herrenhaus liebevoll wieder hergerichtet, das nun ihm und seiner Frau als Domizil dient. Als nach Rum-Destillerie und Muskatnussfabrik der Hafen von St. George’s erreicht wird, ist endlich Zeit für Fisch und Rumpunsch. Und ein paar Gedanken über das Auswandern und das manchmal gar nicht so leichte Leben im Paradies.