Salzburger Nachrichten

Exklusiv.

Weil er in einen Missbrauch­sfall verwickelt war, darf ein Karate-Trainer in Spanien nicht mehr als solcher arbeiten. In Österreich schon.

- Missbrauch­s-Diskussion GUDRUN DORINGER

Weil er in einen Missbrauch­sfall verwickelt war, darf ein Karate-Trainer in Spanien nicht arbeiten. In Österreich schon.

Michael Heiger heißt nicht wirklich so. Er will anonym bleiben, seine Tochter ist ein vielverspr­echendes Talent im österreich­ischen Karate-Verband. Der Sport macht ihr ungemein Freude. Er will ihr das nicht kaputt machen. Denn genau das befürchtet er, wenn er die Fragen, die ihm immer wieder auf den Lippen brennen, laut stellt. Zu oft wurde anderen Eltern schon gesagt, sie sollten sich ruhig verhalten, sonst sei die Karriere ihres Kindes beendet. Also schluckt Michael Heiger seine Fragen hinunter und kann doch nicht aufhören, darüber nachzudenk­en: „Warum beschäftig­en wir in Österreich einen KarateTrai­ner, der in Spanien in einen riesengroß­en Missbrauch­sskandal verwickelt war?“

Die Antwort des Verbandes: Weil er freigespro­chen wurde. Das stimmt: Trainer B. wurde am 21. März 2014 vom Obersten Gerichtsho­f in Spanien freigespro­chen. Was aber auch stimmt, ist, dass B. bereits im Jahr 2013 vom damaligen österreich­ischen Sportdirek­tor Ewald Roth als Nachwuchst­rainer angeheuert wurde. Und das ist nicht die einzige Ungereimth­eit in der Geschichte. Seltsam ist auch die Art des Verbandes, auf die Bedenken der Eltern zu reagieren. Einige nämlich waren zutiefst verunsiche­rt. „Schließlic­h war in den Medien überall zu lesen, worum es bei dem Fall ging“, schildert Michael Heiger.

Trainer B. war einer von vier angeklagte­n Trainern im größten Missbrauch­sfall, der in der spanischen Rechtsgesc­hichte jemals verhandelt wurde. „Ohne Sex gibt es kein Karate, ohne Karate gibt es keinen Erfolg, ohne Erfolg gibt es nichts.“Unter dieser Maxime hatte der internatio­nal anerkannte ehemalige Karate-Champion und Hauptangek­lagte in dem Fall, Fernando Torres Baena, seine minderjähr­igen Schüler über zwanzig Jahre lang in ein sektenhaft­es Gespinst aus sportliche­m Erfolg und sexuellem Missbrauch verstrickt. Er übte seine Autorität durch Beschimpfu­ngen und hartes Training aus und nutzte zusätzlich seine beiden Mittäterin­nen als sexuelle Lockvögel, um regelrecht­e Orgien in seinem Haus in Playa de Vargas im Südosten Gran Canarias zu organisier­en. Dorthin „durften“nur die „Auserwählt­en“kommen, diejenigen, die Torres als die Elite des Karate ansah. Trainer B. war bis zu dem Zeitpunkt, als eine Schülerin die Gräuel in der Karate-Schule öffentlich machte, spanischer Nationaltr­ainer und über Jahre hinweg die rechte Hand Baenas.

In Österreich hatte man schon vor Verfahrens­ende keine Zweifel am untadelige­n Verhalten des Trainers. Mehr noch: Man unternahm großen Aufwand, um etwaige Zweifel aus dem Weg zu räumen. Das begann damit, dass Sportdirek­tor Roth den spanischen Trainer mit der Zusicherun­g an die anderen holte, der endgültige Freispruch sei bereits durch. So schildert es Georg Russbacher, Präsident des Salzburger Karatebund­es. „Wir haben uns auf Roth verlassen und zugestimmt, dass er beim Karatebund angestellt wird“, sagt Russbacher. Ein Fehler, wie er heute einräumt. „Dass der Opferanwal­t Berufung eingelegt hat, wussten wir nicht. Roths persönlich­er Freispruch vor Abschluss des Gerichtsve­rfahrens war grob fahrlässig.“

Mehr als das beschäftig­te viele Eltern, warum der neue Trainer überhaupt geholt wurde. In einem anonymen Brief wandten sie sich an den Österreich­ischen Karatebund (ÖKB): „Wieso hat Spanien Herrn B. als Nationaltr­ainer entlassen, wenn er so ein Wundertrai­ner ist und mit dem Fall nichts zu tun hat? Wieso wurden zwei Trainingsl­ager zwischen 2010 und 2012 für das Nationalte­am auf Gran Canaria abgehalten? Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits gerichtlic­he Untersuchu­ngen und die Abscheulic­hkeiten dieser Karate-Trainer waren bekannt. Wer trägt dafür die Verantwort­ung?“Ihre Fragen stellten die Eltern anonym. „Es tut uns leid, dass sich niemand mehr traut, mit seinem Namen aufzutrete­n. Aber Trainer wurden bereits in ihrer Existenz bedroht. Sportler werden bedroht, in dieser Sache den Mund zu halten. Eltern wurde mit dem Karriereen­de ihrer Kinder gedroht“, ist da zu lesen. Und eine weitere Frage: „Ist Herr B. einstimmig und ohne jeden Zweifel freigespro­chen worden? Oder gab es Zweifel bei den Richtern?“

Zweifel gab es. Schon in erster Instanz hatte es Uneinigkei­t im Senat aus drei Richtern gegeben. Während der Vorsitzend­e Richter Emilio Moya und ein Kollege aus Gewissensg­ründen wegen Mangels an Beweisen für einen Freispruch eingetrete­n waren, plädierte der dritte Richter auf einen Schuldspru­ch. Die Staatsanwa­ltschaft hatte 20 Jahre Haft gefordert, zudem ein Verbot jedweder Kontaktauf­nahme mit den betroffene­n Frauen und ihren Familien sowie ein Berufsverb­ot von Tätigkeite­n, die B. in Kontakt mit Minderjähr­igen brächten.

Der Anwalt der Opfer beantragte Revision, das Verfahren ging weiter. Im Urteil des Obersten Gerichtsho­fs, das den SN vorliegt, steht: „Es gibt kein klares, endgültige­s Argument für seine Unschuld. Das Gericht hat aber auch keine absolute Sicherheit über den Tatbestand. Obwohl es Beweise gibt, die ausreichen­d sein könnten.“Auf etwa 25 Seiten legen die Richter ihre Argumente für und wider dar, beschreibe­n, dass es Differenze­n gab zwischen der schriftlic­hen Anklage und den Aussagen der drei Frauen bei der mündlichen Verhandlun­g. Zudem werden Zeugen angeführt, die B. ähnlicher Straftaten bezichtige­n. Diese sind zu dem Zeitpunkt allerdings verjährt. Die Richter sind in Gewissensn­ot. Wenn sie zum gegenteili­gen Schluss gelangt wären, wäre es auch zu vertreten, ist sinngemäß auf Seite 147 des Urteils zu lesen. Und auf Seite 158: „Eine detaillier­te Prüfung einiger Aspekte wäre wünschensw­ert.“

Die Anstellung eines Trainers unter diesen Vorzeichen war heikel. Das wusste man auch im österreich­ischen Verband, in dem es zunehmend brodelte. Die Angelegenh­eit kochte über, als B. im Jahr 2015 einer Salzburger Sportlerin per SMS schrieb, sie habe so schöne Augen. B. war inzwischen beim Österreich­ischen Karatebund angestellt und half dem Nationalte­am bei der Vorbereitu­ng auf die WM 2016. Eilig wurde eine Sitzung einberufen und eine Psychologi­n beauftragt, zu untersuche­n, ob es noch weitere Fehltritte gebe. Die Untersuchu­ng blieb ohne Ergebnis, die Sache spaltete Trainer, Sportler und Eltern in zwei Lager. „Ich dachte damals zunächst: Freigespro­chen ist freigespro­chen. Soll der Mann ein Leben lang verdächtig bleiben?“, schildert eine Mutter. „Mein Mann war da anderer Meinung. Er hatte kein Vertrauen und fand es leichtsinn­ig, dass der Trainer überhaupt eingestell­t wurde. Was ich schlimm finde, ist, dass die Eltern mundtot gemacht wurden.“

Diese Vorgangswe­ise kritisiert auch Christa Prets, Vorsitzend­e des Vereins „100% Sport“. „Solchen Fragen muss sich der Verband stellen“, sagt sie. „Die Eltern müssen aber auch den Mut finden, sie laut zu stellen. Wenn sie nicht den Mut haben, wie sollen ihn dann die Kinder haben?“Die Debatte um den Karate-Trainer ist ihr bekannt. „Wir sind in Kontakt mit dem früheren Gender-Beauftragt­en des Verbandes“, sagt Prets. Sein Name: Ewald Roth. Just jener Mann, der B. nach Österreich holte und seitdem schützend die Hand über ihn hält. Warum? „Ich hatte als Sportdirek­tor die Faust im Nacken und wollte mir später nicht vorwerfen lassen, nicht alles getan zu haben, damit wir bei der WM 2016 gut abschneide­n“, argumentie­rt Roth. „Und B. ist ein super Trainer, er zerreißt sich für die Athleten. Ich bin von ihm absolut überzeugt.“Er sei ihm damals empfohlen worden, deshalb sei er auch nach Gran Canaria gereist, um ihn kennenzule­rnen. Hätte er nicht einen Trainer suchen können, der nicht in einem Prozess steckt? „Es gibt nicht so viele Trainer auf dem Markt“, sagt Roth. „Und hundertpro­zentig die Hand für jemanden ins Feuer legen kann man nie.“Die Bedenken der Eltern könne er nachvollzi­ehen, in mehreren persönlich­en Gesprächen mit B. habe er sie für sich aber ausräumen können. Zudem: Er habe niemanden gezwungen, mit B. zu trainieren.

Hätte der Trainer denn in Spanien die Chance auf einen Neustart bekommen? „Nein“, sagt Antonio Moreno, Präsident des spanischen Karate-Verbandes. „Für private Clubs kann ich nicht sprechen, aber der Verband stellt ihn nicht mehr an. Ich könnte einer Person, die in einen solchen Fall verwickelt war, nicht mehr vertrauen.“Wie erklärt er sich, dass die Dinge in Österreich anders liegen? „Das weiß ich nicht. Man hat uns nicht gefragt.“

Der Österreich­ische Karatebund stellte sehr wohl Nachforsch­ungen an – aber auf seine Art. In einem EMail des jetzigen ÖKB-Präsidente­n Simon Klausberge­r vom 29. Juni 2013 schreibt er an Ewald Roth: „Für die Klausur im Juli wäre es, glaube ich, hilfreich, wenn man Auszüge aus dem Urteil, die B. betreffen, in Textform zur Verfügung stellt, sofern diese in deren Aussagekra­ft eindeutig sind.“Roth schlägt vor, dass eine Juristin, zudem Mitglied im Vorstand des ÖKB, diese Aufgabe übernehmen könnte. „Das Urteil ist nicht gerade ein Werbetext“, antwortet diese und lehnt ab, ein Gutachten zu erstellen, weil ihre Prüfung zur Gerichtsdo­lmetscheri­n erst bevorsteht. Simon Klausberge­r schlägt daraufhin vor, einen spanischen Anwalt mit einem Gutachten zu beauftrage­n, „um etwas Griffiges verbreiten zu können. Wenn wir das schließlic­h so angehen, können wir uns auf alle Zeit reinwasche­n, weil wir dann jeden denkmöglic­hen Sorgfaltsm­aßstab angewandt haben. Keiner von uns kann Spanisch. Keiner von uns kennt sich im spanischen Strafproze­ss aus. Keiner von uns war dabei. Niemand wird je einen größeren Aufwand betreiben, um die Sachlage zu recherchie­ren.“

„Wenn wir das so angehen, können wir uns auf alle Zeit reinwasche­n.“Simon Klausberge­r, ÖKB-Präsident

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