Was ist echt und was ist Kino?
„Loving Vincent“ist der erste Spielfilm, der komplett mit Öl gemalt ist und als Animationsfilm ins Kino kommt.
Der spektakuläre Animationsfilm „Loving Vincent“erzählt von Geheimnissen um den Tod des Meisters Vincent van Gogh. Dafür wurden zahlreiche seiner berühmten Bilder nachgemalt. Der vielfach ausgezeichnete Streifen läuft in dieser Woche in den österreichischen Kinos an.
WIEN. Das Filmporträt Vincent van Goghs erzählt das Leben des Malers wie einen Krimi, noch dazu durch seine eigenen Bilder: „Loving Vincent“wurde beim Europäischen Filmpreis als bester Animationsfilm ausgezeichnet. Über zehn Jahre arbeitete die polnische Animationsfilmerin Dorota Kobiela mit ihrem britischen Partner Hugh Welchman daran. „Loving Vincent“kommt nun ins Kino und handelt vom jungen Armand Roulin, der nach dem Tod van Goghs einen Brief an dessen Bruder Theo überbringen soll. Widerstrebend macht er sich auf die Suche nach Theo und trifft dabei Weggefährten des Malers, die ihm unterschiedliche Facetten von dessen Persönlichkeit vermitteln. War Vincents Tod womöglich kein Selbstmord? SN: Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Film gekommen? Dorota Kobiela: Ich bin Animationsfilmemacherin, aber von meiner Ausbildung her Malerin. Van Gogh war der erste Künstler, der mich beeindruckt hat, als ich fünfzehn Jahre alt war. Ich bin damals nach Amsterdam gereist, habe seine Bilder gesehen und dann seine Briefe gelesen. Die Faszination für ihn hat mich nicht mehr losgelassen. Als ich vor zehn Jahren die Idee hatte, einen Film über einen Künstler auf Basis von dessen Bildern zu machen, stand außer Frage, dass das nur Vincent van Gogh sein könnte. Es gibt keinen anderen Künstler, dessen Geschichte sich so durch seine eigene Malerei erzählen lässt. SN: Woran liegt das? Kobiela: Seine Bilder sind fast wie Fenster in seine Welt, es sind Szenen aus seinem privaten Leben, sein Zimmer, seine Umgebung, das Café, die Leute, die er trifft. Als ich dann seine Briefe gelesen habe, bin ich diesen Menschen wiederbegegnet und habe die Geschichten hinter den Bildern verstanden. Das war die Basis für unseren Film. SN: Als Grundlage dienten Ihnen van Goghs Gemälde. Zudem haben Sie Szenen von Schauspielern nachspielen lassen, diese dabei gefilmt und die Bilder als Vorlage verwendet. Ist das ein Trick? Hugh Welchman: Echte Animationsfilmkünstler wissen, was für ein gigantischer Aufwand dieser Film war. Wir haben ja Einzelbild für Einzelbild gemalt und dann hoch auflösend abfotografiert. Wenn Vincent gemalt hat, hatte er ja auch ein Modell vor sich, und genauso hatten unsere Animatoren reale Personen als Vorlage. Und die Pinselstriche wurden dann Einzelbild für Einzelbild animiert. Das ist so ungefähr das Mühsamste, was auf dem Gebiet der Animation je erfunden wurde, aber wir wollten seiner Kunst möglichst nahe kommen. SN: Spannend an dem Film ist auch die Erzähltechnik, fast wie eine Detektivgeschichte. Welchman: Dorotas Ursprungsidee war ja, die Gemälde zum Leben zu erwecken. Wir haben recherchiert, was diese Menschen zu sagen hatten über van Gogh, und es stellte sich heraus, dass das widersprüchlich war. Die einen sagten etwa, er war am Ende seines Lebens schwerer Säufer, die anderen sagten, er sei Abstinenzler gewesen. Wer hat gelogen oder sich falsch erinnert? Wir mussten wie Detektive die Wahrheit herausfinden. Den Film nach seinem Tod anzusiedeln hat uns erlaubt, all die unterschiedlichen Theorien zu seinem Ende vorkommen zu lassen. Kobiela: Diese Struktur korrespondiert auch direkt mit unserem generellen Interesse für das Geheimnis um seinen Tod. Ich habe selbst in meinem Leben immer wieder gegen Depression gekämpft, und habe damals immer wieder Vincents Briefe gelesen. Sie haben mir Trost gespendet – auch wenn das seltsam klingen mag bei einem Künstler, der berühmt ist für seine psychischen Zusammenbrüche. Aber diese Briefe sind Zeugnis eines Menschen, der an seinen Weg und seine Vision glaubt. Es war für mich immer unerklärlich, weswegen Vincent diesen Moment in seinem Leben gewählt haben soll, um sich umzubringen, denn er war damals eigentlich an der Schwelle zum Erfolg, und nach allem, was wir wissen, ging es ihm gut. Den Film als Geheimnis um seinen Tod zu konstruieren, das empfanden wir als das perfekte dramaturgische Werkzeug.