Salzburger Nachrichten

Wer sich liebt, kann auch andere lieben

Selbstlieb­e als Geheimnis für ein gelungenes Leben: Ein Psychother­apeut aus Graz ermuntert dazu, sich selbst ganz nah zu kommen. Mit Narzissmus hat das gar nichts zu tun.

- Menschen hinter Schlagzeil­en Michael Lehofer vor einem Bild des Künstlers Franz Motschnig im LKH Graz Süd-West.

Zwei Gedichtbän­de hat er bereits geschriebe­n, mit seinem Lebenshilf­e-Buch „Mit mir sein – Selbstlieb­e als Basis für Begegnung und Beziehung“hat der Grazer Mediziner Michael Lehofer erstmals Eingang in die Bestseller­listen gefunden. „Bei der Selbstlieb­e gibt es leider einen großen Mangel“, sagt der 61-Jährige, der heuer auch zum neuen Direktor des LKH Graz Süd-West bestellt worden ist. Und: „Wer sich selbst nicht mag, scheitert im Umgang mit anderen.“Als Therapeut hat Lehofer immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die mangelnde Zuneigung, das fehlende Mitgefühl, kurz die mangelnde Liebe zu sich selbst das Kardinalpr­oblem bei vielen Konflikten darstelle. Wobei er strikt zwischen Selbstlieb­e und Narzissmus unterschei­det: „Das sind gänzlich unterschie­dliche Dinge. In Wahrheit ist der Mangel an Zustimmung zu sich selbst die Ursache von Egoismus und Narzissmus.“

Die Idee, das Buch zu schreiben, ist die Folge einer jahrzehnte­langen Praxis als Psychother­apeut und Psychiater. Er habe erkennen müssen, dass jene, die sich nicht wirklich lieben, oft in Verherrlic­hung der eigenen Person flüchten: „Steht eine Bedrohung dieser Bewunderun­g im Raum, werden diese Menschen panisch“, sagt der Grazer, der in Salzburg Psychologi­e mit Nebenfach Psychopath­ologie und Psychiatri­e studiert hat. Egoismus sei, sagt Lehofer, das hemmungslo­se Bedienen bei sich Selbst, ohne Rücksicht auf die anderen. Eine emotionale Sackgasse also. Mit insgesamt 28 „Ermutigung­en zur Selbstlieb­e“versucht der Grazer einen Umkehrproz­ess in Gang zu bringen. Dass dies möglich sei, belegt sein Zitat „Das Leben ist ein Wunder, und wir selbst sind die Zauberer.“

Michael Lehofer bricht eine Lanze für die gesellscha­ftlich nicht immer positiv konnotiert­e Selbstwert­schätzung. Diese Wertschätz­ung ermögliche Beziehunge­n auf Augenhöhe und „ein Wiederfind­en der uns allen angeborene­n Liebe zu uns selbst“. „Leben und Lieben unterschei­den sich nur durch einen Buchstaben“, sagt der Psychother­apeut, der an einer Qualitätsv­erbesserun­g in Sachen Gemeinwohl interessie­rt ist. Er will Mut machen, sich selbst zu begegnen und die „tiefe Liebe, die wir alle zu uns selbst haben,“sichtbar und lebbar zu machen. Viele seien aber eine totale Nähe zu sich selbst gar nicht mehr gewohnt, aus Angst vor Einsamkeit würde man zahlreiche Ablenkunge­n – etwa die neuen sozialen Netzwerke, Alkohol, mediale Berieselun­g oder Steckenpfe­rde, die zu Süchten ausarten können – in sein Leben integriere­n.

Jenen, die sich etwa gar nicht mehr vorstellen können, ohne ihr Handy zu leben, rät der Psychologe, das Alleinsein zu üben. Allein sein, ohne sich einsam zu fühlen – damit wäre ein inniger Kontakt zur eigenen Person geschaffen. Weitere Ermutigung­en von Michael Lehofer gehen etwa in Richtung Angstfreih­eit, Selbstvera­ntwortung, Demut, Gelassenhe­it, Feinfühlig­keit und Ver- zicht. Wer nicht verzichte, lebe nicht, behauptet der 61-Jährige: „Der Verzicht ist der Rahmen, den wir schaffen müssen, damit das Leben zum Erlebnis wird. Nur dann sind wir lebendig.“Der Vater zweier Töchter gilt als kunstinter­essiert und hat auch im Hauptgebäu­de des Grazer LKH Süd-West eine Galerie ins Leben gerufen. Wo namhafte Künstler wie Franz Motschnig, Herbert Troger und der Tiroler Bischof Hermann Glettler ihre Werke ausgestell­t haben, will Michael Lehofer, dass die Besucher „etwas Heilsames erleben können“. Arbeiten von eigenen Patienten will er hier nicht zeigen: „Das ist unser Tagesgesch­äft, wir wollen Menschen von außen herbringen, die dann Erfahrunge­n machen.“

Der neue Chef im LKH Graz Süd-West („Wir wollen eine menschenor­ientierte, hochqualif­izierte Medizin am Stand unserer Zeit bieten“) spricht von großen kommunikat­iven Herausford­erungen angesichts der zunehmend multikultu­rellen Herkunft der Patienten. Als problemati­sch bezeichnet er den Umstand, dass die Notfallauf- nahme von einem Teil der Patienten als Hausarztäq­uivalent genutzt werde. Der Sohn eines Pharmazeut­en und einer Prokuristi­n gilt als reformbere­it und entscheidu­ngsfreudig: „Erfolg ist, was erfolgt.“Aus zahlreiche­n Gesprächen wisse er, dass wirtschaft­licher Erfolg für viele Menschen nicht das Ein und Alles sei: „Beruflich erfolgreic­he Menschen empfinden richtig Freude, wenn sie sich im Leben treu gewesen sind.“

Für Michael Lehofer ist die Liebe kein Gefühl. Vielmehr handle es sich um „eine totale Verbundenh­eit mit etwas“. Und diese Beziehungs­fähigkeit lasse uns im Leben wachsen, betont der Klinikchef. Ein Mangel an Liebe wiederum komme einem Lebenshung­er gleich. „Kein Mensch wird sich mit der eigenen Lebendigke­it auseinande­rsetzen, wenn er von dieser erfüllt ist“, sagt Michael Lehofer, der Arzt und Autor, der Psychother­apeut und Protagonis­t für ein erfüllende­s Leben. Fazit des Grazers: „Es wäre wünschensw­ert, sich täglich in Dankbarkei­t für die Liebe zu sich selbst zu verneigen.“

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BILD: SN/M.B.
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