Kaum Anschluss ans normale Leben
Chronische Konflikte wie jener in Syrien zwingen die Menschen nicht nur kurzfristig, sondern über Jahre in ein Leben als Flüchtling. Welche Probleme dadurch entstehen, zeigt sich in Jordanien in vielen Facetten.
AMMAN, AZRAQ. Arabischer Pop schallt aus dem Radio, gemischt mit den Klängen eines Dudelsacks. Fahrer Mohammed ist konzentriert. Die Straße ist gefährlich, ein Teil davon wurde ehemals Todesstrecke genannt. „Mittlerweile ist sie aber erneuert worden“, beruhigt der Angestellte der Hilfsorganisation CARE, der fast täglich die rund hundert Kilometer lange Strecke von Jordaniens Hauptstadt Amman nach Azraq im Nordosten des Landes hin und zurück fährt.
In Azraq befindet sich das zweitgrößte Flüchtlingslager Jordaniens. Es ist wie eine eigene Stadt, in der rund 50.000 Syrer leben, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen sind. „Hier ist die Ausfahrt vom Lager“, sagt Mohammed und deutet auf ein großen Tor, das den Anfang des eingezäunten Areals inmitten der kargen Wüstenlandschaft markiert. Erst neun Kilometer später wird er wieder vom Fahrersitz aus auf das Gelände neben der Hauptstraße deuten: „Und hier ist die Einfahrt.“
In Dutzenden Reihen stehen im Camp Azraq Container, in denen die Flüchtlinge mitunter seit Jahren leben – mit begrenzten Möglichkeiten sich zu bilden, Geld zu verdienen und ein Privatleben zu führen. In insgesamt vier Dörfer ist das Lager aufgeteilt. Es gibt Schulen, Spielplätze, einen Markt. Derzeit laufen die Vorbereitungen für den Winter, Decken und Heizstrahler werden ausgegeben. Denn so heiß wie die Sommer hier in der jordanischen Wüste werden, so kalt und schneereich sind die Winter.
Das mussten auch Abdul Hamid Mustafa al-Mustafa und seine Familie leidvoll erleben – bereits mehrere Male. Die Familie ist im Dezember 2012 aus dem syrischen Hama geflohen. Dort hatte sie einen Olivenhain, den al-Mustafa bewirtschaftete. „Wir haben in einer Villa gewohnt“, erzählt der großgewachsene, stolze Mann, der die Besucher auch in der jetzigen Unterkunft als Gäste empfängt, die er zu Tee einlädt und denen er Mittagessen anbietet. Dabei hat die Familie im Grunde nichts. Die Villa in Hama wurde bei einem Bombenangriff komplett zerstört. Ein Sohn al-Mustafas war zu dem Zeitpunkt im Haus, er kam mit seiner Frau und den Kindern ums Leben. Für die restliche Familie war Flucht die einzige Option.
Da ihr Einkommen in Syrien an ihr Grundstück mit den Olivenbäumen gebunden war, sind sie in Jordanien auf finanzielle Unterstützung des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und auf die Hilfe von Organisationen wie CARE angewiesen, die ein Mal pro Woche vorbeikommen.
Miete zu zahlen kann sich die Familie nicht leisten – sie lebt in einem Zelt, das auf dem Grund eines jordanischen Bauern steht. Von der Stadt Azraq geht es noch einmal eine Dreiviertelstunde über eine holprige Straße, vorbei an Beduinen und Schafherden, bis die dürftige Siedlung auftaucht. Etwa zehn Zelte stehen auf dem staubigen Boden, rund 60 Menschen leben hier. Elektrizität gibt es nicht, auch kein fließendes Wasser. Um Lebensmittel zu besorgen, muss al-Mustafa ein Auto mieten, weil es sonst keine Verbindung in die Stadt gibt. Das trifft auch und ganz besonders die Kinder: Sie können deshalb nicht in die Schule gehen.
Ein Problem, das auch bei den Mitarbeitern von ECHO, dem EUBüro für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, bekannt ist. Matteo Paoltroni, der für ECHO in Amman arbeitet, hält es aber nicht für zielführend, gänzlich neue Strukturen wie mobile Schulen aufzubauen. Vielmehr müsse man den Transport organisieren. Das gelte für Schulen wie für Gesundheitsversorgung. Denn: „Die Dienstleistungen sind in Jordanien alle vorhanden, aber die Flüchtlinge brauchen den Zugang“, sagt Paoltroni.
Zugang haben die syrischen Flüchtlinge in Jordanien mittlerweile zum Arbeitsmarkt bekommen, zumindest in einigen Branchen. Problematisch ist die Tatsache, dass auch viele Kinder arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. CARE will dem entgegenwirken, mit dem Programm „Cash for Education“. Das Prinzip: Entdecken die CAREMitarbeiter arbeitende Kinder und Jugendliche, gehen sie auf die Familien zu und bieten finanzielle Unterstützung an. 100 Dollar gibt es pro Monat, solange das Recht der Kinder auf Bildung gewahrt ist.
Ein Angebot, das auch Halema Yousef für ihren 15-jährigen Sohn Asam angenommen hat. Bis zu zwölf Stunden am Tag hatte Asam in einem Supermarkt gearbeitet, jetzt geht er wieder in die Schule und möchte Ingenieur werden. „Die Kinder sollen die besten in ihren Klassen sein“, ist Halemas ehrgeiziges Ziel für ihre acht Kinder. Vor fünf Jahren ist sie mit ihrem Nachwuchs und dem Familienvater aus Aleppo geflüchtet. Ihr Mann ist nach einem Jahr wegen seiner kranken Mutter zurück nach Syrien gegangen – und bislang nicht wieder gekommen. Aber sie weiß, dass er in Ordnung ist, sagt Halema. Sie selbst möchte jedenfalls auch zurückkehren, wenn es wieder Frieden gibt in Syrien. „Es ist unser Zuhause“, sagt Halema, um sofort zu ergänzen: „Aber jetzt sind wir in einem sicheren Land.“
Einen Flüchtling, der an eine baldige Rückkehr nach Syrien glaubt, findet man nicht. „Wir sind noch weit entfernt von Bedingungen, die eine Rückkehr zulassen“, stellt EUMitarbeiter Paoltroni fest. Erst müssten in Syrien die politischen und humanitären Grundlagen dafür geschaffen werden. Dazu gehört auch der Wiederaufbau von Infrastruktur, wie funktionierende Krankenhäuser und Schulen, die es derzeit nicht gibt. Die EU hatte sich bei ihrem Engagement in Jordanien zuerst auf jene Flüchtlinge konzentriert, die nicht registriert waren und damit keinen Anspruch und Zugang zu Hilfe hatten. Diese „Geisterflüchtlinge“wurden in Zusammenarbeit mit fünf NGOs erstversorgt. Mittlerweile hat Jordanien seine Grenze zu Syrien geschlossen, neue Flüchtlinge kommen nicht mehr an. Von Erstversorgung kann längst keine Rede mehr sein, die meisten Syrer sind seit Jahren im Land. Entsprechend ändert sich die Unterstützung auch von humanitärer Hilfe zu Entwicklungszusammenarbeit.
Wer keine Miete zahlen kann, lebt im Lager