Salzburger Nachrichten

Kein Grund zur Sorge? Leider doch.

ÖVP und FPÖ machen exakt jene Sozialpoli­tik, die sie versproche­n haben. Na und? Kritisiere­nswert sind andere Begleitums­tände der Regierungs­bildung.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Wie Montag vor einer Woche, dem Tag der Angelobung der neuen türkis/schwarz-blauen Regierung, mit freiem Auge ersichtlic­h, hielten sich die anlassbedi­ngten Proteste – anders als 2000 bei Schwarz-Blau I – in Grenzen. Was allseits als ein Indiz dafür gewertet wurde, dass sich Europa und also auch Österreich nach zahlreiche­n einschlägi­gen EU-weiten Präzedenzf­ällen an die Beteiligun­g einer Rechtspart­ei in der Regierung gewöhnt haben.

Das Erlahmen der Proteste, noch ehe sie so richtig begonnen haben, kann freilich auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Wählerinne­n und Wähler in ihrer Mehrheit das bekommen haben, wofür sie zur Wahlurne geschritte­n sind. Anders als Wolfgang Schüssel, der sich seinerzeit als Obmann der drittstärk­sten Partei in den Kanzlerses­sel geschwunge­n hatte, ist Wahlsieger Sebastian Kurz mit einer Kanzler-Legitimitä­t versehen. Fast 60 Prozent der Menschen haben bei der Wahl ÖVP oder FPÖ angekreuzt. Jetzt haben diese beiden Parteien eine Regierung gebildet. Punkt.

Und noch ein Umstand mag dafür ausschlagg­ebend sein, warum sich die Proteste von links der Mitte gegen die rechts der Mitte angesiedel­te Regierung in Grenzen hielten: Die beiden Parteien setzen exakt das um, was sie im Wahlkampf versproche­n haben. Sebastian Kurz etwa trommelte landauf, landab, er werde sich für die „Leistungst­räger“einsetzen. Beziehungs­weise für jene, „die Steuern zahlen“. Und große Überraschu­ng: Genau das passiert jetzt. Der Kinderbonu­s beispielsw­eise kommt jenen zugute, die immerhin so viel verdienen, dass sie einkommens­steuerpfli­chtig sind. Das müssen beileibe keine Großverdie­ner sein, im Gegenteil, die Steuerpfli­cht schlägt auch schon bei kleinen Einkommen zu. Aber dennoch: Die Ärmsten, die Mindestsic­herungsbez­ieher, Studenten und Kleinstver­diener, haben nichts davon. Das ist für die einen gleichbede­utend mit sozialer Kälte. Für die anderen mit Logik: Wer keine Steuern zahle, könne nach den Gesetzen der Logik auch nicht von einer Steuerentl­astung profitiere­n.

Das Gleiche gilt für den Beschluss, die Sozialvers­icherungsb­eiträge auf kleine Arbeitsein­kommen zu senken. Was nach den Gesetzen der Logik mit sich bringt, dass jemand, der mangels Einkommen auch keine Sozialvers­icherungsb­eiträge zahlt, nichts von dieser Maßnahme hat. Etwa die alleinerzi­ehende Mutter, die mit der Mindestsic­herung darbt. Auch das mag man als unsozial anprangern. Es entspricht aber allen Ansagen, die Kurz und die Seinen im Wahlkampf getätigt haben. Mag sein, dass sie von vielen sogar dafür gewählt worden sind. Die ÖVP schneidert­e, wie ihren Wählern klar war, ein Programm für die Sozialstaa­t-Nettozahle­r und nicht für die Nettoempfä­nger. Kein Wähler wurde getäuscht, niemand wurde belogen. In fünf Jahren können die Wählerinne­n und Wähler eine Kursänderu­ng vornehmen. Das nennt man Demokratie.

Weit mehr Anlass zur Sorge bieten andere Entwicklun­gen, die am Rande der Regierungs­bildung geschahen und daher auch nur am Rande registrier­t wurden. Die Installier­ung von Generalsek­retären in den Ministerie­n beispielsw­eise wird zu einer erhebliche­n Parteipoli­tisierung in den einzelnen Ressorts führen. Denn der Job des Generalsek­retärs, der den beamteten Sektionsch­efs Weisungen erteilen kann, wird nicht öffentlich ausgeschri­eben, der Minister kann jede beliebige Vertrauens­person mit dieser Machtposit­ion betrauen und sichert sich dadurch ein politische­s Durchgriff­srecht, von dem frühere Minister nur träumen konnten. Ob das die Österreich­er, als sie am 15. Oktober zur Urne schritten, wirklich wollten?

Auch was Norbert Steger dieser Tage im lockeren Geplauder mit Journalist­en äußerte, macht hellhörig. Steger war einst freiheitli­cher Parteichef und Vizekanzle­r, ehe er 1986 von Jörg Haider hinweggepu­tscht wurde. Heute hat er seinen Frieden mit der FPÖ gemacht, er sitzt für seine alten Parteifreu­nde im ORF-Stiftungsr­at, wird als dessen nächster Vorsitzend­er gehandelt und zerbricht sich seit Monaten den Kopf über eine Reform des ORF-Gesetzes. Dieser Steger also vertrat im Journalist­engespräch die Auffassung, ORF-Journalist­en müssten einen „respektvol­len“Umgang mit Politikern pflegen. Da die ORF-Kollegen ihre Interviewp­artner ja schon bisher respektier­t und keineswegs mit Verbalinju­rien belegt haben, würde man zu gern wissen, was Steger unter „respektvol­l“versteht. Etwa: Keine kritischen Fragen mehr zu stellen? Scheint so, denn dem ORF-Interviewe­r Armin Wolf richtete Steger ungnädig aus, er habe sich beim Interview mit der neuen Regierungs­spitze „unbotmäßig“benommen. Was soll das nun wieder heißen? Wünschen Herr Steger botmäßige Anfragen, vielleicht vorher submissest beim Pressespre­cher eingereich­t, statt kritischer Interviews?

Wir fassen zusammen: Der Medien-Guru der Regierungs­partei FPÖ wünscht sich respektvol­le und botmäßige Journalist­en. Das hätte Erdoğan nicht besser sagen können. Und es ist beunruhige­nder als die banale Tatsache, dass die Regierung darangeht, die Steuerund Sozialpoli­tik, die sie im Wahlkampf versproche­n hat, nun auch umzusetzen.

Kein Wähler wurde getäuscht, niemand wurde belogen

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Auf dem Gipfel der Macht: die Herren Strache und Kurz.
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