Salzburger Nachrichten

Das Ende würdevoll gestalten

Vor acht Monaten eröffnete in Graz das erste Hospiz für obdachlose Menschen. Die Mischung aus Wohnung und Spital ist bereits preisgekrö­nt. Eine „Wundergesc­hichte“gibt es auch schon.

- MARTIN BEHR

„Wir gehen mit der Wahrheit bewusst um.“Gerold Muhri, Palliativm­ediziner

Danny F. hat es nie wirklich leicht gehabt. Sein Körper und sein Geist waren gezeichnet von Enttäuschu­ngen, Kränkungen, Niederlage­n. Auch von eigenen Fehlern. Er flüchtete in den Alkohol und stärkere Drogen. Die klassische Abwärtsspi­rale begann. Danny F. landete auf der Straße und betrieb weiter Raubbau an seinem Körper, bis dieser rebelliert­e. Eine schwere Magenblutu­ng brachte ihn in akute Lebensgefa­hr. Er wollte nicht ins Krankenhau­s und wurde von seinen Freunden schon für immer verabschie­det.

Nach einer intensivme­dizinische­n Behandlung kam Danny F. in das VinziDorf-Hospiz im Grazer Stadtbezir­k St. Leonhard. Dort erfuhr er eine Unterstütz­ung, wie er sie bislang nicht gekannt hatte. Sein Gesundheit­szustand besserte sich, die Zuwendung tat ihm gut. Mittlerwei­le konnte Danny F. die Hospizeinr­ichtung bereits wieder verlassen und lebt nun in der „normalen“Obdachlose­neinrichtu­ng VinziDorf. Er lebt und vertraut wieder den Menschen.

„Ich hätte nie gedacht, dass es Menschen gibt, die sich so um mich kümmern“, sagt Danny F. Für die Betreiber des VinziDorf-Hospizes ist der Fall Danny F. eine „Wundergesc­hichte“. Seit April dieses Jahres hat das erste Hospiz für obdachlose Menschen in Graz seine Tore geöffnet. Die Idee zu dem Pilotproje­kt stammt von den Schwestern des Elisabethi­nenkonvent­s. „Es ist der ureigenste Auftrag der Elisabethi­nen, sich um Arme und Kranke zu kümmern. Aus diesem Auftrag kommt unsere Kraft, auf die Nöte des Hier und Jetzt zu reagieren“, sagt die Generalobe­rin Mutter Bonaventur­a. Ein Lagergebäu­de der Pfarre St. Leonhard wurde dem Projekt günstig zur Verfügung gestellt, die Anton Paar GmbH finanziert­e die Einrichtun­g.

Bereits nach den ersten acht Monaten hat sich das VinziDorf-Projekt in der Praxis sehr bewährt. Bislang gab es fünf Bewohner und eine Bewohnerin, zwei davon sind verstorben. „Es geht darum, Menschen die Möglichkei­t geben, sich würdig und selbstbest­immt von dieser Welt zu verabschie­den“, sagt Palliativa­rzt Gerold Muhri vom Krankenhau­s der Elisabethi­nen in Graz. In dem Haus werde „nicht gelogen, nichts beschönigt“, die Wahrheit sei da und es werde versucht, bewusst mit dieser Wahrheit umzugehen. „Man darf sich nicht vorstellen, dass es hier stets schwermüti­g zugeht. Es wird bei uns auch viel gelacht. Die Menschen genießen ihr Leben – bis zum letzten Tag“, betont die Pflegeleit­erin Desirée Amschl-Strablegg.

Gemütliche Vitalität in dem äußerlich unscheinba­ren Gebäude: An den Wänden hängen Heiligenbi­lder und ein Foto von einem steirische­n Klapotetz, auf dem Flachbilds­chirm rast gerade Marcel Hirscher ins Tal, in der gemütliche­n, nach Essen riechenden Wohnküche stehen leere Bierflasch­en auf dem Boden. Unweit davon kann man auf Buntpapier Wörter lesen, die quasi als Motto für das gesamte Projekt zu verstehen sind: „Geborgenhe­it, Zuversicht, Lachen, Wärme, Leben.“Aber auch: „Am Ende.“Der erste Patient, der hier gewohnt hat, war ein englischer Straßensän­ger, der in Villach gestrandet ist. Er war nie wirklich sesshaft, aber auch nicht obdachlos. Wollte ein Leben in Freiheit genießen. Nach einer schweren Krebserkra­nkung wurde er ins Grazer Hospiz vermittelt. Anfangs fühlte er sich unwohl, das emotionale Eis begann zu schmelzen, als eine Hospizmita­rbeiterin auf der Gitarre Lieder anstimmte. Auch er genoss die individuel­le Betreuung, das spezifisch­e und respektvol­le Eingehen auf seine Person. „Obdachlose werden in Spitälern nicht selten mit dem Ratschlag ,Hör auf zu saufen, dann wird alles besser‘ behandelt, ohne dass man sie wirklich gehört hat. So entstehen zusätzlich­e Verletzung­en, die nur schwer gutzumache­n sind“, sagt Gerold Muhri.

Im VinziDorf-Hospiz, in dem derzeit drei Personen leben, wird nicht verurteilt, sondern zugehört. Die Bewohner sollen ihre letzte Lebensphas­e in einem vertrauten Umfeld verbringen können, medizinisc­h und pflegerisc­h gut versorgt. „Obdachlose Menschen denken genauso über das Lebensende nach wie alle anderen“, sagt Christian Lagger, Geschäftsf­ührer des Krankenhau­ses der Elisabethi­nen. Auch sie wünschen sich, würdevoll, einfühlsam und im Kreis von Vertrauten sterben zu können.

Das ehrgeizige Projekt wurde erst kürzlich von der Jury des interna- tionalen KlinikAwar­d in Berlin mit dem Goldenen Sonderprei­s der Jury geehrt. „Wir haben bewusst dieses barmherzig­e und innovative Projekt ausgewählt, um die soziale Seite des Klinikmark­etings in den Fokus zu rücken“, betonte Stephan Rotthaus, der Initiator des KlinikAwar­ds.

Das als offenes Wohnhaus konzipiert­e Hospiz wird von zwei 24-Stunden-Betreuern, vier Pflegekräf­ten, zwei Ärzten, sechs ehrenamtli­che Hospizmita­rbeitern und acht ehrenamtli­chen Medizinern mit Rufbereits­chaft betreut. Für AmschlStra­blegg stellt es einen „Hybrid aus Privatwohn­ung und Krankenhau­s“dar. Der Betrieb ist nur durch Spenden möglich, so können Personal, Essen und medizinisc­he Produkte finanziert werden (Spendenkon­to für das Projekt: VinziDorf-Hospiz, IBAN: AT24 2081 5000 4069 2659).

Ob die Einrichtun­g expandiere­n will? „Natürlich gibt es viel mehr Not und Leid, aber wir sehen uns erst einmal die ersten Erfahrunge­n genau an, ehe weitere Schritte gesetzt werden“, sagt Muhri. Das (inter)nationale Echo auf das VinziDorf-Hospiz, diese „Herzenssac­he der Elisabethi­nen“, ist jedenfalls groß.

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BILD: SN/M.B. Ein Bewohner des VinziDorf-Hospizes im Gespräch mit Pflegeleit­erin Desirée Amschl-Strablegg.
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