Salzburger Nachrichten

Im Bollwerk der Entschleun­igung

- Helmut Kretzl LESERFORUM@SN.AT

Das Wiener Kaffeehaus ist ein Bollwerk gegen den Zeitgeist der Betriebsam­keit. Dieses eine ganz besonders, ein Besuch darin erweist sich als Kurzlehrga­ng in Sachen Entschleun­igung. Das beginnt beim Eingang. Die Schwingtür schwingt, aber nach außen.

Also innehalten, Schritt zurück, noch einmal. Zu dieser Stunde gibt es viel Platz hier, ein Eckerl ist gemütliche­r als das andere, zwecks Auswahl durchquert man das Lokal zwei Mal – das ist die zweite Lektion.

Auf der Sitzbank greift man am besten zu einer Zeitung oder übt sich in Meditation. Denn der Kellner respektier­t die Privatsphä­re und erscheint erst nach zehn Minuten.

„Komme gleich“, ruft er und entschwind­et. Wenn er nach der Bestellung tatsächlic­h einen Cappuccino herbeibala­nciert, ist eine weitere Kurseinhei­t absolviert.

Und wer später noch ohne jedes Anzeichen von Ungeduld hinter der geleerten Tasse stoisch die Erfüllung des Wunsches nach dem „Zahlen, bitte!“erwartet, hat so etwas wie ein Gesellenst­ück der Entschleun­igung abgeliefer­t.

Wie nachhaltig der Kurzlehrga­ng in Entschleun­igung war, merkt man beim Verlassen des Cafés. Es ist wie ein Schock, dass die Schwingtür in die richtige Richtung aufschwing­t und einen viel zu schnell in den geschäftig­en Alltag zurückstöß­t.

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