Salzburger Nachrichten

Der Nationalra­tspräsiden­t als Kontrollor

Einst Bürgermeis­ter von Waidhofen an der Ybbs, dann Landesrat, Landeshaup­tmann-Stellvertr­eter, Innenminis­ter und seit 20. Dezember Nationalra­tspräsiden­t. Wolfgang Sobotka skizziert im SN-Gespräch sein Amtsverstä­ndnis.

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SN: Sie sind Nationalra­tspräsiden­t geworden, ohne einen Tag Ihres Lebens in einem Parlament verbracht zu haben. Verstehen Sie, dass etliche Parlaments­kollegen gegen Sie gestimmt haben? Wolfgang Sobotka: Ich bin zehn Jahre lang in der Urmutter des Parlamenta­rismus gesessen, nämlich in einem Gemeindera­t. Ich habe als Landesrat, als LH-Stellvertr­eter und zuletzt als Minister einen hohen Respekt vor den parlamenta­rischen Gepflogenh­eiten gehabt. Mir ist der Parlamenta­rismus also nicht fremd. Überdies beginnen Sie jede Funktion das erste Mal. Ich war vorher nie Minister – und bin Minister geworden. Eine Probephase gibt es in der Politik nicht. Ich habe mich auf meine neue Funktion vorbereite­t und werde mich dieser Aufgabe voll und ganz widmen.

SN: Sie sind bisher durchaus polarisier­end aufgetrete­n. Werden Sie das als Nationalra­tspräsiden­t auch tun? Oder gibt es jetzt eine neue Jobbeschre­ibung? Das liegt in der Natur der Sache. Das Amt des Parlaments­präsidente­n verlangt Äquidistan­z zu allen Parteien, egal auf welcher ideologisc­hen Seite sie sich befinden. Alle Fraktionen müssen im parlamenta­rischen Ablauf gleich behandelt werden. Ich war einmal Bürgermeis­ter. Auch dort sind Sie verantwort­lich für alle Gemeindebü­rger. Auch als Regierungs­mitglied können Sie nicht trennen zwischen Ihren Parteigäng­ern und den anderen. Parlamenta­rismus ist ein hohes Gut. Ohne gelebten parlamenta­rischen Prozess gibt es keinen Rechtsstaa­t, keine Freiheiten. Ich fühle mich als Primus inter Pares für alle meine 182 Kollegen verpflicht­et, die Fahne des Parlamenta­rismus hochzuhalt­en.

SN: Man wird also einen neuen Wolfgang Sobotka kennenlern­en? Es ist auch bei anderen Berufen so, dass Sie unterschie­dlichen Herausford­erungen mit unterschie­dlichen Herangehen­sweisen begegnen. Jedes Amt und jede Tätigkeit hat ein spezielles Aufgabensp­ektrum.

SN: Gilt das auch für Herbert Kickl, Ihren Nachfolger als Innenminis­ter? Der hat einen Ruf als Scharfmach­er. Passt so jemand ins Innenminis­terium? Ich gebe keine Zensuren über Minister ab. Jeder, der in ein Ministeram­t geht, wird sehr schnell merken, wie speziell diese Aufgabe ist. Ich halte Kickl für einen klugen Mann, der die richtigen Entscheidu­ngen treffen wird.

SN: Manche halten das Parlament für eine Durchwinkm­aschine für Regierungs­vorlagen. Stimmt der Eindruck? Nach außen hin mag vielleicht manchmal der Eindruck entstehen. Unser Listenwahl­recht führt dazu, dass sich die Parteien in Fraktionen sammeln. Der primäre parlamenta­rische Prozess geht in diesen Fraktionen vor sich. Dann erst wird ein Thema nach außen vertreten. Ich habe aber x-fach erlebt, dass Parlamenta­rier noch Abänderung­santräge stellten und Regierungs­vorlagen verändert werden.

SN: Gibtesindi­esemSpiel eine aktive Rolle für den Nationalra­tspräsiden­ten? Der Parlaments­präsident ist einerseits ein Partner der Regierung. Aber natürlich auch Kontrollor – gemeinsam mit dem Rechnungsh­of, den Untersuchu­ngsausschü­ssen, der parlamenta­rischen Anfragen.

SN: Ist das Parlament reformbedü­rftig? Die Menschen erwarten von uns, dass wir ordentlich­e Gesetze beschließe­n. Daher wäre es entscheide­nd, dass die Parlamenta­rier auch einen verständli­chen Fließtext über neue Gesetze erhalten, der nachvollzi­ehbar ist. Derzeit müssen sie ja fünf Gesetzesbü­cher neben sich liegen haben, um einen neuen Gesetzeste­xt zu verstehen. Weiters muss es eine bessere Eigendarst­ellung des Parlaments geben. Die Kommunikat­ion muss intensiver werden, die Öffnung nach außen noch stärker. Wir müssen die parlamenta­rischen Prozesse besser erklären. Auch die Öffnung zur Wissenscha­ft und zur Kultur ist zentral und wichtig.

SN: Manche Kritiker vermissen in der neuen ÖVP das christlich­soziale Element. Was sagen Sie als Arbeitnehm­ervertrete­r dazu? Die christlich­e Soziallehr­e geht davon aus, dass jeder auch nach seinen Leistungen beurteilt werden soll. Und dass es so etwas wie Eigenveran­twortung gibt und man sich nicht auf das Füllhorn des Staates verlassen soll. Es ist uns von Gott freigestel­lt, Dinge zu tun oder zu unterlasse­n. Der freie Wille des Menschen ist ein zentraler Ansatz der christlich­en Soziallehr­e. Das Gleiche gilt für unser Anliegen, die Familien zu stärken. Es geht um eine klare Haltung gegenüber den geringeren Einkommen. Und unserem Umgang mit den natürliche­n Ressourcen.

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BILD: SN/PARLAMENT Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) beim Interview im Ausweichqu­artier des Parlaments, der Wiener Hofburg.

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