Im Bollwerk der Entschleunigung
Das Wiener Kaffeehaus ist ein Bollwerk gegen den Zeitgeist der Betriebsamkeit. Dieses eine ganz besonders, ein Besuch darin erweist sich als Kurzlehrgang in Sachen Entschleunigung. Das beginnt beim Eingang. Die Schwingtür schwingt, aber nach außen.
Also innehalten, Schritt zurück, noch einmal. Zu dieser Stunde gibt es viel Platz hier, ein Eckerl ist gemütlicher als das andere, zwecks Auswahl durchquert man das Lokal zwei Mal – das ist die zweite Lektion.
Auf der Sitzbank greift man am besten zu einer Zeitung oder übt sich in Meditation. Denn der Kellner respektiert die Privatsphäre und erscheint erst nach zehn Minuten.
„Komme gleich“, ruft er und entschwindet. Wenn er nach der Bestellung tatsächlich einen Cappuccino herbeibalanciert, ist eine weitere Kurseinheit absolviert.
Und wer später noch ohne jedes Anzeichen von Ungeduld hinter der geleerten Tasse stoisch die Erfüllung des Wunsches nach dem „Zahlen, bitte!“erwartet, hat so etwas wie ein Gesellenstück der Entschleunigung abgeliefert.
Wie nachhaltig der Kurzlehrgang in Entschleunigung war, merkt man beim Verlassen des Cafés. Es ist wie ein Schock, dass die Schwingtür in die richtige Richtung aufschwingt und einen viel zu schnell in den geschäftigen Alltag zurückstößt.