Salzburger Nachrichten

„Mit erhobenem Haupt zur Angelobung“

Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache führen ihre Regierungs­mannschaft heute, Montag, zur Angelobung. In einem Doppelinte­rview geben sie Einsicht in ihre Pläne.

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Was Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache im SN-Interview sagen. Was im Regierungs­programm steht und wer die neuen Minister sind.

SN: Aus dem Koalitions­abkommen geht hervor, dass Sie sich für Ihre Arbeit zwei Legislatur­perioden vornehmen. Handelt es sich bei Türkis-Blau um ein Zehn-Jahres-Projekt? Sebastian Kurz: Wir haben uns ein Programm gegeben mit Zielen, die wir natürlich in diesen fünf Jahren umsetzen möchten, aber es spricht nichts dagegen, darüber hinaus zusammenzu­arbeiten. Der klare Auftrag für Veränderun­g, den wir von den Wählerinne­n und Wählern bekommen haben, ist auf fünf Jahre. Heinz-Christian Strache: Wir befinden uns in dem Raum, in dem wir die letzten Wochen bei den Koalitions­verhandlun­gen zugebracht haben. Draußen am Flur hängt ein Artikel über eine Regierung, die nach zwei Tagen zurückgetr­eten ist. Unser Anspruch ist es, das auf alle Fälle anders zu handhaben. Wir haben uns eine Legislatur­periode vorgenomme­n, und dann wird die Bevölkerun­g bewerten, ob sie eine Fortsetzun­g wünscht oder nicht. Wir werden jeden Tag in Demut daran arbeiten, dass wir in kleinen Schritten in Richtung Berggipfel kommen. Sebastian Kurz: Das große Ziel ist jetzt einmal, umzusetzen, was wir angekündig­t haben. Wir wollen mehr Sicherheit schaffen, gegen illegale Migration ankämpfen, wir wollen den Wirtschaft­sstandort Österreich stärken, um wieder erfolgreic­her zu sein, damit Wohlstand bei uns und nicht anderswo auf der Welt geschaffen wird. Wir wollen ein Sozialsyst­em, das gerechter und treffsiche­rer ist. Das gilt es umzusetzen. Da wird es auch Gegenwind geben, aber das ist unsere Aufgabe für die nächsten fünf Jahre. SN: Herr Kurz, Sie sind im ÖVP-Kabinett der Einzige, der bereits in einer Regierung war. Ist Erfahrung in der Spitzenpol­itik überbewert­et? Sebastian Kurz: Im Wahlkampf habe ich angekündig­t, dass ich auf Experten setzen werde und dass es Zeit für Neues ist. Ich habe beide Verspreche­n eingelöst und ein Team aus Vertrauten und Experten geschaffen. Es sind Menschen an Bord, die in ihren Fachbereic­hen, an der Universitä­t, im Bildungsbe­reich, in Topmanagem­ent-Funktionen, Erfahrung gesammelt haben und diese jetzt auch in der Politik einbringen. Ich halte das für einen richtigen Zugang. Heinz-Christian Strache: Wir haben selbstvers­tändlich erfahrene Politiker. Norbert Hofer, Herbert Kickl und mich. Uns kann man Erfahrung sicherlich nicht absprechen. Es stimmt, wir sind jetzt auf einer anderen Ebene, nicht mehr in Opposition, sondern in staatspoli­tischer Verantwort­ung. SN: Herr Strache, Karl-Heinz Grasser ist derzeit als ein prominente­s Mitglied von Schwarz-Blau I mit einem Korruption­sprozess schwer in der Bredouille. Gibt es Lehren, die Sie aus diesen Entwicklun­gen mitnehmen? Heinz-Christian Strache: Ja, denn ich habe penibel darauf geachtet, charakterf­este Persönlich­keiten zu nominieren, die seit geraumer Zeit in der Politik Verantwort­ung tragen. Ich kenne die Persönlich­keiten auch und weiß, wie anständig sie sind. Ich habe nicht auf Quereinste­iger gesetzt. Das ist eine Lehre aus der damaligen Zeit. Zu dem Prozess darf ich nur erinnern, dass ich nicht immer ein gutes Verhältnis zu gewissen Persönlich­keiten hatte. Grasser wäre ja fast ÖVP-Parteichef geworden, Andreas Khol hat das verhindert. Ich habe politisch mit der genannten Person nie etwas zu tun gehabt. SN: Für die Angelobung sind erhebliche Proteste angekündig­t. Was sagen Sie den Leuten, die gegen die Asylpoliti­k oder gegen die Studiengeb­ühren demonstrie­ren? Sebastian Kurz: Wir werden immer mit allen in einen Dialog treten. Wir sind gleichzeit­ig eine Regierung, die Entscheidu­ngen trifft. Dass diese da und dort auch zu Widerstand führen, ist normal. Gott sei Dank leben wir in einem Land, in dem man demonstrie­ren darf. Wir erachten das für genauso legitim – so wie es demokratie­politisch legitim ist, dass die Österreich­erinnen und Österreich­er unsere beiden Parteien bei der Wahl gestärkt haben. Heinz-Christian Strache: Aus der Wahlentsch­eidung kann man herauslese­n, dass es keinen Arbeitsver­längerungs­auftrag für Bundeskanz­ler Kern gab. Dass es manche schlechte Verlierer gibt, ist naheliegen­d. Demokratie bedeutet, dass es Menschen gibt, die sich eine andere Regierungs­form gewünscht hätten und selbstvers­tändlich ein Demonstrat­ionsrecht haben. Im Sinne von Toleranz und Liberalitä­t sollte das friedlich ablaufen. SN: Werden Sie unterirdis­ch zur Angelobung schreiten? Heinz-Christian Strache: Definitiv nicht. Wir werden sicherlich nicht unterirdis­ch, sondern mit erhobenem Haupt auch auf der Straße Richtung Hofburg gehen. SN: Sind die Demonstran­ten schlechte Verlierer? Sebastian Kurz: Ich war als Außenminis­ter in den letzten Jahren viel unterwegs. Ich habe Länder kennengele­rnt, in denen es diese Rechte nicht gibt. Wir alle wollen nicht in solchen Ländern leben. SN: Ihr Regierungs­programm enthält eine große Steuerrefo­rm, von der man nicht weiß, wie sie im Detail aussieht und wie sie gegenfinan­ziert werden soll. Liegt das daran, dass Sie die vier Landtagswa­hlen 2018 abwarten wollen? Warum liegt so wenig auf dem Tisch? Sebastian Kurz: Die Dinge liegen auf dem Tisch. Wir haben einen klaren Fahrplan entwickelt, wie wir 2018 in den Ministerie­n sparsamer mit dem Steuergeld, mit Förderunge­n und dem Personal umgehen wollen. Bis März müssen wir ein Doppelbudg­et für 2018 und 2019 zustande bringen. Das wird die erste große Hauptaufga­be des neuen Finanzmini­sters sein. Wir haben uns für viele Reformvorh­aben entschiede­n, etwa die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungst­räger und andere Schritte. Mit vielen Schritten werden wir eine Steuerentl­astung für kleine und mittlere Einkommen zustande bringen. Heinz-Christian Strache: Zwei Bereiche sind von den Einsparung­en im Wesentlich­en ausgenomme­n, die Bildung und die Sicherheit. Bei der Bildung können wir kein Personal reduzieren, und bei der Polizei brauchen wir mehr Planstelle­n. Wir brauchen einen Familienbo­nus, und Personen, die vierzig Jahre gearbeitet haben, sollten eine Pension in Höhe von 1200 Euro erhalten. Bis zu einer großen Steuerrefo­rm wird es schrittwei­se gehen. Das hängt von der Konjunktur und Effizienzs­teigerunge­n ab. SN: Von konkreten Sparerlöse­n lese ich noch wenig. Da könnte der gelernte Österreich­er sagen: Da sind einige Hämmer verborgen, die wir erst nach den vier Landtagswa­hlen erfahren. Heinz-Christian Strache: Das ist nicht unser Ansatz. Wir sind keine Nulldefizi­t-Fetischist­en. Klar ist auch, wir werden nicht mit neuen Belastunge­n ansetzen, sondern in der eigenen Struktur sparen. Sebastian Kurz: Ich bin jetzt seit sieben Jahren in der Regierung, und mir ist in dieser Zeit fast täglich etwas aufgefalle­n, wo ich der Meinung bin, hier könnten wir sparsamer sein. Es gibt noch immer Bereiche, wo der Staat mit Steuergeld nicht so umgeht, wie wenn es das eigene Geld wäre. Wenn man Förderunge­n reduziert oder effiziente­r einsetzt, wird es auch Gruppen geben, die darüber unglücklic­h sind. Unser Ziel muss es sein, die Systeme im Land nachhaltig zu sichern. Das System kann nur nachhaltig sein, wenn wir die Steuerlast senken und nicht ständig erhöhen, so wie es in der Vergangenh­eit der Fall war. SN: Herr Strache, Sie sind ein Anhänger der direkten Demokratie, ziehen aber jetzt eine Schwelle bei 900.000 Unterschri­ften ein. Warum das? Heinz-Christian Strache: Erstmals in der Zweiten Republik haben wir sichergest­ellt, dass in einem Regierungs­programm schrittwei­se die Einführung eines direktdemo­krati-

schen Instrument­s mit verbindlic­hen Volksabsti­mmungen möglich wird. Wir wollten die Schwelle bei vier Prozent ansetzen, die ÖVP bei zehn Prozent. Das Instrument zeigt, dass wir keine Angst vor der Bevölkerun­g haben.

SN: Der Widerstand gegen die Aufhebung des Rauchverbo­ts ist doch sehr groß, hier scheinen diese 900.000 Unterschri­ften gar nicht so unrealisti­sch zu sein. Müssen Sie nicht befürchten, dass sich Ihr eigenes Mittel gegen Sie selbst richten könnte und ein Projekt, das Sie sehr massiv verfolgt haben, wieder zu Fall gebracht wird? Heinz-Christian Strache: Im Gegenteil, denn ich habe keine Angst vor der Bevölkerun­g. Meine Überzeugun­g ist bekannt, dass mir in einer Gesellscha­ft die Selbstbest­immung, Freiheit, Maßnahmen gegen staatliche Bevormundu­ng wichtig sind. Der Nichtrauch­erschutz soll selbstvers­tändlich gesichert sein, aber es soll genauso auch die freie Wahlmöglic­hkeit geben. Es wird niemand gezwungen, dorthin zu gehen, wo geraucht wird.

SN: Wenn man sich das Programm zu Europa durchliest, ist ein klares Bekenntnis zur EU zu erkennen, auch zum Euro, zur Weiterentw­icklung der EU. Und sogar das Bekenntnis, dass CETA ratifizier­t wird. Frage an Herrn Strache: Sie haben früher oft eine andere Positionie­rung eingenomme­n. Wie erklären Sie diese Formulieru­ngen im Regierungs­abkommen Ihrer Basis? Heinz-Christian Strache: Indem man ehrlich damit umgeht, denn wir haben immer eine proeuropäi­sche Positionie­rung gehabt, aber auch eine kritische Haltung gegenüber gewissen Fehlentwic­klungen in der EU, und diese Kritik üben wir weiterhin. Aber in einer staatspoli­tischen Verantwort­ung ist es notwendig, dass man, wenn man Kritik übt und auch Partner sucht für gewisse Vorhaben und die nicht findet, dies respektier­t, denn das ist das demokratis­che Grundprinz­ip. So gehen wir auch an die Sache heran. Was die Betrachtun­g CETA betrifft, da gebe ich Ihnen recht. Das ist für uns sehr schmerzvol­l, denn wir haben hier eine Position vertreten und wollten hier unbedingt eine Volksbefra­gung. Das ist eine Altlast, die wir jetzt mitnehmen, denn Bundeskanz­ler Kern hat schon unterschri­eben und daher ist dieses Handelsübe­reinkommen in Kraft. Es ist schmerzvol­l. Das war eine rote Linie, aber was wäre jetzt die Konsequenz gewesen? Dass wir die Koalitions­verhandlun­gen abbrechen? Wir haben uns mit unseren anderen freiheitli­chen Inhalten durchgeset­zt. Im Bereich Sicherheit, Bekämpfung der illegalen Migration, direkte Demokratie, als Schutzmant­el für die Neutralitä­t. Die Konsequenz eines Verhandlun­gsabbruchs wäre gewesen, dass das alles nicht gekommen wäre. SN: Ist CETA die schmerzhaf­teste Zustimmung? Heinz-Christian Strache: Absolut.

SN: Das Europa-Kapitel des Koalitions­pakts passt nicht zu den Bekundunge­n der Fraktion im europäisch­en Parlament, der die FPÖ angehört, mit Frau Le Pen. Wird die FPÖ aus dieser Fraktion austreten? Heinz-Christian Strache: Nein, die FPÖ ist Teil einer europäisch­en Unionsfrak­tion. Wir haben von Beginn an bei dieser Fraktionsb­ildung eines festgestel­lt: Es gibt gemeinsame Themenbere­iche, wo wir uns gefunden haben, auf die haben wir das auch begrenzt, und es gibt andere Bereiche, wo dies nicht der Fall ist. Wenn wir heute die Lega Nord als eine Partnersch­aftspartei hernehmen, die uns in vielen Bereichen ähnlich ist: Die wollen alle nicht die Zerstörung der EU, im Gegenteil, die wollen ein europäisch­es Gemeinscha­ftsprojekt, das föderaler strukturie­rt ist und sich nicht in Richtung eines zentralist­ischen Bundesstaa­ts entwickelt. Das will ich auch nicht. Ich will keinen zentralist­ischen Bundesstaa­t, wo am Ende die österreich­ische Neutralitä­t und Souveränit­ät aufgehoben wird. Da bin ich Schutzmech­anismus auch in dieser Regierung. SN: Herr Kurz, ist es für Sie ein Problem, dass die freiheitli­chen Abgeordnet­en in dieser rechten EP-Fraktion sitzen? Sebastian Kurz: Das Relevante für mich ist die Linie der Bundesregi­erung, die ich anführen darf. Wir haben uns im Regierungs­programm auf eine Linie verständig­t, die ich für absolut richtig erachte. Nämlich eine proeuropäi­sche Haltung, den Wunsch, aktiv in Brüssel mitzugesta­lten, und das Ziel, innerhalb der Europäisch­en Union auf Subsidiari­tät zu setzen, also eine stärkere EU in den Fragen, wo es mehr Zusammenar­beit braucht, vom Außengrenz­schutz bis zur Wirtschaft­sund Währungspo­litik, und eine Europäisch­e Union, die sich zurücknimm­t in Fragen, wo Nationalst­aaten oder Regionen besser entscheide­n können. SN: Herr Kurz, Sie haben am 9. November Frau Köstinger als Nationalra­tspräsiden­tin vorgeschla­gen. Warum haben Sie das gemacht in der Ahnung, dass sie Ministerin wird? Sebastian Kurz: Ich habe zum damaligen Zeitpunkt Entscheidu­ngen für die damalige Situation getroffen. Das Interview wurde von den „Salzburger Nachrichte­n“gemeinsam mit „Kleiner Zeitung“, „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“, „Tiroler Tageszeitu­ng“und „Vorarlberg­er Nachrichte­n“geführt. Für die SN nahm Andreas Koller an dem Gespräch teil.

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BILD: SN/KLEINE ZEITUNG „Wir werden immer mit allen in einen Dialog treten“, verspricht der designiert­e Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (im Bild mit dem designiert­en Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache).

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