Das Ende würdevoll gestalten
Vor acht Monaten eröffnete in Graz das erste Hospiz für obdachlose Menschen. Die Mischung aus Wohnung und Spital ist bereits preisgekrönt. Eine „Wundergeschichte“gibt es auch schon.
„Wir gehen mit der Wahrheit bewusst um.“Gerold Muhri, Palliativmediziner
Danny F. hat es nie wirklich leicht gehabt. Sein Körper und sein Geist waren gezeichnet von Enttäuschungen, Kränkungen, Niederlagen. Auch von eigenen Fehlern. Er flüchtete in den Alkohol und stärkere Drogen. Die klassische Abwärtsspirale begann. Danny F. landete auf der Straße und betrieb weiter Raubbau an seinem Körper, bis dieser rebellierte. Eine schwere Magenblutung brachte ihn in akute Lebensgefahr. Er wollte nicht ins Krankenhaus und wurde von seinen Freunden schon für immer verabschiedet.
Nach einer intensivmedizinischen Behandlung kam Danny F. in das VinziDorf-Hospiz im Grazer Stadtbezirk St. Leonhard. Dort erfuhr er eine Unterstützung, wie er sie bislang nicht gekannt hatte. Sein Gesundheitszustand besserte sich, die Zuwendung tat ihm gut. Mittlerweile konnte Danny F. die Hospizeinrichtung bereits wieder verlassen und lebt nun in der „normalen“Obdachloseneinrichtung VinziDorf. Er lebt und vertraut wieder den Menschen.
„Ich hätte nie gedacht, dass es Menschen gibt, die sich so um mich kümmern“, sagt Danny F. Für die Betreiber des VinziDorf-Hospizes ist der Fall Danny F. eine „Wundergeschichte“. Seit April dieses Jahres hat das erste Hospiz für obdachlose Menschen in Graz seine Tore geöffnet. Die Idee zu dem Pilotprojekt stammt von den Schwestern des Elisabethinenkonvents. „Es ist der ureigenste Auftrag der Elisabethinen, sich um Arme und Kranke zu kümmern. Aus diesem Auftrag kommt unsere Kraft, auf die Nöte des Hier und Jetzt zu reagieren“, sagt die Generaloberin Mutter Bonaventura. Ein Lagergebäude der Pfarre St. Leonhard wurde dem Projekt günstig zur Verfügung gestellt, die Anton Paar GmbH finanzierte die Einrichtung.
Bereits nach den ersten acht Monaten hat sich das VinziDorf-Projekt in der Praxis sehr bewährt. Bislang gab es fünf Bewohner und eine Bewohnerin, zwei davon sind verstorben. „Es geht darum, Menschen die Möglichkeit geben, sich würdig und selbstbestimmt von dieser Welt zu verabschieden“, sagt Palliativarzt Gerold Muhri vom Krankenhaus der Elisabethinen in Graz. In dem Haus werde „nicht gelogen, nichts beschönigt“, die Wahrheit sei da und es werde versucht, bewusst mit dieser Wahrheit umzugehen. „Man darf sich nicht vorstellen, dass es hier stets schwermütig zugeht. Es wird bei uns auch viel gelacht. Die Menschen genießen ihr Leben – bis zum letzten Tag“, betont die Pflegeleiterin Desirée Amschl-Strablegg.
Gemütliche Vitalität in dem äußerlich unscheinbaren Gebäude: An den Wänden hängen Heiligenbilder und ein Foto von einem steirischen Klapotetz, auf dem Flachbildschirm rast gerade Marcel Hirscher ins Tal, in der gemütlichen, nach Essen riechenden Wohnküche stehen leere Bierflaschen auf dem Boden. Unweit davon kann man auf Buntpapier Wörter lesen, die quasi als Motto für das gesamte Projekt zu verstehen sind: „Geborgenheit, Zuversicht, Lachen, Wärme, Leben.“Aber auch: „Am Ende.“Der erste Patient, der hier gewohnt hat, war ein englischer Straßensänger, der in Villach gestrandet ist. Er war nie wirklich sesshaft, aber auch nicht obdachlos. Wollte ein Leben in Freiheit genießen. Nach einer schweren Krebserkrankung wurde er ins Grazer Hospiz vermittelt. Anfangs fühlte er sich unwohl, das emotionale Eis begann zu schmelzen, als eine Hospizmitarbeiterin auf der Gitarre Lieder anstimmte. Auch er genoss die individuelle Betreuung, das spezifische und respektvolle Eingehen auf seine Person. „Obdachlose werden in Spitälern nicht selten mit dem Ratschlag ,Hör auf zu saufen, dann wird alles besser‘ behandelt, ohne dass man sie wirklich gehört hat. So entstehen zusätzliche Verletzungen, die nur schwer gutzumachen sind“, sagt Gerold Muhri.
Im VinziDorf-Hospiz, in dem derzeit drei Personen leben, wird nicht verurteilt, sondern zugehört. Die Bewohner sollen ihre letzte Lebensphase in einem vertrauten Umfeld verbringen können, medizinisch und pflegerisch gut versorgt. „Obdachlose Menschen denken genauso über das Lebensende nach wie alle anderen“, sagt Christian Lagger, Geschäftsführer des Krankenhauses der Elisabethinen. Auch sie wünschen sich, würdevoll, einfühlsam und im Kreis von Vertrauten sterben zu können.
Das ehrgeizige Projekt wurde erst kürzlich von der Jury des interna- tionalen KlinikAward in Berlin mit dem Goldenen Sonderpreis der Jury geehrt. „Wir haben bewusst dieses barmherzige und innovative Projekt ausgewählt, um die soziale Seite des Klinikmarketings in den Fokus zu rücken“, betonte Stephan Rotthaus, der Initiator des KlinikAwards.
Das als offenes Wohnhaus konzipierte Hospiz wird von zwei 24-Stunden-Betreuern, vier Pflegekräften, zwei Ärzten, sechs ehrenamtliche Hospizmitarbeitern und acht ehrenamtlichen Medizinern mit Rufbereitschaft betreut. Für AmschlStrablegg stellt es einen „Hybrid aus Privatwohnung und Krankenhaus“dar. Der Betrieb ist nur durch Spenden möglich, so können Personal, Essen und medizinische Produkte finanziert werden (Spendenkonto für das Projekt: VinziDorf-Hospiz, IBAN: AT24 2081 5000 4069 2659).
Ob die Einrichtung expandieren will? „Natürlich gibt es viel mehr Not und Leid, aber wir sehen uns erst einmal die ersten Erfahrungen genau an, ehe weitere Schritte gesetzt werden“, sagt Muhri. Das (inter)nationale Echo auf das VinziDorf-Hospiz, diese „Herzenssache der Elisabethinen“, ist jedenfalls groß.