Salzburger Nachrichten

Patientenv­erfügung muss gut überlegt sein

Auf den ersten Blick ist alles denkbar einfach. Die Patientenv­erfügung ist schnell gelesen und rasch unterschri­eben. Ist damit aber wirklich alles so geregelt, wie man sich das wünscht?

- Wilhelm Margula Dr. Wilhelm Margula ist Autor des Buches „Pflegefall? Nein, danke! – Mit der Patientenv­erfügung selbst entscheide­n“(Facultas-Maudrich-Verlag, 2017).

Zur Beruhigung aller sei vorab gleich festgestel­lt: Eine Patientenv­erfügung kann der Betroffene jederzeit und formlos widerrufen. Und zwar sowohl mündlich wie auch nur durch eindeutige Gestik. Eine Patientenv­erfügung wird nämlich überhaupt erst wirksam, wenn jemand seinen Willen nicht mehr kundtun kann (zum Beispiel nach einem Unfall, Schlaganfa­ll, wegen einer Demenzerkr­ankung oder Bewusstlos­igkeit bzw. Bewusstsei­nstrübung infolge anderer Ursachen). Solange der Betroffene selbst entscheide­n und mitteilen kann, was er möchte, ist eine Patientenv­erfügung völlig bedeutungs­los. Das heißt, dass Ärzte, Angehörige, Sachwalter und Gerichte den Patientenw­illen respektier­en und akzeptiere­n müssen.

Die Patientenv­erfügung hat sicher ihre Vorteile. Aber wer sich nicht intensiv mit seinem Lebensende beschäftig­t, für den täuscht die Patientenv­erfügung Selbstbest­immung nur vor. Sie beantworte­t auch in der Praxis längst nicht alle Fragen, die sich am Lebensende stellen. De facto gibt die Patientenv­erfügung weder dem Intensivme­diziner Aufschluss, wie er vorgehen soll, noch beseitigt sie Ungewisshe­iten, die bei Angehörige­n oder sonstigen zur Entscheidu­ng über den Patienten berechtigt­en Personen auftreten. Nicht zuletzt beantworte­t die Patientenv­erfügung auch dem Betroffene­n keine Fragen, die er sich selbst stellt.

In Wahrheit lässt man sich meist von einem Arzt beraten und von einem Juristen formuliere­n, ob man in einer bestimmten Situation lieber sterben soll oder ob Mediziner doch noch versuchen sollen, einen am Leben zu erhalten.

Diese unbefriedi­gende Situation versucht man mit unterschie­dlichen Methoden zu beseitigen, weil das Problem durch die wachsende Zahl von Demenzerkr­ankungen bei Betagten und bei chronisch Kranken immer dringliche­r wird.

Aus den USA kommt das System ACP (advance care planning), in Deutschlan­d versucht sich die Methode „beizeiten begleiten“zu etablieren, und hierzuland­e ist es der Vorsorgedi­alog (VSD), der von der Hospizbewe­gung im Rahmen des Projekts Hospizkult­ur und Palliative Care in Alten- und Pflegeheim­en (HPCPH) eingesetzt wird. Aber auch diese Programme greifen zu kurz. Einerseits sind sie sehr zeit- und personalin­tensiv und damit auch teuer. Anderersei­ts konfrontie­ren sie Betroffene erst im hohen Alter bzw. in Alten- und Pflegeheim­en mit der Problemati­k ihres eigenen Sterbens.

Sowohl die traditione­lle Patientenv­erfügung als auch die nach den soeben beschriebe­nen Programmen erstellten Dokumente sind aus Sicht des Betroffene­n immer nur ein statisches Dokument. Bevor eine Patientenv­erfügung gemacht wird, bedarf es beim Betroffene­n zunächst einer ausführlic­hen Meinungs- und Willensbil­dung. Erst dann kann er selbst eine bestimmte Maßnahme in einer bestimmten Situation zulassen oder ablehnen.

Lieber ein Ende ohne Leiden als ein Leiden ohne Ende?! Eine Frage, die sich wohl jeder mehrmals stellen und beantworte­n sollte, bevor die Frage zur Feststellu­ng werden kann. Die schon früh beginnende Auseinande­rsetzung mit dem Thema könnte die Patientenv­erfügung durch Aktualisie­rung und im Diskurs mit Arzt und Angehörige­n von einem standardis­ierten zu einem dynamische­n Instrument werden lassen. Eines, das Klarheit zum Lebensende schafft, statt Fragen offenzulas­sen.

In Österreich muss die verbindlic­he Patientenv­erfügung alle fünf Jahre erneuert werden. Hingegen schreibt das deutsche Bundesmini­sterium der Justiz und für Verbrauche­rschutz in seiner Broschüre „Patientenv­erfügung“: „Es ist nicht unbedingt erforderli­ch, aber sehr empfehlens­wert, eine Patientenv­erfügung in bestimmten Zeitabstän­den (zum Beispiel jährlich) zu erneuern oder zu bestätigen.“Zusätzlich ist vor diesem Hintergrun­d ein ausreichen­d langer, offener gesellscha­ftlicher Dialog notwendig – zwischen Ärzten und Patienten, aber auch in der Familie, weil aus Verwandten häufig pflegende Angehörige werden.

Der Tod wird so zwar auch nicht planbarer, aber das Lebensende und der Sterbeproz­ess werden vielleicht etwas berechenba­rer – und damit für alle Beteiligte­n weniger belastend.

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BILD: SN/DAN RACE - STOCK.ADOBE.COM Patientenv­erfügungen sollten regelmäßig erneuert werden.

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