Das Monumentale, hier wird’s Ereignis
Vollständig wie noch nie: „Les Troyens“von Hector Berlioz aus Straßburg – besser geht es nicht.
Auch die Salzburger Festspiele haben es versucht. Das Ergebnis war durchwachsen. „Les Troyens“von Hector Berlioz sind – obwohl in der Nettogesamtspieldauer nicht länger als Wagners „Tristan und Isolde“oder „Siegfried“oder Rossinis „Guillaume Tell“– eigentlich ein inkommensurables Werk. Es gilt, zwei Opern in einer zu bündeln: die KassandraTragödie im Krieg um Troja und die Erzählung von Dido und Aeneas im Kampf um Karthago. Dazu braucht es Hundertschaften an Musikern, Choristen und ein gutes Dutzend bester und vor allem stilistisch idiomatischer Solisten. Berlioz’ musiktheatralisches Lebenswerk ist ein heterogenes Gebilde, in das aus aufführungspraktischen Erwägungen, wenn sich denn ein Opernhaus daran wagt, quasi bühnenpragmatisch gern eingegriffen wird – was automatisch zu Verfälschungen der autonomen Werkgestalt führt.
Als im Frühjahr 2017 in Straßburg das dortige Orchestre Philharmonique und der um die Karlsruher Kräfte verstärkte Chor sowie eine Crème de la Crème an Solisten – Marie-Nicole Lemieux als Cassandra, Joyce DiDonato als Dido, Michael Spyres als Enée, dazu Stéphane Degout, Philippe Sly, Marianne Crébassa, Hanna Hippe, Stanislas de Barbeyrac und andere – zwei konzertante Aufführungen gaben, war das gesamte von Berlioz autorisierte Stück (also auch alle Ballettmusiken) zu hören. Jetzt ist es, so vollständig wie nie zuvor, auf vier CDs konserviert. Der 75-jährige Dirigent John Nelson, der heute wohl beste Kenner des Werks, darf auch sein Lebenswerk gekrönt wissen.
Das Ergebnis ist klanglich beeindruckend, weil es dem Werkcharakter beispielhaft entspricht, die Haupt- und Staatsaktionen mit prunkender Majestät erfüllt, die persönlichen Momente mit berstender Emotionalität und spontaner Emphase auflädt, das szenische Girlandenwerk, das der Grand Opéra geschuldet ist, mit Gusto und Esprit und ohne Krampf einbindet – und so ein Gesamtbild schafft, das in seiner schillernden Plastizität brillant wie ein großes, dabei hochmodernes Opernkino funkelt. Von Szene zu Szene herrscht eine spezifische Aura, die das Ohr in jedem Moment überrascht und bannt.
„Les Troyens“in dieser singulären Version: mit Abstand die Operneinspielung des Jahres.