Die Gen-Schere ist kein Allheilmittel
Die Gen-Schere CRISPR/Cas9 ermöglicht es Wissenschaftern, so präzise, schnell und billig wie nie zuvor das Erbgut von Lebewesen zu verändern. Doch so einfach, wie das klingt, ist es nicht.
Es klingt verheißungsvoll: Man repariert defekte Gene im Embryo, was schwere Erbkrankheiten wie Mukoviszidose, eine Stoffwechselerkrankung, verhindert. Oder man bearbeitet das Erbgut der Anopheles-Mücke so, dass sie nicht mehr Malaria überträgt. Molekularbiologische Verfahren wie CRISPR/Cas9 sollen das möglich machen. Hier dient das Enzym Cas9 als Schere, die den krankmachenden DNA-Abschnitt herausschneidet.
Doch nicht alle sind begeistert von den Möglichkeiten der Erbgutbearbeitung. Manche warnen vor möglichem Missbrauch und „Designerbabys“. Wie umgehen mit der Technologie? In der Grundlagenforschung und angewandten Forschung sind Gen-Scheren kaum noch wegzudenken. Das sagt Boris Fehse von der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Besonders in der biomedizinischen Forschung laufen dank Gen-Scheren viele Prozesse viel schneller, etwa das Nachvollziehen von Krankheiten im Reagenzglas.
Jedoch haben Forscher der Stanford University viele ungewollte Nebenwirkungen bei der Anwendung von CRISPR/Cas9, dem bekanntesten Genmodifizierer, entdeckt. Die Studie erschien im Mai in der Zeitschrift „Nature Methods“. Fehse weist auf „eine Reihe methodischer Schwächen“bei dieser Arbeit hin. Daher sind die Daten umstritten. Andererseits: Alle bisher benutzten Gen-Scheren haben tatsächlich eine gewisse Fehlerquote. Inzwischen wurde das Enzym Cas9 aber so modifiziert, dass eine ungenaue Bindung an die DNA seltener passiert. Auch bei der Guide-RNA, die für die punktgenaue Erkennung des anvisierten DNA-Abschnitts sorgt, gibt es Fortschritte. Man weiß inzwischen besser, wie man die Ribonukleinsäure designen muss, um Fehlbindungen zu vermeiden.
In der somatischen Gentherapie gibt es jedoch Grenzen. „Sicher werden Gen-Scheren kein Allheilmittel gegen Volkskrankheiten wie Krebs oder Adipositas“, erklärt Fehse. „Die wenigsten Krankheiten lassen sich dadurch heilen, dass man bestimmte Genabschnitte herausschneidet. Am ehesten könnten solche Korrekturen bei monogen bedingten schweren Erbkrankheiten funktionieren, also Krankheiten, die eindeutig auf Mutationen in einem bestimmten Gen zurückzuführen sind.“Sind dies etwa Krankheiten des Blutes, so kann man die Blutstammzellen außerhalb des Körpers korrigieren und anschließend, nachdem man kontrolliert hat, ob die Korrektur erfolgreich war, zurückgeben. Jedoch lassen sich mit herkömmlichen Methoden nicht alle Zellen genetisch korrigieren. Soll ein Gen repariert und nicht nur einfach ausgeschaltet werden, benötigt man zudem eine Reparaturmatrix, um den defekten Bereich in der Zelle auszutauschen – ähnlich wie bei einem Copy-and-pasteVorgang beim Editieren von Texten. Auch sollte die Gen-Schere nur in der minimal notwendigen Menge und nur für kurze Zeit in der Zelle vorhanden sein, damit das Risiko von Nebenwirkungen so gering wie möglich ist. Schließlich: Nicht alle Zellen sind in gleichem Maße empfänglich für das eingebrachte genetische Material. „Daher ist eine hundertprozentige Korrektur mit den heute verfügbaren Technologien nicht möglich“, sagt Fehse.
Am erfolgversprechendsten sind die Ansätze, bei denen es ausreicht, nur einen Teil der krankheitsrelevanten Zellen zu korrigieren. Das gilt für viele schwere angeborene Immunschwächen.
Manche Wissenschafter schlugen ein Moratorium, ein Abkommen für einen Zeitaufschub, vor. Wie beurteilt Fehse das? Bei der Gentherapie muss die Fehlerrate der Gen-Schere bekannt sein. Und es braucht Untersuchungen, welche Auswirkungen solche Fehler haben. „Minimale Änderungen im Genom einzelner Zellen wären in der Regel kein Problem – die entstehen auch bei den natürlichen Reparaturprozessen im Körper, etwa nach dem Sonnenbad.“Viele herkömmliche Medikamente haben Nebenwirkungen, manche, wie die Chemotherapie, sogar schwere. Experimentelle neue Therapien wie die Gentherapie können daran etwas ändern. Sie müssen aber in kontrollierten klinischen Studien gründlich getestet worden sein. Bisher darf man sie auch nur bei schweren Krankheiten anwenden, für die keine guten Therapien existieren. „Solange man diese Regeln einhält, gibt es keine Gründe für ein Moratorium.“
Anders sieht es bei Keimbahnmodifikationen aus. Chinesische und US-Forscher haben mehrfach das Erbgut menschlicher Embryos verändert. So wurde ein Gen entfernt, das für ein Herzleiden verantwortlich ist. Eingriffe an embryonalen Zellen sind aber kein normaler Heilungsversuch, bei dem es um eine begrenzte Zahl von Körperzellen geht. Vielmehr entwickeln sich aus den embryonalen Zellen sämtliche Zellen des menschlichen Körpers. Und die Veränderungen werden an die Nachkommen vererbt. „In letzter Konsequenz liefe das auf die Modifikation ganzer Menschen hinaus“, erklärt Fehse. „Allerdings ging es bei den bisherigen Versuchen nie darum, aus den modifizierten Embryos auch Menschen entstehen zu lassen. Die Versuche fanden ausschließlich im Reagenzglas und größtenteils an nicht entwicklungsfähigen Embryos statt.“
Einige Wissenschafter halten die Eingriffe in die Keimbahn bei schwersten Krankheiten für vertretbar, wenn nachgewiesen ist, dass die Eingriffe hinreichend sicher und effizient sind. Fehse gehört nicht dazu. Er verweist darauf, dass nach derzeitigem Stand solche Keimbahnmodifikationen immer auch mit einer Präimplantationsdiagnostik (PID) verbunden wären. Die PID ist etwa in Österreich bei künstlichen Befruchtungen erlaubt, wenn ein oder beide Elternteile die Erbanlagen für schwere Krankheiten haben. Man will so die Embryos identifizieren, an die krankmachende Erbanlagen nicht
„Solange man die Regeln einhält, gibt es keine Gründe für ein Moratorium.“Boris Fehse, Forscher Gentherapie
vererbt wurden. „Bei den meisten möglichen Anwendungen von Genscheren zur Keimbahnmodifikation kann ein gesunder Embryo auch per PID identifiziert werden“, sagt Fehse. „Eine Modifikation der Keimbahn wäre dann nicht notwendig.“Keimbahnmodifikationen sind für den Genforscher derzeit nicht zu verantworten, eine vernünftige Risiko-Nutzen-Analyse sei nicht möglich, die Notwendigkeit oft sehr fraglich. Mehr Forschung sei notwendig. Fehse ist daher nicht für ein Forschungsmoratorium, aber für ein Anwendungsmoratorium. Allerdings konnte sich die internationale Gemeinschaft bisher nicht darauf einigen.