Der Gedanke an die Tournee löst bei mir große Emotionen aus
Mit dem Springen am Samstag in Oberstdorf hebt die Vierschanzentournee in ihre 66. Auflage ab. Wenn man von der Tournee spricht, spricht man auch von ihrem Mythos.
Ja, die Tournee ist schon etwas Einmaliges, Einzigartiges. Da zum Jahreswechsel die meisten Sportarten wie auch „König Fußball“Pause machen, steht das Skispringen für zehn Tage im Mittelpunkt der Sportwelt.
Die Stadien sind gefüllt, die Medienpräsenz ist enorm groß – und folglich auch der Druck für die Athleten. Vor allem als Favorit ist es eine riesige Challenge, eine echt schwierige Herausforderung. Vier Wettkämpfe und acht Sprünge, bei denen du dir keinen einzigen Fehler erlauben darfst, wenn du am Ende ganz oben stehen willst. Daher ist es auch enorm wichtig, dass man gleich von Anfang an vorn dabei ist. Nur so kann man das nötige Selbstvertrauen tanken, um über den langen Zeitraum zu bestehen. Hat man hingegen vom ersten Sprung weg etwas aufzuholen, wird es enorm schwierig.
Was heuer für die Besten erstmals noch erschwerend hinzukommt, ist die Verpflichtung, bei der Qualifikation mitzuspringen. Denn gerade bei der Tournee war es in den vergangenen Jahren immer wieder so, dass zumindest auf einer Schanze widrige Bedingungen geherrscht haben. Da kann es schon passieren, dass da einer der Favoriten überraschend stolpert. Ich erwarte mir dadurch auf alle Fälle noch eine zusätzliche Spannung.
Eine Spannung, die zusätzlich durch den Länderkampf zwischen Österreich und Deutschland angeheizt wird. Wobei ich sagen muss, dass das mehr eine von den Medien aufgebauschte Geschichte ist. Denn wir Athleten haben das nie so empfunden, springen wir ja
Aus heimischer Sicht ruhen natürlich alle Hoffnungen auf Kraft
nicht nur gegen die Deutschen, sondern gegen gleich 15 Nationen. Tatsache ist aber, dass die Tournee von gut springenden österreichischen und deutschen Athleten lebt. Denn je erfolgreicher, desto größer die Werbepräsenz. Und da der Markt in Deutschland ein weit größerer ist, kann sich der Sport nur freuen, dass die Deutschen aktuell so gut drauf sind. Die Fans reagieren sofort darauf, das Auftaktspringen in Oberstdorf ist zum Beispiel schon seit Tagen ausverkauft.
Obwohl ich selbst schon einige Jahre vom aktiven Skisprungsport weg bin, löst allein der Gedanke an die Tournee bei mir noch immer große Emotionen aus. Zwölf Mal war ich dabei, oft habe ich schöne Erfolge gefeiert, ab und zu bin ich aber auch tief gefallen. Sehr gut kann ich mich noch an 2009 erinnern – da war für mich alles dabei. In Oberstdorf habe ich mich erstmals in meiner Karriere nicht für einen zweiten Durchgang qualifizieren können. In Garmisch, wo ich mir nie besonders leichtgetan habe, habe ich gerade noch den Sprung ins Finale geschafft, und in Bischofshofen habe ich dann meinen ersten Sieg seit zwei Jahren gefeiert. Das zeigt, welche Achterbahn die Tournee für Athleten sein kann.
Geht es um die Favoriten der heurigen Tournee, dann glaube ich, dass sich den Sieg die aktuellen Top 5 im Gesamtweltcup – also Richard Freitag, Andreas Wellinger, Daniel-André Tande, Kamil Stoch und Stefan Kraft – untereinander ausmachen werden. Auf Freitag, der bisher in dieser Saison dominiert hat, liegt jedoch ein enormer Druck. Die deutschen Medien stürzen sich auf ihn, erhoffen sie sich doch endlich den ersten deutschen Sieger seit Sven Hannawald 2001/02.
Aus heimischer Sicht ruhen natürlich alle Hoffnungen auf Kraft. Ich traue ihm den Gesamtsieg auf alle Fälle zu – er hat bewiesen, dass er es voll draufhat, hatte heuer jedoch beim einen oder anderen Weltcup Pech mit den Bedingungen. Was es für ihn aber nicht leichter macht, ist die Tatsache, dass er heuer quasi ein Einzelkämpfer ist. Waren es in den vergangenen Jahren immer mehrere ÖSV-Adler, die vorn mitgemischt haben, ist Kraft diesmal der einzige heimische Aspirant auf den Gesamtsieg. Wenn die Kollegen stets auf der Suche nach ihrer Form sind, kann das im Team für Stress und Unruhe sorgen. Aber ich bin überzeugt davon, dass sich Kraft mit seiner Routine davon nicht beeinflussen lässt.
Die große Gefahr bei dieser Tournee ist: Sollte Kraft patzen, kann kein anderer Österreicher für ihn einspringen. Michael Hayböck war schon im Sommer vor seiner Verletzung nicht auf seinem Highlevel. Gregor Schlierenzauer hat bei der Engelberg-Qualifikation zwar gezeigt, was in ihm steckt, doch fehlt da leider auch noch die nötige Konstanz, um eine ganze Tournee auf dem gleich hohen Level zu springen. Und für die jungen Österreicher ist es teilweise erst die erste gesamte Vierschanzentournee, die sie absolvieren. Da darf man sich natürlich auch keine Wunder erwarten.
Aber wie heißt es doch so schön: Die Tournee spielt immer ihre ganz eigenen Stücke!