Patientenverfügung muss gut überlegt sein
Auf den ersten Blick ist alles denkbar einfach. Die Patientenverfügung ist schnell gelesen und rasch unterschrieben. Ist damit aber wirklich alles so geregelt, wie man sich das wünscht?
Zur Beruhigung aller sei vorab gleich festgestellt: Eine Patientenverfügung kann der Betroffene jederzeit und formlos widerrufen. Und zwar sowohl mündlich wie auch nur durch eindeutige Gestik. Eine Patientenverfügung wird nämlich überhaupt erst wirksam, wenn jemand seinen Willen nicht mehr kundtun kann (zum Beispiel nach einem Unfall, Schlaganfall, wegen einer Demenzerkrankung oder Bewusstlosigkeit bzw. Bewusstseinstrübung infolge anderer Ursachen). Solange der Betroffene selbst entscheiden und mitteilen kann, was er möchte, ist eine Patientenverfügung völlig bedeutungslos. Das heißt, dass Ärzte, Angehörige, Sachwalter und Gerichte den Patientenwillen respektieren und akzeptieren müssen.
Die Patientenverfügung hat sicher ihre Vorteile. Aber wer sich nicht intensiv mit seinem Lebensende beschäftigt, für den täuscht die Patientenverfügung Selbstbestimmung nur vor. Sie beantwortet auch in der Praxis längst nicht alle Fragen, die sich am Lebensende stellen. De facto gibt die Patientenverfügung weder dem Intensivmediziner Aufschluss, wie er vorgehen soll, noch beseitigt sie Ungewissheiten, die bei Angehörigen oder sonstigen zur Entscheidung über den Patienten berechtigten Personen auftreten. Nicht zuletzt beantwortet die Patientenverfügung auch dem Betroffenen keine Fragen, die er sich selbst stellt.
In Wahrheit lässt man sich meist von einem Arzt beraten und von einem Juristen formulieren, ob man in einer bestimmten Situation lieber sterben soll oder ob Mediziner doch noch versuchen sollen, einen am Leben zu erhalten.
Diese unbefriedigende Situation versucht man mit unterschiedlichen Methoden zu beseitigen, weil das Problem durch die wachsende Zahl von Demenzerkrankungen bei Betagten und bei chronisch Kranken immer dringlicher wird.
Aus den USA kommt das System ACP (advance care planning), in Deutschland versucht sich die Methode „beizeiten begleiten“zu etablieren, und hierzulande ist es der Vorsorgedialog (VSD), der von der Hospizbewegung im Rahmen des Projekts Hospizkultur und Palliative Care in Alten- und Pflegeheimen (HPCPH) eingesetzt wird. Aber auch diese Programme greifen zu kurz. Einerseits sind sie sehr zeit- und personalintensiv und damit auch teuer. Andererseits konfrontieren sie Betroffene erst im hohen Alter bzw. in Alten- und Pflegeheimen mit der Problematik ihres eigenen Sterbens.
Sowohl die traditionelle Patientenverfügung als auch die nach den soeben beschriebenen Programmen erstellten Dokumente sind aus Sicht des Betroffenen immer nur ein statisches Dokument. Bevor eine Patientenverfügung gemacht wird, bedarf es beim Betroffenen zunächst einer ausführlichen Meinungs- und Willensbildung. Erst dann kann er selbst eine bestimmte Maßnahme in einer bestimmten Situation zulassen oder ablehnen.
Lieber ein Ende ohne Leiden als ein Leiden ohne Ende?! Eine Frage, die sich wohl jeder mehrmals stellen und beantworten sollte, bevor die Frage zur Feststellung werden kann. Die schon früh beginnende Auseinandersetzung mit dem Thema könnte die Patientenverfügung durch Aktualisierung und im Diskurs mit Arzt und Angehörigen von einem standardisierten zu einem dynamischen Instrument werden lassen. Eines, das Klarheit zum Lebensende schafft, statt Fragen offenzulassen.
In Österreich muss die verbindliche Patientenverfügung alle fünf Jahre erneuert werden. Hingegen schreibt das deutsche Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in seiner Broschüre „Patientenverfügung“: „Es ist nicht unbedingt erforderlich, aber sehr empfehlenswert, eine Patientenverfügung in bestimmten Zeitabständen (zum Beispiel jährlich) zu erneuern oder zu bestätigen.“Zusätzlich ist vor diesem Hintergrund ein ausreichend langer, offener gesellschaftlicher Dialog notwendig – zwischen Ärzten und Patienten, aber auch in der Familie, weil aus Verwandten häufig pflegende Angehörige werden.
Der Tod wird so zwar auch nicht planbarer, aber das Lebensende und der Sterbeprozess werden vielleicht etwas berechenbarer – und damit für alle Beteiligten weniger belastend.