Der Kaiser steht
Kakanien ist am Ende. Bunte Ballons machen sichtbar, wie vage und hohl die Hoffnung ist.
vor Österreichs Untergang. Joseph Roths „Radetzkymarsch“setzt im Burgtheater auf ein unerwartetes Bild.
WIEN. Es wirkt ebenso magisch wie kindisch, wie Kakanien hier untergeht: mit vielen bunten Ballonen. Für die Dramatisierung eines Schlüsselwerks der österreichischen Literatur, Joseph Roths „Radetzkymarsch“, das den rettungslosen Untergang Österreichs aufarbeitet, setzt Regisseur Johan Simons auf ein starkes, einprägsames und zugleich unerwartetes Bild.
Dafür hat Bühnenbildnerin Katrin Brack die große Bühne des Burgtheaters leer geräumt und mit unterschiedlich großen, bunten Ballonen gefüllt, die geknautscht, geknufft und gestoßen werden. Sie entschweben auch in den Zuschauerraum, wo sie vom Publikum mit Stupsern oder Schlägen im Spiel gehalten werden und immer wieder zauberhaft in die Lichtkegel der Scheinwerfer geraten. So entstehen poetische Momente, deren Effekt sich im Verlauf des dreieinhalbstündigen Theaterabends allerdings auch abnutzt und vom eigentlichen Geschehen ablenkt. Am Ende wird Philipp Hauß als Leutnant Trotta, Enkel des „Helden von Solferino“, den einen oder anderen Ballon zum Platzen bringen.
Regisseur Johan Simons, eine der prägenden Figuren der deutschsprachigen Theaterlandschaft und demnächst Intendant in Bochum, ist ein Fan von Joseph Roth. Dessen Romane „Hiob“und „Hotel Savoy“hat der Holländer bereits in den von ihm von 2010 bis 2015 geleiteten Münchner Kammerspielen auf die Bühne gebracht.
Den Roman „Radetzkymarsch“hat man von der Lektüre als melancholisches Entgegenschreiten in den unausweichlichen Untergang und aus den Verfilmungen von Michael Kehlmann und Axel Corti als Endzeitpanorama einer Epoche in Erinnerung, deren Hohlheit und Morschheit mittels Form und Uniform kaschiert wird. Johan Simons nimmt für seine erste Inszenierung am Burgtheater, die am Donnerstag Premiere hatte, diesem Roman alles Äußerliche, um auf den – vom Dramaturgen Koen Tachelet herausgearbeiteten – Kern vorzustoßen.
Im Hintergrund ist über die ganze Bühnenbreite die Ersatzbank aufgestellt: Auf ihr nimmt die 18-köpfige Mannschaft Platz. Ihre Dresse sind offenbar alle noch in Schneiderei oder Putzerei. Es dominiert altertümliche Unterwäsche. Uniformteile werden an- oder ausgezogen, doch nie korrekt und vollständig getragen.
Das Burgtheater spielt „Radetzkymarsch“
So wenig Zauber der Montur war noch nie.
Am wenigsten wohl in seiner Haut findet sich der Protagonist, Leutnant Carl Joseph von Trotta; sein Großvater hatte einst in Solferino dem Kaiser das Leben gerettet. Sein Vater hingegen bewahrt stets Haltung, egal was er anhat. Philipp Hauß als Sohn und Falk Rockstroh als Vater sind die Zentren dieser Aufführung, die von starken Schauspielerleistungen lebt – etwa von Steven Scharf und Daniel Jesch.
Philipp Hauß ist ein nachdenklicher, schlapper, müder, selbstironischer Trotta. Er leidet unter der Bürde der glorreichen Familiengeschichte, die seine ambitionslosen, ländlichen Vorfahren plötzlich zu pflichtbewussten Bewahrern kaiserlicher Macht geadelt hat. Er ist ein Zweifler und Zauderer, stolpert in Affären mit Frauen, die alle Andrea Wenzl mit lasziven Betörungen und Umschlingungen spielt.
Der junge Trotta macht sich lustig, als Offizier der schlechteste Reiter seines Regiments zu sein, und er hat mit dem Geben von Befehlen seine liebe Not. Sein gegenüber Aufrührern erteilter Feuerbefehl ist mehr ein schlaffes Abwinken als ein Signal; die tödlichen Schüsse fallen trotzdem. Als ihn die für einen Freund übernommenen Spielschulden zu vernichten drohen, steht sogleich sein Vater vor seinem Kaiser und bittet stramm und untertänig um „Gnade für meinen Sohn“.
Laut Roman ähneln einander der greise Kaiser und der alte Trotta. Doch in der Aufführung ist es nicht nötig, dass Johann Adam Oest einen auf Franz Joseph Lookalike machte, um als Sinnbild des Untergangs zu Herzen zu gehen. Die Szenen von Rockstroh und Oest tauchen den ganzen bunten Kinderspielplatz in das letzte Licht der Abendröte einer Epoche. Im k. u. k. Reich wird die Sonne nicht mehr aufgehen.
So wie Johan Simons mit seinen Ballonen alles in Schwebe hält, so entscheidet er sich auch nicht für eine klare Interpretation. Er setzt auf episches Theater, in dem die dramatischsten Ereignisse sotto voce nacherzählt werden. Der „Radetzkymarsch“erklingt übrigens nie. Gut so.