20-facher Mord? Höchstgericht hob Urteil auf
Syrer hatte in Innsbruck lebenslange Haft erhalten. Erstgericht hätte Zeugen anhören müssen.
Paukenschlag im spektakulären Verfahren gegen einen 28-jährigen syrischen Asylbewerber, der im Mai dieses Jahres von einem Innsbrucker Geschworenengericht wegen 20-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden war: Der Oberste Gerichtshof gab jetzt der Nichtigkeitsbeschwerde des Syrers gegen den Wahrspruch der Geschworenen statt, hob das Urteil auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung ans Landesgericht Innsbruck zurück.
Der Syrer hatte laut dem nunmehr gekippten Urteil zwischen Anfang 2013 und Februar 2014 in seiner Heimat zumindest 20 verwundete oder wehrlose Soldaten der staatlichen syrischen Armee gezielt erschossen. Laut Anklage soll der 27-Jährige Mitglied einer Untergruppierung der Freien Syrischen Armee gewesen sein, die gegen die staatlichen Truppen von Regierungschef Assad kämpfte.
Die beiden Innsbrucker Rechtsanwälte Hubert Stanglechner und Lászlo Szabó hatten für ihren syrischen Mandanten die Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht, der das Höchstgericht nun gefolgt ist. „Die Verurteilung stützte sich einzig und allein auf ein vermeintliches Geständnis unseres Mandanten bei der Polizei, das er aber bei seiner ersten richterlichen Vernehmung durch einen Haftrichter sofort widerrufen hat“, betont Verteidiger Stanglechner gegenüber den SN.
Der Oberste Gerichtshof kippte den Schuldspruch wegen 20-fachen Mordes sinngemäß wie folgt: Das Erstgericht habe insofern gegen das Recht (des Angeklagten) auf ein faires Verfahren („fair trial“) verstoßen, als dass es keine der von der Verteidigung beantragten Entlastungszeugen gehört habe. Dazu das Höchstgericht wörtlich: „In einem Verfahren, in dem neben einer – widerrufenen – Aussage des Angeklagten vor der Polizei weder Beweisergebnisse für das zentrale Beweisthema (mehrfache Tötungen) noch nähere Einschränkungen des Tatzeitraums vorliegen“bedürfe es auch der Anhörung von Zeugen und der Aufnahme von Kontrollbeweisen. Dazu Verteidiger Stanglechner: „Wir haben die Mutter und zwei Schwestern des Angeklagten als Zeugen beantragt. Sie sind nach wie vor in Syrien und können bezeugen, dass der Angeklagte seit Sommer 2013 gar nicht mehr in seiner Heimat war, sondern sich in der Türkei aufgehalten hat.“Die Vernehmung der Zeugen im neuen, noch nicht terminisierten Prozess könnte im Wege einer Videokonferenz mit der österreichischen Botschaft in Damaskus erfolgen, so der Innsbrucker Anwalt.