Wer sich liebt, kann auch andere lieben
Selbstliebe als Geheimnis für ein gelungenes Leben: Ein Psychotherapeut aus Graz ermuntert dazu, sich selbst ganz nah zu kommen. Mit Narzissmus hat das gar nichts zu tun.
Zwei Gedichtbände hat er bereits geschrieben, mit seinem Lebenshilfe-Buch „Mit mir sein – Selbstliebe als Basis für Begegnung und Beziehung“hat der Grazer Mediziner Michael Lehofer erstmals Eingang in die Bestsellerlisten gefunden. „Bei der Selbstliebe gibt es leider einen großen Mangel“, sagt der 61-Jährige, der heuer auch zum neuen Direktor des LKH Graz Süd-West bestellt worden ist. Und: „Wer sich selbst nicht mag, scheitert im Umgang mit anderen.“Als Therapeut hat Lehofer immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die mangelnde Zuneigung, das fehlende Mitgefühl, kurz die mangelnde Liebe zu sich selbst das Kardinalproblem bei vielen Konflikten darstelle. Wobei er strikt zwischen Selbstliebe und Narzissmus unterscheidet: „Das sind gänzlich unterschiedliche Dinge. In Wahrheit ist der Mangel an Zustimmung zu sich selbst die Ursache von Egoismus und Narzissmus.“
Die Idee, das Buch zu schreiben, ist die Folge einer jahrzehntelangen Praxis als Psychotherapeut und Psychiater. Er habe erkennen müssen, dass jene, die sich nicht wirklich lieben, oft in Verherrlichung der eigenen Person flüchten: „Steht eine Bedrohung dieser Bewunderung im Raum, werden diese Menschen panisch“, sagt der Grazer, der in Salzburg Psychologie mit Nebenfach Psychopathologie und Psychiatrie studiert hat. Egoismus sei, sagt Lehofer, das hemmungslose Bedienen bei sich Selbst, ohne Rücksicht auf die anderen. Eine emotionale Sackgasse also. Mit insgesamt 28 „Ermutigungen zur Selbstliebe“versucht der Grazer einen Umkehrprozess in Gang zu bringen. Dass dies möglich sei, belegt sein Zitat „Das Leben ist ein Wunder, und wir selbst sind die Zauberer.“
Michael Lehofer bricht eine Lanze für die gesellschaftlich nicht immer positiv konnotierte Selbstwertschätzung. Diese Wertschätzung ermögliche Beziehungen auf Augenhöhe und „ein Wiederfinden der uns allen angeborenen Liebe zu uns selbst“. „Leben und Lieben unterscheiden sich nur durch einen Buchstaben“, sagt der Psychotherapeut, der an einer Qualitätsverbesserung in Sachen Gemeinwohl interessiert ist. Er will Mut machen, sich selbst zu begegnen und die „tiefe Liebe, die wir alle zu uns selbst haben,“sichtbar und lebbar zu machen. Viele seien aber eine totale Nähe zu sich selbst gar nicht mehr gewohnt, aus Angst vor Einsamkeit würde man zahlreiche Ablenkungen – etwa die neuen sozialen Netzwerke, Alkohol, mediale Berieselung oder Steckenpferde, die zu Süchten ausarten können – in sein Leben integrieren.
Jenen, die sich etwa gar nicht mehr vorstellen können, ohne ihr Handy zu leben, rät der Psychologe, das Alleinsein zu üben. Allein sein, ohne sich einsam zu fühlen – damit wäre ein inniger Kontakt zur eigenen Person geschaffen. Weitere Ermutigungen von Michael Lehofer gehen etwa in Richtung Angstfreiheit, Selbstverantwortung, Demut, Gelassenheit, Feinfühligkeit und Ver- zicht. Wer nicht verzichte, lebe nicht, behauptet der 61-Jährige: „Der Verzicht ist der Rahmen, den wir schaffen müssen, damit das Leben zum Erlebnis wird. Nur dann sind wir lebendig.“Der Vater zweier Töchter gilt als kunstinteressiert und hat auch im Hauptgebäude des Grazer LKH Süd-West eine Galerie ins Leben gerufen. Wo namhafte Künstler wie Franz Motschnig, Herbert Troger und der Tiroler Bischof Hermann Glettler ihre Werke ausgestellt haben, will Michael Lehofer, dass die Besucher „etwas Heilsames erleben können“. Arbeiten von eigenen Patienten will er hier nicht zeigen: „Das ist unser Tagesgeschäft, wir wollen Menschen von außen herbringen, die dann Erfahrungen machen.“
Der neue Chef im LKH Graz Süd-West („Wir wollen eine menschenorientierte, hochqualifizierte Medizin am Stand unserer Zeit bieten“) spricht von großen kommunikativen Herausforderungen angesichts der zunehmend multikulturellen Herkunft der Patienten. Als problematisch bezeichnet er den Umstand, dass die Notfallauf- nahme von einem Teil der Patienten als Hausarztäquivalent genutzt werde. Der Sohn eines Pharmazeuten und einer Prokuristin gilt als reformbereit und entscheidungsfreudig: „Erfolg ist, was erfolgt.“Aus zahlreichen Gesprächen wisse er, dass wirtschaftlicher Erfolg für viele Menschen nicht das Ein und Alles sei: „Beruflich erfolgreiche Menschen empfinden richtig Freude, wenn sie sich im Leben treu gewesen sind.“
Für Michael Lehofer ist die Liebe kein Gefühl. Vielmehr handle es sich um „eine totale Verbundenheit mit etwas“. Und diese Beziehungsfähigkeit lasse uns im Leben wachsen, betont der Klinikchef. Ein Mangel an Liebe wiederum komme einem Lebenshunger gleich. „Kein Mensch wird sich mit der eigenen Lebendigkeit auseinandersetzen, wenn er von dieser erfüllt ist“, sagt Michael Lehofer, der Arzt und Autor, der Psychotherapeut und Protagonist für ein erfüllendes Leben. Fazit des Grazers: „Es wäre wünschenswert, sich täglich in Dankbarkeit für die Liebe zu sich selbst zu verneigen.“