Doppelschicht zur Bescherung
Wenn drinnen die Geschenke ausgepackt werden, dreht draußen Claus Empacher seine Runden. Warum dem Straßenbahnfahrer Arbeiten am Heiligen Abend nichts ausmacht.
WIEN. Es kommt an jedem Heiligen Abend die Zeit, zu der die Körperspannung aus den Menschen entweicht. Sie schütteln die hektische Vorweihnachtszeit ab und ziehen sich aus den Einkaufsmeilen zurück in ihre vier Wände. Sie kehren ein, innerlich wie äußerlich.
Claus Empacher nicht. Der 51Jährige wird auch heuer wieder Dienst versehen am 24. Dezember. Und das gleich in einer Doppelschicht. Wahrscheinlich wird er auf der Wiener Straßenbahnlinie 6 zwischen Kaiserebersdorf und Stadthalle anzutreffen sein. Seiner Lieblingslinie. Oder am 71er. Oder im D-Wagen. Er wird all die mit Geschenken angepackten Menschen zu ihren Bescherungen bringen. „Im Grunde ist es ein Tag wie jeder andere“, sagt Empacher und meint es eigentlich nicht so. Denn er nimmt sie schon wahr, die schummrig erleuchteten Fenster, an denen er mit seiner Straßenbahngarnitur vorüberzieht.
Tür auf, Tür zu, bim, bim, und weiter geht’s. Und irgendwann, wenn die Dunkelheit auch den Rest an Tageslicht aus der Stadt geschoben hat, wird Claus Empacher durch nahezu leere Straßen pflügen. Bis sie sich, zu späterer Stunde, wieder zu füllen beginnen, wenn Schenker und Beschenkte den Heimweg antreten oder in Feierlaune weiterziehen.
In den vergangenen sieben Jahren, sagt er, hatte er am 24. Dezember lediglich zwei Mal nicht Dienst. Ein Weihnachtshasser in WienerLinien-Montur ist Empacher deswegen aber noch lange nicht. Ganz im Gegenteil. „Ich denk mir, andere haben kleine Kinder. Die sollten bei ihren Familien sein am Heiligen Abend.“Der vierfache Vater bleibt diesbezüglich gelassen, schließlich ist sein Jüngster schon 16 Jahre alt. Da sei es nicht mehr so schlimm, wenn der Papa bei der klassischen Bescherung wieder einmal ausfällt.
Familie Empacher ist da recht flexibel und erfinderisch. „Stattdessen gibt’s halt ein ausgedehntes Frühstück, oder wir feiern am 25. Dezember.“Wichtig ist, dass alle Kinder da sind. Heuer hätte der gelernte Bürokaufmann übrigens gern Fisch. „Bei uns ist das nicht so fix, was wir essen.“
Der hoch aufgeschossene Straßenbahnfahrer bringt exakt jenes Phlegma mit, das man heutzutage für diesen Beruf benötigt. Denn, so ehrlich müsse man sein, gute Nerven brauche man schon. Das Verhalten der Passagiere sowie jenes der restlichen Verkehrsteilnehmer lasse – wertschätzend formuliert – doch immer mehr zu wünschen übrig. „Ich sag mal so: Auf manchen Linien ist das ganze Jahr über Silvester und Fasching. Ich erspar mir auf jeden Fall das Kabarett.“Das Achtgeben auf andere sei ziemlich aus der Mode gekommen. „Blinken zum Beispiel gehört mittlerweile zur Sonderausstattung“, umschreibt Empacher seinen Alltag, in dem es vor allem darum gehe, die Fehler der anderen auszubügeln.
Teilweise, sagt der 51-Jährige, sei es „Adrenalin pur“. Vor allem, wenn man bedenkt, dass man für Dutzende Menschen verantwortlich ist und das Ding, das man steuert, bis zu 55 Tonnen schwer ist. „Es ist jeden Tag eine neue Herausforderung.“Dem Weihnachtsstraßenbahner Claus Empacher geht es dennoch blendend – auch am 24. Dezember, wenn der gefühlte Rest der Welt Geschenke auspackt, während er seine Runden dreht.
Früher, erzählt er, war das alles viel schwieriger für ihn und seine Familie. „Da haben wir uns deutlich seltener gesehen.“Der ehemalige Lkw-Fahrer erinnert sich gar nicht so gern an jene Zeiten, als es schon passieren konnte, dass er am 23. Dezember mitgeteilt bekam, eine Lieferung nach Vorarlberg karren zu dürfen. Das bedeutete: Heiliger Abend in einem einsamen Hotelzimmer oder gar in der Fahrerkabine. Dagegen ist eine Doppelschicht in der Stillen Nacht am 6er ein emotionales Kinderspiel.