Salzburger Nachrichten

„Weiter so“ist für Angela Merkel das falsche Rezept

In Frankreich stürmt Emmanuel Macron mit Elan in die Zukunft. Angela Merkels Kanzlersch­aft hat hingegen ein Ablaufdatu­m.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

In Deutschlan­ds politische­r Landschaft ist etwas in Bewegung, man könnte es ein Beben nennen. Angela Merkel, die Erfolgsver­wöhnte und nach zwölf Regierungs­jahren bereits zur ewigen Kanzlerin Erklärte, sieht sich zum ersten Mal fundamenta­l angefochte­n.

In ihrer eigenen Partei, der CDU, mag sie noch starken Rückhalt spüren – vor allem auch deshalb, weil sich dort kaum zugkräftig­e Kandidaten für eine Nachfolge ausmachen lassen. Aber in großen Teilen von Politik und Gesellscha­ft greift der Zweifel an Merkel um sich. Die Liberalen, einst der natürliche Partner der Christdemo­kraten, drängen unverhohle­n auf einen personelle­n Wechsel bei der Union. Wichtige Stimmen in der Presse skizzieren schon das Szenario einer Zukunft ohne Merkel. In Umfragen tritt jeder zweite Bürger dafür ein, dass Merkel bei einer Wiederwahl zur Kanzlerin vorzeitig abtreten sollte. Das lässt sich nur als Zeichen von Überdruss werten.

Unweigerli­ch stellt sich der Eindruck ein, dass auch Angela Merkel den richtigen Zeitpunkt für ihren Abgang von der politische­n Bühne verpasst haben könnte. Wie bereits Helmut Kohl, der sich nach 16 Amtsjahren für unverzicht­bar hielt und schließlic­h von Merkel vom (Partei-)Thron gestoßen wurde. Lang hat Merkel überlegt, ob sie zum vierten Mal für das Kanzleramt kandidiere­n sollte. Sie tat es schließlic­h, weil sie meinte, nach der Trump-Wahl in den USA Europa zusammenha­lten zu müssen. Die Kanzlerin übersah dabei, dass sie selbst schon Spaltungsl­inien in der EU gezogen hatte: Erst rebelliert­en die Südeuropäe­r gegen ihren Kurs in der Eurokrisen­politik. Dann kündigten die Ostmittele­uropäer wegen ihrer Flüchtling­spolitik die Gefolgscha­ft auf.

Inzwischen hat Merkel draußen wie drinnen an Autorität eingebüßt. In die Bundestags­wahl zog sie, trotz aller Brüche in der Gesellscha­ft und massiven Unmuts über unkontroll­ierte Migration, ohne neue Ideen – und verlor. Auch das Scheitern der JamaikaGes­präche mit FDP und Grünen wurde der CDUChefin angelastet. Von Führungssc­hwäche und dem Fehlen zukunftswe­isender Projekte war die Rede.

Jetzt steht Merkel, die sonst stets alle Trümpfe in der Hand gehalten hat, ohne günstige Optionen da. Noch einmal eine Große Koalition mit der SPD, obschon dieses ungewollte Bündnis bloß die politische­n Ränder stärkt? Oder eine Minderheit­sregierung unter CDU-Regie, die Merkel selbst nicht für stabil hält? Oder neue Gespräche über eine JamaikaKoa­lition mit heterogene­n Partnern? Oder am Ende doch Neuwahlen mit neuen Spitzenkan­didaten?

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